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Band 4 - m-presse

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320<br />

Viertes Buch. Achter Abschnitt<br />

sondern eine Geisteshaltung, die sich bei Jedem auf Grund von Lernen<br />

und eigener Erfahrung freiwillig zur Selbstgestaltung besseren Sinnes<br />

und besseren Wesens herausbilden und auch nach Außen geltend machen<br />

soll" (S. 287). Entgegen dieser späteren Bescheidung nannte er aber sein<br />

positives Buch doch: „Der Ersatz der Religion durch Vollkommeneres und<br />

die Abstreifung alles Asiatismus."<br />

Das Buch war zuerst 1882, dann wieder 1896 erschienen. Vom ersten<br />

bis zum letzten Worte behält man den Eindruck, daß der verbitterte Verfasser<br />

zwar auf Geistesfreiheit ausgeht, daß aber im Mittelpunkte seines Denkens<br />

weniger große Erkenntnissehnsucht als kleiner Judenhaß herrscht; so bekämpft<br />

er eigentlich nicht so sehr den Gottesbegriff, als den alten Judengott. Auch<br />

das Christentum, das er immer Jesuismus nennt, haßt er als die Judenreligion;<br />

was er am Christentum etwa gelten läßt, möchte er „christisch"<br />

anstatt „christlich" genannt wissen; es sei das das Neue, das die germanischen<br />

Völker dem Jesuismus hinzugefügt haben. Dühring verlangt nicht Freiheit<br />

in der Religion, sondern Freiheit von der Religion. Die besten Kritiker<br />

des Christentums werden wieder in trauriger Manier beschimpft; die Schriften<br />

von Strauß und Renan wären „Machwerke von (?) und für Juden gewesen".<br />

Auch der ursprüngliche, apostolische Jesuismus hat nichts getaugt,<br />

sei spitzbübischer Kommunismus gewesen. Das Beste, was die Griechen<br />

hinzufügten, war das Verstandesmäßige. Die Krenzzüge waren Kriege des<br />

einen Asiatismus gegen den anderen. Dante und Milton werden beschimpft;<br />

ein bißchen auch Newton, weil auch er christgläubig war. „Engländer sind<br />

nur in sehr beschränkter Weise als Germanen zu betrachten." Spinoza<br />

ist von jüdischer Habsucht (!) und sinnlicher Gier (!) nicht frei. Lessing ist ein<br />

abergläubischer Judenmischling, Voltaire steht weit höher. Ich werde im<br />

folgenden versuchen, den Judenhaß Dührings womöglich (nicht immer, das<br />

geht nicht) unerwähnt zu lassen; das Bild würde sonst zu sehr getrübt.<br />

Was verschwinden muß, das ist der wesentlich hebräische Jesuismus<br />

samt dem christlichen Namen; an die Stelle treten soll Freiheitlichkeit<br />

und Individualisierung, Gerechtigkeitssinn und Treue der Germanen,<br />

die nur bezüglich des Verstandes zu wünschen übrig lassen. Weder Wissenschaft<br />

noch Kunst können den alten Aberglauben abschaffen, noch gar dem<br />

Geiste eine neue Weltanschauung bieten. Auch Richard Wagner hat mit<br />

seiner Fopperei nur ein Surrogat geboten. Dühring gibt das „Vollkommenere",<br />

das nicht Religion sein will. Der freie Sinn in der Religion<br />

duldet nicht alle Glaubensformen, von denen der Mohammedanismus<br />

noch die beste ist, sondern nur eine, in der zwischen Göttern und Menschen<br />

freie und anständig edle Beziehungen vorgestellt werden. Der Mensch<br />

hat nur sich selbst Rechenschaft zu geben; vorsichtiger ausgedrückt: die<br />

Eugen Dühring 321<br />

Welt des Menschen. Der Grund des Seins ist gut. Pessimisten sind schlechte<br />

Menschen. Der neue Glaube muß deutsch sein, aber nicht christlich, wie<br />

der deutsche Glaube der Romantiker war. Aber Dühring wird plötzlich<br />

tolerant. "Dieser Gott ist nicht so beschränkt, nur deutsche oder überhaupt<br />

germanische Züge tragen zu wollen." Anthropomorphisch bleibt der Gott<br />

immer. Die Gemütsbürgschaft moderner Völker will eine optimistische<br />

Weltanschauung und einen gerechten Gott. Aber die modernen Völker<br />

werden mehr tun; "sie werden eine Geisteshaltung und Geistesführung<br />

hervorbringen, deren Kraft über alles, was bisher Religion hieß, weit<br />

erhaben ist." Mit einer gewissen Rauhbeinigkeit, die nur sehr fern und<br />

häßlich an Nietzsches stolze Abwendung von seinen eigenen Anhängern<br />

erinnert, wendet sich Dühring gegen die anderen Deutschtümler, Deutschheuchler<br />

und politischen Macher, die näher besehen Judenblut seien.<br />

Endlich entschließt sich Dühring zur Darstellung und Kritik der Hauptbegriffe.<br />

Der Unsterblichkeitsglaube sei die Verirrung einer an sich nicht<br />

unberechtigten Selbstsucht, die entscheidende Ursache sei die Eitelkeit; den<br />

äußersten Aberglauben stelle die Geisterseherei der Spiritisten dar. Die<br />

Vorstellung von Gott sei, auch noch bei den Monisten ("die sich, was recht<br />

widerlich ist, atheistisch gebärden"), ein Ausfluß der Judenverkommenheit.<br />

"Man hat aus einer Ursache ein Ding gemacht, welches anderen Dingen<br />

vorausgeht." Die Religion habe ihren moralischen Charakter von dem<br />

Menschen zu erhalten, nicht umgekehrt. Für den Grund alles Seins sei<br />

das Wort "Gott" bedenklich, weil es mit dem Aberglauben zu innig verwachsen<br />

ist; auch vor "Seele" oder „Geist" sei zu warnen; "Natur" sei<br />

in den Sprachen weiblich, könne also keine höhere Vollkommenheit andeuten.<br />

Dühring findet für die unklare Sache nur höchst abstrakte Bezeichnungen.<br />

Bei dieser Schwäche ist es kein Wunder, daß er gegen den<br />

alten Nominalismus wie gegen den neuen ausfällig wird, ohne den Begriff<br />

der Sprachkritik zu verstehen; auch bei einer Zitierung von Giordano<br />

Bruno gibt er sich eine arge Blöße (S. 181), da e r offenbar nur den irreführenden<br />

Titel des Werkes kennt.<br />

Bei dem Suchen eines neuen Kultus gerät er in noch schlimmere<br />

Wortmacherei. "Das Wissen, um welches es sich im Kultusersatz handelt,<br />

ist nicht Wissenschaft überhaupt, sondern solche Wissenschaft, durch welche<br />

das Vertrauen auf die Welt- und Seinsordnung und der Sinn für die<br />

in der Naturordnung wahrnehmbare Gerechtigkeit ausgebildet wird (191)."<br />

Sollte diese erlesene Wissensschaft nicht die alte Theologie sein? Oder doch<br />

wenigstens Moraltheologie? Dühring scheint das nicht zu merken, da<br />

er den hübschen Satz formt: "Auf Märtyrer für das Christentum sind<br />

bedeutendere gegen das Christentum gefolgt."

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