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Band 4 - m-presse

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170 Viertes Buch. Fünfter Abschnitt<br />

Atheismus schon eine Erschleichung enthalte, weil man da vorweg den<br />

Theismus als sich von selbst verstehend annehme. "Man sollte statt dessen<br />

sagen: Nichtjudentum, und statt Atheist Nichtjude: so wäre es ehrlich<br />

geredet." Bekanntlich drückt Schopenhauer seine Verachtung gegen den<br />

Gott der christlichen Kirche häufig dadurch aus, daß er, der Judenhasser,<br />

ihn den "alten Judengott" nennt. An unzähligen Stellen; ich bemühe<br />

aber nur einen Brief an seinen ersten und blindesten Verehrer Julius<br />

Frauenstädt (vom 21. August 1852), wo der Heiland gegen seinen Apostel<br />

sehr grob wird und ihm wieder einmal vorwirft, er habe ihn nicht verstanden.<br />

Wie sich Frauenstädt das Ding-an-sich vorstelle, in Wolkenkuckucksheim,<br />

wo der Judengott sitzt, sei es das wohlbekannte Absolutum, also der verkappte<br />

kosmologische Beweis, auf dem der Judengott reitet. Da solle er<br />

doch gleich anstatt Ding-an-sich sagen: das Übersinnliche, die Gottheit,<br />

das Unendliche oder am schönsten mit Hegel "die Uedäh". Wir wissen ja<br />

doch alle, was dahinter steckt:<br />

„Es ist der Herr von Absolut! —<br />

Das heißt es ist der alte Jud'"<br />

(es folgt ein griechischer Reim von Schopenhauers Faktur, auf deutsch etwa):<br />

"von welchem ihren Anfang nahmen<br />

der Himmel und die Erde. Amen."<br />

Schopenhauer, nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe seines Hauptwerks<br />

von den zünftigen Philosophen durchaus totgeschwiegen, wurde bald<br />

nach der Mitte des 19. Jahrhunderts in immer weiteren Kreisen gelesen<br />

und ist nach seinem Tode, um das Wort Modephilosoph auf ihn nicht anzuwenden,<br />

der wirksamste Philosoph der Zeit geworden, weit über die<br />

Grenzen Deutschlands hinaus. Zu seiner Volkstümlichkeit bei den Gebildeten<br />

hat nun die Geschlossenheit seines Systems sicherlich weniger<br />

beigetragen, als die Schärfe und Schlagkraft seiner Polemik, nicht zuletzt<br />

die Rücksichtslosigkeit seines Bekenntnisses zum Atheismus. Im Wandel der<br />

Zeiten hatte dieses Bekenntnis seine Gefährlichkeit eingebüßt; die Führer<br />

im Unglauben wurden nicht zu einer Professur berufen oder mußten<br />

resignieren, aber dem gewöhnlichen Bürger brachte der Unglaube keine<br />

ernstlichen Nachteile mehr, höchstens noch Unbequemlichkeiten. Wir haben<br />

seitdem Rückschritte gemacht. Wie geringe Sorge Schopenhauer, sonst<br />

leiblich gar nicht so tapfer, um die Folgen seines Bekenntnisses hatte, das<br />

zeigt mir eine Stelle, wo er von der Verbrennung des Pantheisten Vanini<br />

spricht, dem man zuvor die Zunge ausgeschnitten habe. Er nimmt die<br />

Gräßlichkeit allegorisch. Das Zungenausschneiden stehe noch jetzt jedem<br />

Schopenhauer 171<br />

offen: "Möge man sich daran versuchen, jedoch nicht mit hohlem Wortkram,<br />

sondern ernstlich, mit Gedanken." Die fürchterliche Hinrichtung des<br />

Pantheisten Vanini war für den Zeitgenossen Descartes noch eine unmittelbare<br />

Abschreckung, hundert Jahre später für Voltaire nur noch eine<br />

Mahnung zur Vorsicht, wieder hundert Jahre später für Schopenhauer<br />

eine geschichtliche Erinnerung, ein Symbol.<br />

Vielleicht aber hätte der Atheismus Schopenhauers doch eine große<br />

Menge seiner Leser abgeschreckt, eben die schlechtere Menge, wenn er bei<br />

der Negation stehengeblieben wäre, wenn er dem metaphysischen Bedürfnisse<br />

des Volkes gar keine Nahrung geboten hätte. Dies tat er aber in reichlichem<br />

Maße, da er fast wie ein Theologe jeden Aberglauben verteidigte,<br />

der zu seinem Systeme zu passen schien. Er glaubte nicht an Gott und nicht<br />

an die menschliche Willensfreiheit, aber er glaubte an Träume, an Ahnungen<br />

und an die Seelenwanderung, die eine Unsterblichkeit der Seele voraussetzt.<br />

So konnte die Menge seiner Anhänger mit Recht behaupten, Schopenhauer<br />

sei gottlos, aber nicht religionslos.<br />

Über sein Verhältnis zur Religion hat er sich in seinen "Parerga"<br />

(im 15. Kapitel des zweiten <strong>Band</strong>es) ausgesprochen, am rückhaltlosesten im<br />

„Dialog", der uns noch später beschäftigen soll. Eigentlich seien Glauben und<br />

Wissen so durchaus verschiedene Dinge, daß jedes seinen Weg gehen sollte,<br />

ohne vom anderen auch nur Notiz zu nehmen. Er kann es aber nicht lassen,<br />

auch zu der Erscheinung des Glaubens Stellung zu nehmen. Mit Offenbarungen<br />

kommen nur die Pfaffen; der Himmel bleibt stumm. Trotzdem<br />

wird das Christentum sehr gelobt, namentlich gegenüber dem plumpen<br />

Dogma des Judentums; in moralischer Beziehung stehe nur der Buddhismus<br />

über dem Christentum, das er übrigens nur als das Christentum des<br />

Augustinus anerkennt. Wohlgemerkt, er lobt das Christentum nur als eine<br />

allegorische, nach seiner Überzeugung aus Indien stammende Moralphilosophie,<br />

nicht als Religion. "Wie der Polytheismus die Personifikation<br />

einzelner Teile und Kräfte der Natur ist, so ist der Monotheismus die der<br />

ganzen Natur — mit einem Schlage." Durch philosophische und indische<br />

Studien sei sein Kopf unfähig geworden, den Gedanken an die Schuld des<br />

Menschen auszuhalten. Ritus oder Gebet zeuge unwidersprechlich von<br />

Götzendienst. "Ob man sich ein Idol macht aus Holz, Stein, Metall, oder<br />

es zusammensetzt aus abstrakten Begriffen, ist einerlei: es bleibt Idololatrie,<br />

sobald man ein persönliches Wesen vor sich hat, dem man opfert, das<br />

man anruft, dem man dankt." Dem Alten Testament gegenüber, das ihm als<br />

realistisch und optimistisch verhaßt ist, kennt er in Kritik und Verwerfung<br />

keine Grenzen; im Neuen Testament erblickt er den Idealismus und den<br />

Pessimismus der Brahmanen und Buddhisten und schätzt es, bei aller Kritik,

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