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Band 4 - m-presse

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398 Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />

negamus. Die dritte Partei, die der klaren und bestimmten Gottesleugner,<br />

wird nach dem Kriege kaum größer sein als vorher. Doch die zweite Partei,<br />

die der Ankläger Gottes, wird (das ist meine Überzeugung) wie nach dem<br />

Erdbeben von Lissabon plötzlich wachsen. Es wäre eine bedenkliche Selbsttäuschung,<br />

wenn die Frommen meinten, diese Ankläger Gottes, weil da<br />

das Dasein Gottes eine Voraussetzung wäre, brächten der Kirche geringere<br />

Gefahr als die Gottesleugner. Auflehnung gegen Gott ist ja doch nur<br />

eine unlogische, eine unwissenschaftliche, eine — wenn man so will —<br />

gemütliche Form der Gottesleugnung. Der selbstsichere, durch geistiges<br />

Ringen gewordene Gottesleugner kann ein vortrefflicher Bürger sein, wie<br />

Bayle schon vor zweihundert Jahren wußte und lehrte; er braucht kein<br />

Rebell zu sein, ist es gewöhnlich schon darum nicht, weil er als ein Skeptiker<br />

auch an andern absoluten Werten zweifelt. Der Ankläger Gottes dagegen ist<br />

ein Rebell von Hause aus, weil der Gott, der irgendwo ist und irgendwelche<br />

Eigenschaften hat, die Erwartungen nicht erfüllte, die sich an sein Dasein<br />

und an seine Eigenschaften knüpfen ließen; wie der Ankläger eines bestimmten<br />

Königs ein wilderer Rebell ist als derjenige, der theoretisch die Frage<br />

untersucht hat, ob die Monarchie die beste Staatsform sei. Die Ankläger<br />

ihres Gottes sind vielleicht so religionssüchtig, daß sie ohne einen Gott<br />

nicht auskommen können, daß sie auf den Trümmern der alten Kirche eine<br />

neue Kirche errichten werden; doch die Ankläger ihres besonderen Gottes<br />

werden den Gott der alten Kirche für die Greuel des Krieges verantwortlich<br />

machen und werden den alten Glauben gewaltsam zu stürzen suchen. Und<br />

darum scheint es mir wahrscheinlich, daß die Kirchen ihre Kriegsrechnung<br />

ohne den Wirt machen werden, daß das freie Denken die geistigen Kriegskosten<br />

nicht wird bezahlen müssen. Weder die Ganzfrommen werden durch<br />

das aufwühlende Entsetzen in ihrem Glauben erschüttert werden, noch die<br />

Freidenker in ihrem Unglauben. Unter den Ganzfrommen verstehe ich die<br />

zahlreichen guten Seelen, welche aber doch in der Masse der Christen nur<br />

eine Minderheit ausmachen, denen die Weltregierung durch einen allweisen<br />

und allgütigen Gott eine unumstößliche Gewißheit ist, die sich durch<br />

keine Erfahrung beunruhigen lassen. "Was Gott tut, das ist wohlgetan.<br />

Gottes Ratschlüsse sind unerforschlich. Der Herr hat es gegeben, der Herr<br />

hat es genommen. Wer weiß, wozu es gut ist." Und wie die Tröstungen<br />

einer tiefen und echten Religiosität alle heißen. Diese guten Seelen, eigentlich<br />

beneidenswert in ihrem felsenfesten Vertrauen, wissen es nur nicht,<br />

daß sie mit ihrer frohen Glaubensinnigkeit doch ungefähr auf dem Boden<br />

der neuesten Gottlosigkeit stehen, auf dem Boden des Agnostizismus. Ein<br />

Gott, der unerforschlich ist, ist gar nicht so verschieden von dem unbekannten<br />

Etwas, das der deistische Agnostiker für den Urgrund der Welt annimmt und<br />

Weltkrieg 399<br />

das er in Ermangelung eines anderen positiven Wortes seinen Gott nennt.<br />

Nur daß der Ganzfromme von den Wegen Gottes redet, einen Plan der<br />

Vorsehung voraussetzt, von einem guten Ziele dieser Wege überzeugt ist,<br />

während der Agnostiker sich mit der ehernen Kette der Notwendigkeit begnügt,<br />

weder von einem Wege noch von einem Ziele etwas weiß und an<br />

einem Fortschreiten zum Guten zweifelt. Eigentlich beruht der Unterschied<br />

zwischen diesen beiden entgegengesetzten und nur aus Mißverstand<br />

feindlichen Menschengruppen auf einer Seelenstimmung: die Frommen<br />

stehen dem Weltlauf optimistisch gegenüber, die Unfrommen pessimistisch<br />

oder abwartend. Daran ändert auch der hübsche Zug nichts, daß die<br />

Frommen Gottes Wege wunderbar finden, daß die Unfrommen die Naturgesetze<br />

durch kein Wunder absetzen lassen; denn auch der Wunderglaube<br />

ist eine Folge optimistischer Seelenstimmung. Einig sind die Ganzen der<br />

frommen und der unfrommen Partei also darin, daß sie die Vorstellung<br />

eines grob menschenähnlichen, dem Menschenverstande verständlichen<br />

Gottes aufgegeben haben, daß sie keinen Fetisch von Menschenhand anbeten,<br />

daß sie darum gar nicht in die Versuchung kommen, mit dem Unbekannten<br />

zu hadern, weil es Brand und Tod, Hunger, Krankheit und<br />

Wunden in tausendfältiger Gestalt zuließ. Wahre Frömmigkeit (einerlei,<br />

ob Rechtgläubigkeit, Ketzerei oder Mystik) und wahre Gottlosigkeit (mit<br />

oder ohne Gottes Namen) führen zur Ergebung oder zur Bescheidung.<br />

Nun sind die wahrhaft Frommen, die ihr Leben demütig und kindlich der<br />

göttlichen Vorsehung anheimgestellt haben, nicht gerade Ausnahmen,<br />

aber doch vereinzelt, ebenso wie die freien Geister, die außerhalb jeder<br />

Konfession für sich eine dogmenlose Weltanschauung gefunden haben.<br />

Die ungeheure Mehrheit unter den Christenmenschen, die unter dem Ausdrucke<br />

Christenheit zusammengefaßt werden, besteht aus Halben, aus<br />

Auchchristen, welche die Religion, in der sie durch Schule und Haus unterrichtet<br />

worden sind, im Alltag, oberflächlich, äußerlich zu glauben glauben,<br />

welche aber versagen, sobald ihr Glaube auf eine schwere Probe gestellt<br />

wird. Dieser Haufe greift in Krankheit, Not und Todesangst zum Zaubermittel<br />

des Gebetes, klagt aber — wie gesagt — den Gott an, der das Gebet<br />

nicht erhört hat. Diese Halben sind selbstsüchtig, wollen einen Nutzen auch<br />

von der Religion, einen diesseitigen Nutzen, weil nicht einmal ihr Glaube<br />

an das Jenseits so recht fest ist. Unter ihnen finden sich Vertreter einer<br />

scheinbar uralten Vergangenheit, die einen Gott nach ihren kleinen Wünschen<br />

suchen: die ihren Fetisch prügeln oder verbrennen, wenn er ihnen<br />

nicht gefällig war; wie die alten Juden von ihrem Gott abfielen und<br />

den mächtigeren Gott eines Nachbarvolkes wählten, wenn ihre Opfer umsonst<br />

waren. Von solchen Götzendienern und von noch niedrigeren Gesellen

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