Band 4 - m-presse
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268 Viertes Buch. Siebenter Abschnitt<br />
des Unaussprechlichen, die Möglichkeit, zu sagen, was er als Jüngling in<br />
religiösen Kämpfen gelitten hätte, im Ringen mit kirchlichen pietistischen<br />
und materialistischen Gedanken, die formlos von außen auf ihn eindrangen.<br />
Er fand die gemeinsame Seelensituation der Gottlosigkeit zwischen Dichter<br />
und Leser noch nicht vor, er mußte sie erst erzeugen, und in dieser Absicht<br />
— darum meine ganze Abschweifung — bediente er sich des Knittelverses.<br />
Mit genialem Instinkte, sicherlich nicht mit bewußtem Kunstverstande.<br />
Und ohne den Vorwurf zu scheuen, daß ich die Abschweifung über Gebühr<br />
ausdehne, möchte ich noch etwas über den Knittelvers bei Goethe hinzufügen.<br />
Die Götter Griechenlands waren auch bei den Humanisten der Renaissance<br />
nicht mehr lebendige Gestalten des Glaubens, blieben aber für die<br />
Kunst und für die Ästhetik (durch die Lateinschule) lebendige Symbole;<br />
nur ganz langsam brach sich die Überzeugung Bahn, die besonders durch<br />
Goethes Bekehrung zur Antike und durch Schillers Sehnsucht nach der<br />
Antike aufgehalten wurde, daß die alten Götter auch für unsere Kunst tote<br />
Symbole zu heißen verdienten. Mit den Gestalten des christlichen Himmels<br />
hatte es eine ganz andere Bewandtnis. Je mehr der robuste Glaube an<br />
ihre lebendige Kraft schwand, desto ungeeigneter schienen sie zunächst für<br />
die Kunst zu sein; die Kritik der Deisten und der Spott der Enzyklopädisten<br />
schien sie noch rascher als die Götter Griechenlands zu toten Symbolen<br />
zu machen. Da war Goethe einer der ersten und jedesfalls der reinste<br />
Dichter, der die Gestalten des christlichen Himmels als lebendige Kunstsymbole<br />
erfaßte. Der Herrgott und der Teufel, der Heiland und Maria<br />
nebst allen Heiligen wurden ihm zu Gegenständen der Poesie, ohne daß<br />
er an diese Vorstellungen geglaubt hätte. Und wenn er zur Darstellung<br />
den alten Knittelvers aus der Reformationszeit benützte, im Prolog im<br />
Himmel, im Ewigen Juden, in der Legende vom Hufeisen, so schien er,<br />
mit romantischer Ironie vor der Romantik, sagen zu wollen: Ihr hört ja,<br />
daß ich nicht meine eigene Sprache rede, daß ich unter der Maske einer<br />
gläubigen Zeit auftrete. Ein Kasperltheater zeige ich euch. Ihr werdet<br />
fühlen, daß an den alten Gestalten immer noch genug Neues zu schauen<br />
und zu erleben ist.<br />
Und das Wunder geschah. Jesus kam ganz überquer gestolpert über<br />
Sterne her, der Herr sprach menschlich mit dem Teufel selbst, um eine Wette<br />
über die Seele des Faust abzuschließen, verkannt und sehr gering unser<br />
Herr auf der Erde ging, und viele Jünger sich zu ihm fanden, die sehr selten<br />
sein Wort verstanden. Ich weiß nicht, ob ich ganz deutlich gewesen bin.<br />
Das war der neue Ton, der so nicht hätte erklingen können, ohne den leise<br />
ironischen Gebrauch einer alten Sprache. Hans Sachs selbst dachte an<br />
Gottfried Keller 269<br />
solche Wirkungen nicht; weil sein Knittelvers noch nicht historisches Kostüm<br />
war und weil er noch glaubte; und Goethe hätte seine Wirkungen nicht<br />
erreichen können, wenn ihm die altfränkische Sprache nicht ermöglicht hätte,<br />
den Schein des Glaubens vorzutäuschen.<br />
Ich will es dahingestellt sein lassen, wie oft bei den freieren Romantikern<br />
(Tieck) der mittelalterliche Glaube nur so ein ironisches, überlegenes Spiel<br />
war; jedesfalls hatte der junge Schelling von Goethe gelernt, schlecht gelernt,<br />
epikureische Ketzereien in der harmlosen Form von Knittelversen<br />
vorzutragen. Und nun endlich von Goethe zu Keller.<br />
Unsere Zeit hatte nicht mehr nötig, die Maske eines gläubigen Hans Keller<br />
Sachs vorzunehmen. Die Gottlosigkeit war so mächtig geworden, daß<br />
die gemeinsame Seelensituation zwischen Dichter und Leser sich von selber<br />
herstellte. In schlichter Prosa wurden die frommen Geschichten erzählt,<br />
die dadurch allein kindlich-drollig wirkten, daß sie unglaublich waren; nur<br />
etwa, daß der feierliche Ernst des Chronikenstils oder einzelne Lieblingsworte<br />
aus den alten Legenden oder aber die treuherzige Mundart des<br />
Volkes die Wirkung erhöhten; der Witz beruhte auf dem Gegensatze zwischen<br />
den Worten des Glaubens und dem ungeglaubten Inhalte.<br />
So schuf Gottfried Keller mit meisterlicher Beschränkung seine „Sieben<br />
Legenden". Da werden die Gestalten des christlichen Glaubens durch den<br />
Tod des Christentums erst zu lebendigen Symbolen. Das Ende der Renaissance<br />
ist angebrochen, die den Versuch gemacht hatte, die Götter der antiken<br />
Welt zu lebendigen Symbolen zu machen. Jetzt werden die Götter des<br />
Christenhimmels abgeschafft, wie einst die des Olympos, innerlich abgeschafft,<br />
nicht in Feindschaft, nicht durch eine Revolution; nein, sie sind<br />
eines natürlichen Todes gestorben, sie werden von trauernden Menschen,<br />
die als Kinder noch an sie geglaubt haben, feierlich begraben, mit Andacht,<br />
Wehmut und mit beträchtlichem Humor beim Leichenschmause.<br />
Wie weit der Abstand auch sein mag, so beruht doch die „Tiroler<br />
Bauernbibel" von Rudolf Greinz auf dem gleichen Kunstprinzip. Der<br />
Verfasser selbst bleibt ernst, und Jörg, der diese biblische Geschichte angeblich<br />
niederschreibt, macht nur schlechte Späße, die nirgends gegen den Bibelglauben<br />
gerichtet sind. Dennoch lacht der Leser, in geheimem Einverständnisse<br />
mit dem Dichter, über die alten Fabeln, die einst für heilig galten, und<br />
lacht am herzlichstem dann, wenn die letzten frommen Leser mitlachen,<br />
weil sie das Ganze für einen dummen Spaß des Jörg halten.<br />
Ich könnte auch einige von meinen eigenen "Gesprächen im Himmel"<br />
anführen, die mir mit gutem Rechte die Götter des christlichen Himmels<br />
als lebendige Symbole zu verwenden scheinen. Ich könnte überdies erwähnen,<br />
daß eine solche verständnisinnige Übereinstimmung zwischen