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Band 4 - m-presse

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422 Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />

dung zwischen dem Dichten und dem Grübeln unserer Zeit, zwischen Goethe<br />

und der gottlosen Mystik. Wenn uns nur jemand mit Sicherheit sagen<br />

könnte, was das Schlagwort "Pantheismus" eigentlich in sich begreife.<br />

Die Unfaßbarkeit des Pantheismus rührt auch daher, daß zwei völlig<br />

getrennte Wege zu dem scheinbar gleichen Bekenntnisse führen, daß diese<br />

zweierlei Pantheisten in der Stimmung ihrer Weltanschauung, in ihrer<br />

Seelensituation durchaus verschieden sind. Das wird auf den ersten Blick<br />

deutlich, wenn wir sehen, daß der Pantheismus in beiden Fällen an dem<br />

Gottesbegriffe festhält, also an dem Worte, und nur den Forderungen<br />

der alten Orthodoxie nicht entspricht, daß aber die eine Gruppe (man<br />

denke zunächst an den Pantheismus unserer Monisten) den Gottesbegriff<br />

nur noch heuchlerisch oder unklar im Munde führt, im Grunde in mechanistischen<br />

und rationalistischen Vorstellungen denkt und mit vollem Recht<br />

des Atheismus „beschuldigt" wird, daß die andere Gruppe (man denke an<br />

die großen und die kleinen Mystiker, die eine Verbindung mit Gott nur noch<br />

viel inbrünstiger fühlt, als die Rechtgläubigen ihre Religion) zwar nicht<br />

idealistisch, aber durchaus antirationalistisch ist. Diese beiden Gruppen<br />

reden nicht die gleiche Sprache, können einander nicht verstehen und<br />

sollten einander niemals bekämpfen wollen.*)<br />

Der eine Weg, der des Vernunftgebrauchs, ist häufig von den<br />

Leuten beschritten worden, mit denen unsere Geschichte sich zu beschäftigen<br />

hatte. Er hat in dem langsamen Aufstiege der Aufklärung zum Abfall von<br />

jeder positiven Religion geführt, zu dem ebenso unklaren Deismus, dessen<br />

einflußreichster und glänzendster Verkünder Voltaire war. Erst als dieser<br />

bildlose Deismus und dazu der graue Materialismus des 18. Jahrhunderts<br />

das Herz, das Gemüt, das Gefühl, kurz die Sehnsucht unbefriedigt<br />

ließ, holten sich die neuen Aufklärer einige poetische Werte, ich will nicht<br />

*) Ich habe schon mehrfach auf den Zusammenhang zwischen den echten Pietisten und<br />

den Pantheisten hingewiesen. Einer der ersten und vorzüglichsten Pietisten, Theodor Under-<br />

Eyck aus Duisburg, hat — hundert Jahre vor der französischen Revolution — für die eigentlich<br />

gottlose Mystik des Pantheismus den längst wieder untergegangenen Ausdruck Syntheismus<br />

vorgeschlagen. Mit unglücklichen Hinweisen auf hebräische und griechische Schriftworte.<br />

Er meinte ungefähr — wie Angelus Silesius — ein besonders inniges Einsgefühl,<br />

Mitgefühl, mit dem All, frei von Konfession. Wer dieses Mitgefühl nicht besitzt, der ist in<br />

seinen Augen ein Atheist, auch wenn er sich selbst für einen Wiedergeborenen hielte, für<br />

einen besonders frommen. Ihm ist wahre Frömmigkeit ganz außerhalb jedes Bekenntnisses.<br />

Es wäre hübsch gewesen, wenn die Bezeichnung "Syntheismus" sich durchgesetzt hätte. —<br />

Under-Eyck (geb. 1635, gest. 1693) war (nach dem Urteil von Hase) für die reformierte<br />

Kirche so bedeutend wie Spener für die lutherische. Er hat die Forderung des Syntheismus<br />

unumwunden ausgesprochen in einer krausen, in der Absicht gegen die Gottesleugner gerichteten,<br />

für uns nur noch schwer lesbaren Schrift, die — nahe an tausend Seiten stark — im<br />

Jahre 1689 erschienen ist: "Der Närrische Atheist, entdeckt und seiner Torheit überzeuget."<br />

Gottfried Arnold hat auch diesen Ketzer verteidigt.<br />

Pantheismus 423<br />

sagen Schlagworte, aus dem anderen Lager und pfropften etwa die unbestimmte<br />

Andacht Rousseaus (auch Spinozas) auf ihre durchaus gottlose<br />

Erkenntnis. Robespierre und Kant waren Schüler Rousseaus, Goethe<br />

ein Schüler von Rousseau und Spinoza. Alle drei Männer ehrlich und unbestechlich,<br />

aber nicht hart genug (auch Robespierre zu weich), um es zeitlebens<br />

in der eisigen Negation, im Nichtwissen von Gott aushalten zu<br />

können. Nicht sprachkritisch genug.<br />

Der andere Weg ist der Weg der deutschen Mystiker, der deutschen,<br />

sage ich, weil diese Weltanschauung, mag sie auch tief in der Menschennatur<br />

begründet liegen und sich ihre Bilder aus einem orientalisierten Aristoteles<br />

geholt haben, fast ausschließlich von der wesentlich ketzerischen deutschen<br />

Frömmigkeit geformt worden ist. Die eigentümliche Ketzerei der deutschen<br />

Mystik ist nur unter dem Begriffe des Pantheismus mit philosophischen<br />

Systemen zu vereinigen; es soll aber nicht geleugnet werden, daß die<br />

Christlichkeit der großen (und gar der kleinen) Mystiker doch noch stärker<br />

ist als ihre Ketzerei; es ist darum ein wenig unhistorisch, ihren pantheistischen<br />

Zug, weil er dem unchristlichen Pantheismus der deutschen Aufklärer, der<br />

Junghegelianer, nahe verwandt scheint, ausschließlich hervorzuheben.<br />

Mit diesem Vorbehalte will ich es dennoch tun, für die beiden auch im<br />

sprachlichen Ausdrucke deutschesten Mystiker: für Meister Eckhart und für<br />

Angelus Silesius. Die anderen mystischen Prediger, die Okkultisten und<br />

auch der liebe Schwätzer Jakob Böhme scheinen mir eine solche Beachtung<br />

nicht zu verdienen; sie waren mehr inbrünstig oder mehr unklar als mystisch.<br />

Zu dem Philologenstreit über die Frage, ob Meister Eckhart die unter<br />

seinem Namen spät genug gesammelten Aufsätze und Predigten selbst in<br />

deutscher Sprache verfaßt habe oder nicht, möchte ich mich hier nicht<br />

äußern, da wir es nach meiner Überzeugung bei der Bewertung seiner<br />

Schriften eben nur mit dieser deutschen Fassung zu tun haben können.<br />

Wenn Denifle mit seiner Behauptung recht hatte, daß der Verfasser der<br />

von ihm aufgefundenen lateinischen Schriften der alleinige Eckhart war,<br />

übrigens ein schwächerer und unklarerer Scholastiker, so blieben dennoch<br />

die dann von einem Unbekannten hergestellten, aus dem lateinischen<br />

Eckhart so rätselhaft schön übersetzten deutschen Schriften bestehen, und<br />

deren tiefe Wirkung auf uns, eine Wirkung freilich, die vielen erst durch<br />

Schopenhauer suggeriert worden sein mag. Schopenhauer hatte in der<br />

Manie seines Systems geschrieben: „Buddha, Eckhart und ich lehren im<br />

wesentlichen dasselbe, Eckhart in den Fesseln seiner christlichen Mythologie.<br />

Im Buddhaismus liegen dieselben Gedanken, unverkümmert durch solche<br />

Mythologie, daher einfach und klar, soweit eine Religion klar sein kann.<br />

Bei mir ist die volle Klarheit." Liebe zu Eckhart findet sich aber auch

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