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Band 4 - m-presse

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78 Drittes Buch. Vierzehnter Abschnitt<br />

Sinne nach), dem Christentum eine Schrift zum Preise des Heidentums<br />

entgegenzustellen, "weil ich zu denen gehöre, die selbst gern ruhig sein<br />

mögen und auch das Volk nicht aufregen wollen."<br />

Endlich eine wunderliche Absage an den Pantheismus, eigentlich nur<br />

ein Abrücken von dem Worte, wie von jedem Worte, das Macht über ihn<br />

gewinnen will. In einem Briefe an Zelter (vom 31. Oktober 1831): „Die<br />

Frömmler habe ich von jeher verwünscht, die Berliner (Frömmler), so<br />

wie ich sie kenne, durchaus verflucht, und daher ist es billig, daß sie mich<br />

in ihrem Sprengel in den Bann tun. Einer dieses Gelichters wollte mir<br />

neulich zu Leibe rücken (vielleicht der Theologe Succowo) und sprach von<br />

Pantheismus. Da traf er's recht! Ich versicherte ihm mit großer Einfalt,<br />

daß mir noch niemand vorgekommen sei, der wisse, was das Wort<br />

heiße." Man könnte diese große Einfalt, diese sprachkritische Ironie recht<br />

gut für die letzte und überlegenste Meinung Goethes ausgeben, wenn er<br />

nur nicht—wie gesagt—dem Gottesbegriff gegenüber seine Feindschaft<br />

gegen Wortschälle mehr und mehr vergessen hätte.<br />

Das Wort Gott möchte wohl bei dem jungen und bei dem alten Goethe<br />

häufiger anzutreffen sein als bei irgendeinem anderen weltlichen Dichter;<br />

aber dieser Gott ist so sehr Goethes persönlicher Gott („Wie einer ist, so<br />

ist sein Gott"), daß die Theologen ganz recht behalten, wenn sie den tiefreligiösen<br />

Dichter zu den Gottlosen werfen. Die Beispiele könnten leicht<br />

ein Bändchen füllen. Ich gebe zunächst nur einige Proben aus den Gesprächen<br />

des Greises mit Eckermann.<br />

Am 20. Februar 1831 ist von der Teleologie die Rede. Goethe macht<br />

die wahrhaft tiefsinnige Bemerkung, die Frage Warum sei durchaus nicht<br />

wissenschaftlich, etwas weiter komme man mit der Frage Wie. (Beschreibung<br />

anstatt Erklärung.) Dann sagt er, daß die Nützlichkeitslehrer<br />

nur den Gott anbeten können, der dem Ochsen die Hörner gab, damit<br />

er sich verteidige. "Ich aber bete den an, der eine solche Produktionskraft<br />

in die Welt gelegt hat, daß, wenn nur der millionste Teil davon ins Leben<br />

tritt, die Welt von Geschöpfen wimmelt, so daß Krieg, Pest, Wasser und<br />

Brand ihr nichts anzuhaben vermögen. Das ist mein Gott."<br />

Am 23. Februar: "Ich frage nicht, ob dieses höchste Wesen Verstand<br />

und Vernunft habe, sondern ich fühle: es ist der Verstand, es ist die Vernunft<br />

selber."<br />

Am 28. Februar. „In dieser Hinsicht ist es denn schon ganz recht, daß<br />

alle Religionen nicht unmittelbar von Gott selber gegeben worden, sondern<br />

daß sie, als das Werk vorzüglicher Menschen, für das Bedürfnis und die<br />

Faßlichkeit einer großen Masse ihresgleichen berechnet sind. Wären sie<br />

ein Werk Gottes, so würde sie niemand begreifen; da sie aber ein Werk<br />

Goethe der Unchrist 79<br />

der Menschen sind, so sprechen sie das Unerforschliche nicht aus." Und der<br />

Agnostiker, der hier zu Worte kommt, redet bald darauf von dem „großen<br />

Wesen, welches wir die Gottheit nennen".<br />

Es hieße in Niederungen hinabsteigen, wollte man für Goethes tief<br />

eingewurzelte Feindschaft gegen die positiven Religionen, insbesondere<br />

gegen das Christentum, die bekannten Beweise noch einmal sammeln; nur<br />

eine Fälschung der Literaturgeschichte konnte diese Tatsache leugnen wollen.<br />

Noch eins. Goethe hat zeit seines Lebens im Genie etwas Göttliches<br />

erblickt; je älter er wurde, desto mehr verdichtete sich dieser spielerische<br />

Glaube an solche Wirkungen Gottes; ein Zufall hat es gefügt, daß diese<br />

fortwährende Wirksamkeit Gottes in höheren Naturen besonders deutlich<br />

ausgesprochen wird in dem letzten Gespräche (vom 11. März 1832), dessen<br />

Kenntnis wir dem treuen Eckermann verdanken. Goethe nennt Mozart,<br />

Raffael und Shakespeare; daß er aber durchblicken läßt, er rechne auch sich<br />

selbst zu solchen „Gottbegabten", läßt uns eben diese ganze Vorstellung<br />

leicht als ein egoistisches Spiel der Phantasie erkennen. Wie denn derselbe<br />

Goethe, der vom Tode nichts wissen und nichts hören wollte, als Greis<br />

gern mit dem Gedanken spielte, ein so erlesener Geist dürfte nicht zugrunde<br />

gehen, müßte die Unsterblichkeit besitzen. Göttlichkeit des Genies<br />

und Unsterblichkeitsglaube, beidemal ein halbbewußtes Spielen mit dem<br />

niemals völlig preisgegebenen Gottesbegriffe.<br />

Nichts wäre falscher, als Goethes und Voltaires Stellung zur Religion Goethe und<br />

gleichsetzen zu wollen, weil man mit trügenden Worten sagen könnte:<br />

beide wären Feinde des Christentums gewesen und hätten doch den Gottesbegriff<br />

nicht abgelehnt. In dem Widerspruch, ja dem Hasse gegen die<br />

christliche Theologie mag die Sache ja ungefähr stimmen, in der Negation;<br />

während aber Voltaire zu der religiösen Stimmung überhaupt gar kein<br />

Verhältnis besitzt und das Wort Gott nur noch aus Vorsicht beibehält,<br />

aus Vorsicht der Klugheit und der geistigen Schwäche, bekennt sich Goethe<br />

als Jüngling und als Greis unbeirrt zu dem, was ich gottlose Mystik nenne.<br />

Goethe hat zutiefst ein religiöses Bedürfnis außerhalb jeder Religion. Er<br />

versteht sich vollkommen nur auf Natur und Kunst, strebt nur nach einer<br />

Annäherung an die Wahrheit. In seiner Kunstübung kann er auch religiöse<br />

Vorstellungen brauchen, wie in seinen letzten Tagen, da er das Ende des<br />

„Faust" symbolisch formt. Jedermann kennt seinen Spruch: „Wer Wissenschaft<br />

und Kunst besitzt, hat auch Religion", und den von Verachtung des<br />

Pöbels eingegebenen Zusatz: „Wer diese beiden nicht besitzt, der habe<br />

Religion." Und gar seine Betrachtung der Natur lehrt immerdar nur den<br />

einen Gedanken gottloser Mystik: Einheit in der Natur und Einheit des<br />

Menschen mit der Natur. Zum ersten Male wird klar bewußt (klarer noch

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