Band 4 - m-presse
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Viertes Buch. Achter Abschnitt<br />
So besitzen wir an Dühring einen wunderlichen Atheisten, der in<br />
religiös gefärbten Worten "Antireligion" predigt, wirklich predigt. Das<br />
Lachen vergeht einem mit dem Zorn, wenn er in seinem Schlußkapitel<br />
nach einem wütenden Zornausbruch gegen die Geschäftsantisemiten,<br />
die "Daitschisten", gegen den Hauptverjuder Bismarck (dieses "Figürchen"),<br />
gegen den "Narren" Gobineau seine eigene negative und positive Antireligion<br />
anpreist, ohne uns zu sagen, worin sie bestehe. Sein Buch, fast<br />
immer abstoßend in der Form, ist inhaltlich nicht imstande, irgendeinen<br />
der entscheidenden Begriffe zu klären. Der früher ein scharfer Kritiker<br />
mathematischer und mechanischer Begriffe war, versagt völlig auf dem<br />
Gebiete der Theologie. In seiner Scheu, zu den negativen Geistern<br />
gerechnet zu werden, redet er wirres Zeug, wo reine Negation am Platze<br />
wäre. Er verteidigt den Optimismus, glaubt an eine waltende Gerechtigkeit,<br />
an "das Moralische im Grunde der Dinge", glaubt an absolute Werte<br />
und versichert seinen für ihn, dem so übel mitgespielt wurde, besonders<br />
ehrenvollen Glauben mit so abgestandenen Redensarten, daß es nicht<br />
schwer wäre, aus dem schimpfenden Prediger der Antireligion den christlichen<br />
Deismus des 18. Jahrhunderts mit all seiner Moral und seiner<br />
Millionenumschlingung (die Juden natürlich ausgenommen) wieder herzustellen.<br />
Seine Bosheit ist noch stärker als sein Erkenntnisdrang; auf<br />
Robinsons Eiland würde er seine Bosheit gegen sich selbst kehren wie ein<br />
verwundeter Skorpion.<br />
Wie ein Gegenfüßler Dührings erscheint auf den ersten Blick der gefällige<br />
Theologe Adolf Harnack (geb. 1851), anerkannt als eine Zierde der<br />
gelehrten Welt, mit allen Ehren überschüttet, der jüngste Ritter und Retter<br />
der christlichen Religion. Und doch, wie Dühring, der Sohn einer unselbständigen<br />
Zeit, die von Bismarck viel gelernt hatte, nur das eine nicht:<br />
daß der stärkste Mann allein stehen muß, wenn er sein Bestes tun will.<br />
Wie Ibsens Volksfeind. Wie vorher schon Schillers Tell. Harnack und<br />
Dühring glaubten beide ehrlich, die Gemeinde erst geschaffen zu haben,<br />
an deren Spitze sie sich stellten; beide irrten, denn die Zuläufer — nicht<br />
so zahlreich, wie es schien — kamen zu ihnen von längst bestehenden Parteien<br />
her, zu Dühring gesellten sich die ewig Unzufriedenen, zu Harnack<br />
die ewig Zufriedenen.<br />
Abtrünnige Schüler Hegels waren die Männer, die an die Stelle<br />
des lebendigen Christentums eine Geschichte des Christentums zu setzen<br />
suchten, Religionsgeschichte und Religionsvergleichung an Stelle der<br />
Religion. Die Zeit zwischen den beiden blutigen Revolutionskomödien<br />
von 1830 und 1848 ist ausgefüllt mit solcher historischer Kritik, die zerstörend<br />
wirkte auf den Christenglauben und auf den Gottglauben. Die<br />
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erneute politische Reaktion, die 1849 einsetzte und in den Geisteswissenschaften<br />
bis heute mächtig geblieben ist, trotz dem Kulturkampf von 1872<br />
und der Weltrevolution von 1918 — die Reaktion hat die geschichtliche<br />
Kleinforschung nicht verstummen lassen, hat aber ihrer verneinenden Richtung<br />
vielfach ein Ende gemacht. Religionsgeschichte ist mit erstaunlichem<br />
Scharfsinn und scheinbarer Freiheit fortgeführt worden, doch die Absicht<br />
war jetzt, die Außenwerke der christlichen Religion preiszugeben, um die<br />
bedrohte Festung selbst zu retten. Ein verzweifelter Versuch von Wissenschaftlern,<br />
die abgesetzte Theologie im Range einer Wissenschaft zu erhalten.<br />
Es wäre ungerecht und unhistorisch, diese ritterlichen Liebhaber einer<br />
Dulzinea für Heuchler zu erklären. Bewußt oder unbewußt heuchlerische<br />
Mitläufer einer siegtrunkenen Bewegung hat es immer gegeben; aber<br />
die liberalen Theologen, von denen ich jetzt nur den einen, Harnack, nenne,<br />
machen durchaus den Eindruck, als ob sie davon überzeugt wären: die<br />
Menschheit müßte in Trümmer gehen ohne das Christentum und ohne<br />
den Gottglauben, Gott und Jesus Christus müßten der Menschheit erhalten<br />
bleiben. Keine Scheu könnte mich abhalten, Harnack und andere<br />
Justament-Christen um ihrer Sprachsünden willen auszulachen; nur daß<br />
ich nicht lachen kann, weil ich die Tragik in dem Geistesleben dieser Männer<br />
wahrzunehmen glaube. Der Märtyrer ist immer tragisch, mag er sich<br />
für eine Lehre der Zukunft aufopfern oder für eine Lehre der Vergangenheit.<br />
Ich halte es aber für meine Pflicht, auf einige Gedankensünden<br />
dieser verspäteten Märtyrer hinzuweisen. An der Ehrlichkeit Harnacks<br />
zu zweifeln, an der Ehrlichkeit in der Hauptsache, könnte nur ein böserer<br />
Mensch, als ich zu sein hoffe; daß Harnack als einer der vielen Lieblinge<br />
von Wilhelm II. mitunter die Fünf gerade sein ließ, scheint mir ein unbeträchtlicher<br />
Nebenumstand in der ganzen furchtbaren letzten Geschichte<br />
Deutschlands.<br />
Als Gelehrter übertrifft Harnack alle seine Vorgänger an Vorurteilslosigkeit<br />
und Offenheit. Wer sein mit Recht berühmtes "Lehrbuch der<br />
Dogmengeschichte" (seit 1886 mehrfach aufgelegt) dankbar gelesen hat,<br />
muß zu der Überzeugung kommen, der Verfasser habe endgültig an Stelle<br />
der Religion eine pragmatische und sehr irdische Religions g e s ch i ch t e<br />
gesetzt; hier ist die Wissenschaft so streng, daß nicht einmal die Redensart<br />
sich vorwagt, dem Volke müsse das Christentum erhalten bleiben. Und<br />
die anderen, erstaunlich zahlreichen und doch gründlichen historischen<br />
Arbeiten Harnacks vertiefen noch diesen Eindruck. Aber eine populäre<br />
Schrift des Mannes, "Das Wesen des Christentums", seit 1900 in vielen<br />
Abdrücken verbreitet, findet den Weg zurück zu einem gewissen jüdischchristlichen<br />
Positivismus. Die jüdische Religionsgeschichte wird die Religions