Band 4 - m-presse
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58 Drittes Buch. Dreizehnter Abschnitt<br />
griffe) nicht geprüft hatten und doch zu modern waren, um ungeprüfte<br />
Bausteine zu benützen. Weder Fichte, noch Schelling, noch Hegel besaßen<br />
(bei aller an Kant gelernten terministischen Virtuosität der philosophischen<br />
Sprache) die große innere Freiheit des Weisen von Königsberg. Wir<br />
dürfen uns hier aber nicht lange auf dem Wege aufhalten, der von Kant<br />
zu Fichte führte.<br />
In den gleichen Jahren, da zu Paris die selbstverschuldete Not des<br />
Staates und die Kritik des Staatsrechts rasch nacheinander zu Reformversuchen<br />
und dann zur Revolution führten, vollzog sich im äußersten<br />
Nordosten Deutschlands, zu Königsberg, eigentlich in einem einzigen außerordentlichen<br />
Kopfe die ganz andere Revolution des Gedankens. Die Vorgeschichte<br />
der beiden Revolutionen, der politischen und der philosophischen,<br />
hätte ungefähr die gleichen Schriftstellernamen zu nennen, insbesondere<br />
die Befreier Locke und Hume. Ich schreibe aber keine Geschichte der Philosophie<br />
und darf mich darum bei der geistigen Tat Kants nicht lange aufhalten,<br />
nicht einmal bei den Kühnheiten und Schüchternheiten, die ihn<br />
von 1781 bis 1793 (der königliche Schützer der Denkfreiheit war 1786<br />
gestorben) zwischen Rebellion und Unterwerfung schwanken ließen.<br />
Es ist kein Wunder, daß unter den philosophischen Schülern Kants<br />
just Fichte in d e n Ruf kam, einen unbedingten Atheismus gelehrt zu haben.<br />
Kant war 65 Jahre alt, Fichte erst 27, als die große Revolution Ereignis<br />
wurde. Durch einen Irrtum, der vielleicht keine Buchhändlerspekulation<br />
war, wurde das erste Buch Fichtes, eine verklausuliert freie "Kritik aller<br />
Offenbarung", für ein Werk Kants gehalten; als der Irrtum sich aufklärte,<br />
war Fichte über Nacht schon ein berühmter Mann geworden. Er teilte mit<br />
den deutschen Dichtern (Klopstock, Schiller) die Begeisterung für die Pariser<br />
Umsturzideen, ging aber viel weiter als die Dichter, als er (1792 und 1793,<br />
auch nach der Hinrichtung des Königs) in glänzenden Flugschriften die Urteile<br />
des Publikums über die französische Revolution berichtigte und die<br />
Denkfreiheit von den Fürsten Europas zurückforderte. Beide Schriften<br />
erschienen ohne seinen Namen, doch sein junger Ruhm ließ ihn erraten.<br />
Wie ein Franzose, unbekümmert um die Bedenken des späteren Historismus,<br />
stellte sich Fichte zu der gewaltsamen Umwälzung: gegen das Herkommen,<br />
auf dem Boden des Vernunftrechts. Der Gesellschaftsvertrag ist veränderlich.<br />
Es gibt keinen andern Adel als den der Gesinnung und des<br />
Verdienstes. Die Kirche hat keine Stelle in der sichtbaren Welt; ein Staat,<br />
der die Krücke der Religion noch braucht, zeigt, daß er lahm ist.<br />
Unsere offiziöse Philosophiegeschichte, die sich fast nur um Fichtes<br />
Metaphysik und um seine deutschen "Reden" bekümmert, möchte den<br />
Revolutionsmann am liebsten totschweigen, obgleich sie sehr gut weiß,<br />
Atheismusstreit 59<br />
daß er in dem Atheismusstreite ausgerufen hat, man verfolge in ihm den<br />
Jakobiner und nicht den Gottesleugner; dieser Unterdrückungsversuch<br />
gegen den Politiker Fichte macht es mir zur Pflicht, einige prachtvolle Sätze<br />
über die Monarchie und über die Kirche als Proben zu bieten. Wer seinen<br />
Verstand freimache, der werde in kurzem auch seinen Willen befreien.<br />
"Das rettet deine Ehre, unsterblicher Friedrich, und setzt dich an die ehrenvolle<br />
Reihe der Erzieher der Völker für Freiheit. Diese natürliche Folge<br />
unbemerkt sich entgehen lassen, konnte dein hell sehender Geist nicht; doch<br />
wolltest du den Verstand deiner Völker frei; du mußtest also sie selbst frei<br />
wollen, und hätten sie dir reif für die Freiheit geschienen, du hättest ihnen<br />
gegeben, wozu du unter einer zuweilen harten Zucht sie nur bildetest . . .<br />
Neben uneingeschränkter Denkfreiheit kann die uneingeschränkte Monarchie<br />
nicht bestehen." Was den Glauben betrifft, so habe Luther die Macht über<br />
die Köpfe dem römischen Despoten genommen und sie auf ein totes Buch<br />
übertragen. Mit äußerster Ironie wird den Gewalthabern der Religion<br />
der Rat gegeben, den inkonsequenten Protestantismus aufzugeben und<br />
zur römischen Kirche zurückzukehren. "Jede Ungereimtheit, die in Anspruch<br />
genommen wird, beweiset kühn durch eine andere, die etwas größer ist; es<br />
braucht einige Zeit, ehe der erschrockene menschliche Geist wieder zu sich<br />
selbst kommt und mit dem neuen Phantome sich bekannt genug macht, um<br />
es in der Nähe zu untersuchen: läuft es Gefahr, so spendet ihr aus dem unerschöpflichen<br />
Schatze euerer Ungereimtheiten ein neues; die vorige Geschichte<br />
wiederholt sich und so geht es fort bis an das Ende der Tage."<br />
Ernsthaft wird eine Trennung von Kirche und Staat gefordert: die Kirche<br />
hat ihr Gebiet in der unsichtbaren Welt und ist von der sichtbaren auszuschließen;<br />
ein Jeder kann der Kirche den Gehorsam aufkündigen; die<br />
Geistlichen dürfen fluchen, verbrennen dürfen sie aber nur einen, der gern<br />
verbrannt sein will, um selig zu werden. Die Maßregeln der Revolution<br />
gegen den Klerus werden gebilligt, auch die Einziehung der Kirchengüter.<br />
"Ich sehe wohl ein, warum ein weiser Staat keinen konsequenten Jesuiten<br />
dulden könne; aber ich sehe nicht ein, warum er den Atheisten nicht dulden<br />
sollte." Man begreift, aus welchem Grunde Fichtes Rechtfertigung der<br />
großen Revolution nach 1813 und wieder nach 1878 unbequem wurde;<br />
im Vormärz haben die um Ruge begeistert auf sie hingewiesen.<br />
Fichte wurde als Professor nach Jena berufen*) und gab dort (1795,<br />
nachdem er die Studenten entzückt und dann wieder durch seinen Eigensinn<br />
*) Reinhold, der für einen Philosophen galt, weil er die Terminologie von Fichte<br />
handhabte wie vorher die von Kant, R., der niemals den Anschluß an das jüngste Geschlecht<br />
versäumen wollte, der aber immerhin ernstliche Verdienste hat um die Verbreitung von<br />
Kants Vernunftkritik, hat es in dem Atheismusstreite fertig gebracht, sich nach wie vor zu