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Band 4 - m-presse

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322<br />

Viertes Buch. Achter Abschnitt<br />

So besitzen wir an Dühring einen wunderlichen Atheisten, der in<br />

religiös gefärbten Worten "Antireligion" predigt, wirklich predigt. Das<br />

Lachen vergeht einem mit dem Zorn, wenn er in seinem Schlußkapitel<br />

nach einem wütenden Zornausbruch gegen die Geschäftsantisemiten,<br />

die "Daitschisten", gegen den Hauptverjuder Bismarck (dieses "Figürchen"),<br />

gegen den "Narren" Gobineau seine eigene negative und positive Antireligion<br />

anpreist, ohne uns zu sagen, worin sie bestehe. Sein Buch, fast<br />

immer abstoßend in der Form, ist inhaltlich nicht imstande, irgendeinen<br />

der entscheidenden Begriffe zu klären. Der früher ein scharfer Kritiker<br />

mathematischer und mechanischer Begriffe war, versagt völlig auf dem<br />

Gebiete der Theologie. In seiner Scheu, zu den negativen Geistern<br />

gerechnet zu werden, redet er wirres Zeug, wo reine Negation am Platze<br />

wäre. Er verteidigt den Optimismus, glaubt an eine waltende Gerechtigkeit,<br />

an "das Moralische im Grunde der Dinge", glaubt an absolute Werte<br />

und versichert seinen für ihn, dem so übel mitgespielt wurde, besonders<br />

ehrenvollen Glauben mit so abgestandenen Redensarten, daß es nicht<br />

schwer wäre, aus dem schimpfenden Prediger der Antireligion den christlichen<br />

Deismus des 18. Jahrhunderts mit all seiner Moral und seiner<br />

Millionenumschlingung (die Juden natürlich ausgenommen) wieder herzustellen.<br />

Seine Bosheit ist noch stärker als sein Erkenntnisdrang; auf<br />

Robinsons Eiland würde er seine Bosheit gegen sich selbst kehren wie ein<br />

verwundeter Skorpion.<br />

Wie ein Gegenfüßler Dührings erscheint auf den ersten Blick der gefällige<br />

Theologe Adolf Harnack (geb. 1851), anerkannt als eine Zierde der<br />

gelehrten Welt, mit allen Ehren überschüttet, der jüngste Ritter und Retter<br />

der christlichen Religion. Und doch, wie Dühring, der Sohn einer unselbständigen<br />

Zeit, die von Bismarck viel gelernt hatte, nur das eine nicht:<br />

daß der stärkste Mann allein stehen muß, wenn er sein Bestes tun will.<br />

Wie Ibsens Volksfeind. Wie vorher schon Schillers Tell. Harnack und<br />

Dühring glaubten beide ehrlich, die Gemeinde erst geschaffen zu haben,<br />

an deren Spitze sie sich stellten; beide irrten, denn die Zuläufer — nicht<br />

so zahlreich, wie es schien — kamen zu ihnen von längst bestehenden Parteien<br />

her, zu Dühring gesellten sich die ewig Unzufriedenen, zu Harnack<br />

die ewig Zufriedenen.<br />

Abtrünnige Schüler Hegels waren die Männer, die an die Stelle<br />

des lebendigen Christentums eine Geschichte des Christentums zu setzen<br />

suchten, Religionsgeschichte und Religionsvergleichung an Stelle der<br />

Religion. Die Zeit zwischen den beiden blutigen Revolutionskomödien<br />

von 1830 und 1848 ist ausgefüllt mit solcher historischer Kritik, die zerstörend<br />

wirkte auf den Christenglauben und auf den Gottglauben. Die<br />

H a r n a c k 3 2 3<br />

erneute politische Reaktion, die 1849 einsetzte und in den Geisteswissenschaften<br />

bis heute mächtig geblieben ist, trotz dem Kulturkampf von 1872<br />

und der Weltrevolution von 1918 — die Reaktion hat die geschichtliche<br />

Kleinforschung nicht verstummen lassen, hat aber ihrer verneinenden Richtung<br />

vielfach ein Ende gemacht. Religionsgeschichte ist mit erstaunlichem<br />

Scharfsinn und scheinbarer Freiheit fortgeführt worden, doch die Absicht<br />

war jetzt, die Außenwerke der christlichen Religion preiszugeben, um die<br />

bedrohte Festung selbst zu retten. Ein verzweifelter Versuch von Wissenschaftlern,<br />

die abgesetzte Theologie im Range einer Wissenschaft zu erhalten.<br />

Es wäre ungerecht und unhistorisch, diese ritterlichen Liebhaber einer<br />

Dulzinea für Heuchler zu erklären. Bewußt oder unbewußt heuchlerische<br />

Mitläufer einer siegtrunkenen Bewegung hat es immer gegeben; aber<br />

die liberalen Theologen, von denen ich jetzt nur den einen, Harnack, nenne,<br />

machen durchaus den Eindruck, als ob sie davon überzeugt wären: die<br />

Menschheit müßte in Trümmer gehen ohne das Christentum und ohne<br />

den Gottglauben, Gott und Jesus Christus müßten der Menschheit erhalten<br />

bleiben. Keine Scheu könnte mich abhalten, Harnack und andere<br />

Justament-Christen um ihrer Sprachsünden willen auszulachen; nur daß<br />

ich nicht lachen kann, weil ich die Tragik in dem Geistesleben dieser Männer<br />

wahrzunehmen glaube. Der Märtyrer ist immer tragisch, mag er sich<br />

für eine Lehre der Zukunft aufopfern oder für eine Lehre der Vergangenheit.<br />

Ich halte es aber für meine Pflicht, auf einige Gedankensünden<br />

dieser verspäteten Märtyrer hinzuweisen. An der Ehrlichkeit Harnacks<br />

zu zweifeln, an der Ehrlichkeit in der Hauptsache, könnte nur ein böserer<br />

Mensch, als ich zu sein hoffe; daß Harnack als einer der vielen Lieblinge<br />

von Wilhelm II. mitunter die Fünf gerade sein ließ, scheint mir ein unbeträchtlicher<br />

Nebenumstand in der ganzen furchtbaren letzten Geschichte<br />

Deutschlands.<br />

Als Gelehrter übertrifft Harnack alle seine Vorgänger an Vorurteilslosigkeit<br />

und Offenheit. Wer sein mit Recht berühmtes "Lehrbuch der<br />

Dogmengeschichte" (seit 1886 mehrfach aufgelegt) dankbar gelesen hat,<br />

muß zu der Überzeugung kommen, der Verfasser habe endgültig an Stelle<br />

der Religion eine pragmatische und sehr irdische Religions g e s ch i ch t e<br />

gesetzt; hier ist die Wissenschaft so streng, daß nicht einmal die Redensart<br />

sich vorwagt, dem Volke müsse das Christentum erhalten bleiben. Und<br />

die anderen, erstaunlich zahlreichen und doch gründlichen historischen<br />

Arbeiten Harnacks vertiefen noch diesen Eindruck. Aber eine populäre<br />

Schrift des Mannes, "Das Wesen des Christentums", seit 1900 in vielen<br />

Abdrücken verbreitet, findet den Weg zurück zu einem gewissen jüdischchristlichen<br />

Positivismus. Die jüdische Religionsgeschichte wird die Religions­

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