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Band 4 - m-presse

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194 Viertes Buch. Fünfter Abschnitt<br />

jüdische Gott sei noch ein bestimmtes Wesen gewesen und darum nicht<br />

Geist; erst durch die Verwirklichung dieser Idee, die durch den Glauben an<br />

Christus populär ausgedrückt werde, sei diese Einheit verwirrt worden zu<br />

einer antikosmischen, der Wirklichkeitswelt feindlichen Weltanschauung, die<br />

denn auch für lange Zeit Wissenschaft und Kunst vernichtet habe; es habe<br />

nichts als Theologie gegeben, aber die Anwendung des angeborenen Denkens<br />

auf die Theologie („so unter der Hand") habe schließlich das Denken<br />

selbständiger gemacht und die Vernunft zum Selbstbewußtsein gebracht<br />

(es folgen vorzügliche Bemerkungen über die "Scheinheiligkeit" der mittelalterlichen<br />

Kunst, die ich auf die Scheinheiligkeit der Scholastik ausdehnen<br />

möchte) ; dieser Geist eines formalen Denkens, das der Kirche dienen<br />

wollte und die Dogmen schließlich überwand, sei der Geist des Protestantismus,<br />

in welchem der Logos erst Fleisch wurde; eine Fortführung des<br />

Protestantismus, der mitten in der Befreiung stehen geblieben war, mußte<br />

bis zu der allwissenden Vernunft gelangen, mußte die Natur wieder zu<br />

Ehren bringen, mußte die Erfahrung zur Grundlage einer neuen Methode<br />

machen. Mit so halbwahren Behauptungen überbrückt Feuerbach den<br />

Abgrund, der einen modernen Empiriker, und wäre er in der Sprache<br />

auch so scholastisch, wie Bacon oft war, von der Theologie des Mittelalters<br />

trennt, entwirft sodann von Bacon selbst ein Bild, zu welchem Feuerbach<br />

ein wenig Modell gesessen hat; die schweren menschlichen Verfehlungen<br />

Bacons werden mit einer verzeihlichen Charakterschwäche entschuldigt; es<br />

sei der Urfehler Bacons gewesen, neben der Philosophie ein Brotstudium<br />

zu wählen, an seiner gesetzmäßigen Gattin, der Wissenschaft, einen Ehebruch<br />

zu begehen. Es war aber doch wohl nicht dasselbe: wenn Francis<br />

Bacon Lordkanzler von England wurde und in dieser Herrscherstellung<br />

Verbrechen beging, wenn Ludwig Feuerbach immer wieder außerordentlicher<br />

Professor werden wollte und dafür kleine Menschlichkeiten beging.<br />

Als freier Schriftsteller lebte Feuerbach seit 1836 (bis 1860) in und<br />

bei Ansbach; hier lernte er Berta Löwe kennen, heiratete das schöne und<br />

tüchtige Mädchen, deren geschäftliches Verhältnis zu der Bruckberger<br />

Porzellanfabrik seine ökonomischen Verhältnisse ein wenig verbesserte,<br />

bis zu dem Bankerott der Fabrik. Berta Löwe war freigeistig und starkgeistig;<br />

Feuerbach konnte sich mit ihr über seine Entdeckung aussprechen,<br />

daß Gott nicht als ein Wesen für sich, sondern nur als ein Wesen für<br />

den Menschen vorzustellen wäre; noch in die Brautzeit fiel sein heftiger<br />

und guter Angriff gegen die neueste Philosophie des immer mehr<br />

christelnden Schelling, die freilich trotzdem wenige Jahre später mitsamt<br />

ihrem Urheber nach Berlin verpflanzt wurde, als Gegengift gegen die<br />

Linkshegelianer.<br />

Ludwig Feuerbach 195<br />

Hier in Bruckberg, an der Seite seiner Frau, vollzog sich seine Wandlung<br />

aus einem aufklärerischen Supranaturalisten zu einem scholastischen Materialisten,<br />

zu einem Antichristen; hier schrieb er außer vielen Abhandlungen,<br />

in denen er Schritt für Schritt von Hegel und den Hegelianern abrückte,<br />

ohne sich jedoch völlig von Hegels Sprache zu befreien, seine beiden Hauptwerke:<br />

„Wesen des Christentums" (1841) und „Wesen der Religion" (seit<br />

1845). Namentlich durch das erste Buch wurde er in Deutschland und über<br />

Deutschland hinaus berühmt als ein atheistischer Philosoph. Durch Ruge,<br />

der ihn übrigens auch an seiner geplanten, niemals zustande gekommenen<br />

freien Akademie anstellen wollte, war Feuerbach mit einem angesehenen<br />

Verleger in Verbindung gekommen, mit Otto Wigand, der seine Bücher<br />

dem Verfasser ordentlich bezahlte und sich ihre Verbreitung angelegen sein<br />

ließ. Sie wurden in fremde Sprachen übersetzt. So erlebte es Feuerbach<br />

noch in verhältnismäßig jungen Jahren, daß er allgemein, d. h. von den<br />

Freigeistern, als ein Führer zum Licht anerkannt wurde. Er, der auf die<br />

Universitätsprofessoren schimpfen konnte wie nur Schopenhauer — nur<br />

nicht so monumental und so einprägsam —, erlebte nun die Genugtuung,<br />

daß ihn, den Einsiedler von Bruckberg, die Heidelberger Studenten um<br />

einige religionsphilosophische Vorlesungen ersuchten. Das geschah im Jahre<br />

1848. An der politischen Revolution nahm Feuerbach keinen Teil; er war<br />

nur zum Schriftsteller geboren, nicht einmal zum Redner, geschweige<br />

denn zum Agitator oder zum Barrikadenkämpfer.<br />

Was Feuerbach nach 1848 noch veröffentlichte, das ist wieder nur<br />

für ein Verständnis seiner Persönlichkeit wichtig; auf die Zeit wirkte es<br />

fast nicht mehr, obgleich sich seine Freidenkerei in einigen seiner letzten<br />

Schriften zu einem krassen Materialismus steigerte; kein Wunder, denn<br />

die wahren Materialisten, die jetzt auf den Schauplatz traten (Moleschott,<br />

Vogt, Büchner), kamen nicht mehr unmittelbar von Hegel her und waren<br />

denn doch als Naturwissenschaftler besser ausgerüstet; übrigens wollten<br />

die folgenden Jahrzehnte von Philosophie nichts mehr wissen, und Feuerbach<br />

galt für einen Philosophen.<br />

Nach einem entsagungsreichen Arbeitsleben lernte der alternde Feuerbach<br />

auch noch die Not kennen. Der Bankerott der Bruckberger Porzellanfabrik<br />

brachte Armut und Obdachlosigkeit. Feuerbach dachte zuerst wieder<br />

daran, nach Amerika auszuwandern; Europa sei ein Gefängnis. Er ließ<br />

sich endlich in Rechenberg bei Nürnberg nieder und verbrachte dort, in<br />

verbitterter Einsamkeit, seine letzten Lebensjahre. Hier schrieb er in sein<br />

Tagebuch: "Bruckberg war bei meinen beschränkten Mitteln die Basis<br />

meiner Ökonomie, aber die Ökonomie ist die Basis der Philosophie und<br />

Moral. Meine Scheidung von Bruckberg ist eine Scheidung der Seele

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