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Band 4 - m-presse

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446<br />

Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />

nach dem Göttlichen, dann haben wir uns vielleicht doch über das substantivische<br />

Bild der Welt erhoben, über die karge Einsicht, der Gottbegriff<br />

gehöre eben zu der Scheinwelt, der Kunstwelt, der Nichtwelt<br />

der Substantive. Man denke wieder an das Beispiel vom Feuer. Das<br />

lallende "das" kann ebensogut oder so schlecht den persönlichen Gott<br />

bezeichnen wollen wie seine Eigenschaften oder wie sein Wirken. Genau<br />

so gut oder ebenso schlecht. Steht es nicht ebenso wie um den hohen Begriff<br />

"Gott" und um den niedrigen Begriff "das" auch um eines der<br />

meistgebrauchten und meistmißbrauchten Sprachworte? Können wir<br />

leugnen, daß der Ichbegriff, "unrettbar" seit Hume und Mach, weil das<br />

Ich der substantivischen Welt angehört, doch wieder — wie Gott und<br />

Feuer und "das" — leicht und gern in die adjektivische und in die verbale<br />

Welt hinüberspielt? So wie „Ich" gewöhnlich gebraucht wird, steht es<br />

freilich, als Pronomen, als Vertreter von höchst substantivischen Personen.<br />

Als Träger von adjektivischen Empfindungen und verbalen Tätigkeiten.<br />

Dieses Ich ist (nach Hume) ein Bündel von Vorstellungen (und von<br />

Wollungen). Wenn aber dieses selbe Ich traumlos schläft? Der traumlos<br />

schlafende Mensch besitzt ja kein Ich mehr, ist kein Träger mehr, weder von<br />

adjektivischen Empfindungen noch von verbalem Tun oder Wollen. Der<br />

traumlos schlafende Mensch (in dem also auch das bewußte Gedächtnis<br />

nicht mehr arbeitet) ist nur noch in der adjektivischen Welt da (mit seinen<br />

Eigenschaften, wie ein schlafender Apfel) und für die verbale Welt (mit<br />

den vegetativen Tätigkeiten seines Herzens, seiner Lunge usw.).<br />

Gewiß, die Vorstellung eines bleibenden Ich ist nicht mehr zu retten,<br />

wie die Vorstellung eines seienden Gottes nicht mehr zu retten ist. Die<br />

agnostische Mystik, zu welcher ich hinführe und die beileibe nichts zu schaffen<br />

hat mit irgendeiner Kirche oder sonstigen Zaubermagie, die Mystik, oder<br />

das Bekenntnis zu einer Mythologie aller Wissenschaft, ist ganz sicher<br />

gottlos, des Gottes ledig. Wie das Denken und das Wollen dieser Jahre<br />

ichlos geworden ist, ledig des Ichwahns. Und doch habe ich, bevor ich<br />

scheide, den Gegnern der bloßen Negation, wenn sie nur nicht zu einer<br />

Kirche zurückstreben, eine Möglichkeit zu bieten, eine biologische Möglichkeit,<br />

in dieser kalten und dünnen Höhenluft zu atmen. Das Ich, der Wille,<br />

das Denken, die Seele sind nicht, gewiß nicht. Sie sind nicht einmal<br />

mehr notwendige Fiktionen für eine Psychologie der Zukunft. Sie sind<br />

aber, was ich einmal normale Täuschungen genannt habe; gesunde Lebenslügen,<br />

unvermeidliche, nur mit dem Leben selbst auszulöschende Illusionen.<br />

Ich glaube fast — und ich fürchte es nicht —, auch der Gottesbegriff, von<br />

dem Unrat der Theologen gereinigt, ist so eine normale Täuschung, eine<br />

gesunde Lebenslüge, eine unvermeidliche, lebenslange Illusion.<br />

Tao 447<br />

Nur hüte sich der Leser, dem ich in dieser Stunde den ichlosen, den<br />

traumlosen Schlaf wünsche — auch wenn er wach ist —, davor, in diese<br />

Lebensillusion etwas anderes, etwas "Positiveres" hineinzudenken, als ich<br />

im Sinne habe. Illusion ist niemals Wirklichkeit. Der handelnde Mensch<br />

mag eine Illusion als eine Fiktion benützen (,,als ob es Götter gebe"),<br />

der dichtende Mensch mag eine Illusion zu gestalten suchen (als sein<br />

"Ideal"); beide dürfen an ihre Illusionen nicht glauben, dürfen nicht Ja<br />

zu ihnen sagen. Sprachkritik war mein erstes und ist mein letztes Wort.<br />

Nach rückwärts blickend ist Sprachkritik alles zermalmende Skepsis, nach<br />

vorwärts blickend, mit Illusionen spielend, ist sie eine Sehnsucht nach<br />

Einheit, ist sie Mystik. Epimetheus oder Prometheus, immer gottlos, in<br />

Frieden entsagend.

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