Band 4 - m-presse
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1 92 Viertes Buch. Fünfter Abschnitt<br />
verbleichte Herbstzeitlose. Ironisch ruft er: „Welche Wonne wird das sein,<br />
... so von Ewigkeit zu Ewigkeit an sich selbst zu zullen und zu schnullen."<br />
Er meint mit Lichtenberg, man habe alles Übel der Welt der unüberlegten<br />
Achtung gegen alte Gesetze, alte Gebräuche und alte Religion zu danken.<br />
Feuerbach hat in späteren Zusätzen — wie gesagt — die Unchristlichkeit der<br />
Schrift immer schärfer herausgearbeitet; in der ersten Fassung wird Gott<br />
also noch nicht geleugnet, das Christentum noch nicht verworfen, es wird<br />
noch so etwas wie ein irdisches Christentum gelehrt, ein Deismus ohne<br />
Lohn oder Strafe im Jenseits.<br />
Im Jahre 1832 hörte er auf zu lesen, entgegen dem Rate von Vater<br />
und Bruder, sich geduldig in alle Forderungen der reaktionären Zeit zu<br />
fügen. Ludwig fügte sich nicht; er gab die "Bettelexistenz" auf und dachte<br />
daran, entweder in Paris, wo seit 1830 so viele deutsche Flüchtlinge lebten,<br />
oder in Amerika eine Zuflucht zu finden. Aber 1833 starb sein Vater und<br />
damit schwand für Ludwig die Möglichkeit, sich in den täglichen Lebensnöten<br />
an seinen besten und immer hilfsbereiten Freund wenden zu können;<br />
der entlaufene Dozent war auf den Ertrag seiner Bücher und der (sehr<br />
ungern geschriebenen) Zeitschriftenaufsätze angewiesen. Ich glaube gegen<br />
ihn nicht ungerecht zu sein, wenn ich den nun bald folgenden Bruch mit aller<br />
christlichen Philosophie aus den Beziehungen erkläre, die ihn eben als<br />
Publizisten dem geistigen Kreise des durchaus freigeistigen Arnold Ruge<br />
nahebrachten; Feuerbach hatte sich innerlich zuerst von der orthodoxen<br />
Theologie, dann von der rationalistischen, endlich auch von dem Christentume<br />
überhaupt befreit, aber erst als Mitarbeiter an den Halleschen Jahrbüchern<br />
Ruges *) erfuhr er, daß man den Entschluß zu einem antichristlichen<br />
Bekenntnisse fassen könne; er zeigte von jetzt ab den Mut, den andere vor<br />
ihm gehabt hatten. Er sagte sich 1839 von dem Supranaturalismus Hegels<br />
los, 1841 vom Christentume. Was er vorher veröffentlichte, ist bedeutungsvoll<br />
für die Entwicklung des Schriftstellers Feuerbach, blieb aber noch ohne<br />
die Wirkung, die nachher dem Kritiker des Christentums beschieden war.<br />
*) Arnold Ruge (geb. 1802, gest. 1880) hat als politischer Schriftsteller manches Verdienst<br />
um den Liberalismus und auch um den Einheitsgedanken in Deutschland, wofür<br />
der alte „Märtyrer" des Vormärz sogar 1877, also kurz vor seinem Tode und kurz vor Bismarcks<br />
Rechtswendung, durch einen "Ehrensold" abgelohnt wurde; als Religionsphilosoph<br />
war er doch wohl nur ein Mitläufer in der Richtung, die von Frankreich kam und zu einer<br />
moralischen Umdeutung des Christentums führte. Also ein Gesinnungsgenosse des jüngeren<br />
noch nicht materialistischen Feuerbach, über dessen Hauptwerk er gleich 1843 einen<br />
recht parteigemäßen Aufsatz veröffentlichte, in dem die Zensur umgehenden Sammelbuche<br />
"Anekdota". Feuerbach wird da als der Überwinder zugleich von Hegel, von Schleiermacher<br />
und von Strauß dargestellt. Als ein Gegner des konservativen Wahnsinns, der<br />
den abgelebten Aberglauben restaurieren wolle; erst die Kritik des Christentums sei wahre<br />
Philosophie. Die Überschätzung Feuerbachs verrät sich schon in der Überschrift dieser<br />
Ludwig Feuerbach 193<br />
Eine Sammlung breiter, mitunter dennoch anregender Aphorismen<br />
hatte er 1833 unter dem spielerischen Titel "Abälard und Heloise" herausgegeben.<br />
Im gleichen Jahre 1833 hatte er mit der Herausgabe einer "Geschichte<br />
der neueren Philosophie" begonnen, gewiß wieder in der Hoffnung, durch<br />
eine solche wissenschaftliche Leistung eine Fakultät und eine Regierung zu<br />
zwingen, ihm Titel und Einkommen eines Professors zu gewähren. Der<br />
erste <strong>Band</strong> behandelte die Zeit von Francis Bacon bis Spinoza, der zweite<br />
(1837) die Leibnizsche Philosophie, der dritte und letzte (1838) das Gesamtwerk<br />
Pierre Bayles. Feuerbach war kein Geschichtschreiber; subjektiver,<br />
als auch der beste Geschichtschreiber sein muß, holte er aus den Philosophen<br />
immer das heraus, was er allein in ihnen sah, und konstruierte so<br />
ein falsches Bild des Hergangs; er konstruierte es nicht in den großen,<br />
immer noch durch ihre Größe imponierenden Zügen Hegels, er schuf vielmehr<br />
die bedeutendsten Denker nach seinem eigenen kleineren Bilde um.<br />
Eine vollkommene Beherrschung des Stoffes, soweit sie in jenen Tagen<br />
möglich war, hielt er wahrscheinlich für überflüssig.<br />
Uns kümmert zunächst nur, wie er sich in diesem Versuche einer Philosophiegeschichte<br />
zu den religiösen Fragen stellte; und da ist zwischen dem<br />
ersten und dem dritten <strong>Band</strong>e ein Fortschreiten im Radikalismus wieder<br />
nicht zu verkennen.<br />
In der Einleitung zum ersten <strong>Band</strong>e, die auf zwei Bogen einen flüchtigen<br />
Überblick über die Zeit vom Altertum bis auf Bacon bieten will, steht<br />
er, nicht unfrei, aber doch ängstlich, auf dem Standpunkte des Protestantismus;<br />
und macht vom "Geiste" noch einen ganz verhegelten Gebrauch.<br />
Er konstruiert so: im Gotte der heidnischen Menschheit sei nur die Einheit<br />
eines besonderen Volkes nebst dessen Staat, Religion und Kunst verkörpert<br />
gewesen; erst Christus sei das Bewußtsein des Menschen an sich von der<br />
Einheit seines lauteren Wesens mit dem göttlichen Wesen, von der Einheit<br />
des Menschen mit dem Wesen der Menschheit; der heidnische und der<br />
journalistischen Leistung: "Neue Wendung der deutschen Philosophie." Die flache und<br />
triviale Aufklärung habe das Wesen der Religion nicht ergründet, erst die geniale Aufklärung<br />
der Dichter, Denker und Feuerbachs habe die christlichen Mysterien enthüllt. Es<br />
gibt freilich von Ruge ein spätes, fast aufreizend atheistisches Buch: "Reden über Religion,<br />
ihr Entstehen und Vergehen an die Gebildeten unter ihren Verehrern" (1869). Die<br />
Anspielung auf Schleiermachers Reden wird unterstrichen durch das Motto: "Statt den<br />
Schleiermacher wollen wir lieber den Schleierlüfter spielen." Die Gottlosigkeit Ruges,<br />
der damals noch als Flüchtling in England lebte, sich aber bereits für Bismarcks auswärtige<br />
Politik erklärt hatte, kann kaum überboten werden, wenn er sich auch (gegen Heinzen,<br />
den Erzmaterialisten) feierlich einen Idealisten nennt. Ich darf aber nicht verschweigen,<br />
daß er fast alles, was er vorträgt, aus Dupuis' "Origine de tous les cultes" geholt hat<br />
und dies auch ganz offen zugibt.