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Band 4 - m-presse

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86 Drittes Buch. Vierzehnter Abschnitt<br />

sein für das Rätsel, das unter dem Namen „die Religion Goethes" geformt<br />

worden ist, selten von der voraussetzungslosen Wissenschaft, viel<br />

zu oft von den Sprechern religiöser Parteien. Die Frage nach der Stellung<br />

Goethes zu den positiven Religionen, insbesondere zum Christentum,<br />

konnte ehrlich nicht mehr gestellt werden; zu klar war es, nach allen Zeugnissen<br />

aus Briefen, Gesprächen und Werken, daß der Dichter, insofern er<br />

menschlich mit seiner Konfession zu schaffen hatte, von der Jugend bis<br />

zum Greisenalter nur zwischen ironischer Höflichkeit und temperamentvollem<br />

Abscheu schwankte. Wem das zu stark gesagt dünken sollte, der<br />

erinnere sich des Verses, in welchem die Dinge hart aufgezählt werden,<br />

die ihm wie Schlangengift zuwider sind. Viere: Rauch des Tabaks, Wanzen<br />

und Knoblauch und Christ. (Die Sache wird wahrlich dadurch nicht besser,<br />

eher noch schlimmer, daß Goethe rücksichtsvoll genug war, in den von ihm<br />

besorgten Ausgaben anstatt des letzten Wortes das Zeichen des Kreuzes<br />

zu setzen.) Goethe war kein Christ, wollte kein Christ heißen. Nicht erst<br />

seine Zeitgenossen haben den Spitznamen als eine Ehrung aufgebracht,<br />

er selbst hat sich schon einen Heiden genannt.<br />

Ins Griechentum hatte er sich eingefühlt, wie keiner vor ihm, wie<br />

auch die Erwecker der Antike noch nicht. Glaubte er darum die Griechengötter?<br />

Was man so glauben nennt? Unsinn, natürlich. Mythologie war<br />

ihm das alles. Aber die Vorstellung „Gott"? Der Begriff "Gott"? War<br />

ihm das auch Mythologie? Nicht ganz ebenso. In der Jugend, da er den<br />

„Prometheus" aus sich hinaus lodern ließ und den Plan zum "Faust"<br />

faßte, im Alter, da er Gott seine Wette gegen den Teufel gewinnen ließ<br />

(wieder ist Gott nicht der Gerechte, denn er gewinnt seine Wette ruchlos<br />

sophistisch, so ruchlos sophistisch, wie der Kaufmann von Venedig seinen<br />

Prozeß gegen den jüdischen Wucherer gewinnt), immer braucht der Dichter<br />

den persönlichen Gott als Vertreter für das All, für das eine All, dem ja<br />

auch Spinoza den Namen "Gott" gelassen hatte. Wir, die wir auf Goethe<br />

getauft worden sind, haben ein Recht, uns auf ihn zu berufen als einen,<br />

der sich zu einer gottlosen Mystik bekannte; aber buchstäblich so hat er es<br />

nicht getan. Just die Buchstaben, die den Namen GOTT bilden, hat er<br />

beibehalten, weil der Dichter, der Künstler mit dem Material der Sprache,<br />

etwas Unbenanntes nicht anrufen, nicht beschwören und nicht bannen<br />

kann, weil der Dichter auch den Geist, den er nicht glaubt, nennen muß.<br />

Und weil der Dichter Goethe so viel größer war als der an sich verehrungswürdige<br />

Naturforscher Goethe, darum unterwarf sich auch der Botaniker<br />

und der Anatom Goethe, endlich auch der Optiker dem überlegenen Dichter<br />

und bemühte mitunter den alten Namen Gottes, auch wenn er als Botaniker,<br />

als Anatom, als Optiker gottlose Mystik verkünden half.<br />

Viertes Buch<br />

Die letzten hundert Jahre — Reaktion — Materialismus —<br />

Gottlose Mystik

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