29.10.2013 Aufrufe

Band 4 - m-presse

Band 4 - m-presse

Band 4 - m-presse

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

26 Drittes Buch. Dreizehnter Abschnitt<br />

eines scholastischen Beweises zu geben. Man weiß, welche bedenkliche Rolle<br />

der "kategorische Imperativ" in Kants Philosophie spielt. Ich will hier<br />

nur erwähnen, daß die Wortform "Imperativ" ihm in der Welt des<br />

Handelns überhaupt eine Mahnung bedeutet, ein Kommando, ein Gebot,<br />

insbesondere die Formel eines solchen zwingenden Gebotes. Der Zwang<br />

kann daher kommen, daß die vorzunehmende Handlung zwar nicht Selbstzweck,<br />

aber doch Vorbedingung eines gewollten Zweckes ist (der hypothetische<br />

Imperativ, der wieder nach Kants Terminologie ein problematischer<br />

— in verschiedenen Berufen verschiedener — oder assertorischer<br />

— allgemein menschlicher — Imperativ sein kann), oder daher,<br />

daß die Handlung ein Selbstzweck ist, in Übereinstimmung mit der Form<br />

der reinen praktischen Vernunft, von ihr selbst bestimmt (der kategorische<br />

Imperativ, der im Gegensatze zu dem heteronomen hypothetischen Imperativ<br />

autonom ist). Niemals ist es dem gewaltigen Kant eingefallen,<br />

auch im sogenannten Opus postumum nicht, den Sollbegriff daraufhin<br />

zu prüfen, ob er nicht transzendent sei, also seiner Philosophie eigentlich<br />

untersagt.<br />

Ich glaube nicht zu irren, wenn ich annehme, daß dieser ganze Gedankengang<br />

Kants von seinem Rousseau stark beeinflußt ist. Übersetzt man das<br />

lateinisch-französische Wort "dictamen" mit Imperativ und kümmert sich<br />

nicht um die Distinktionen: hypothetisch, kategorisch usw., so findet sich schon<br />

bei Rousseau der Beweis durch das Gefühl. "Gibt es einen Gott? Immer<br />

mit gutem Gewissen fühle ich, wie mein Denken durch das Gewicht der<br />

inneren Zustimmung verstärkt wird. Ich finde in diesem inneren Urteile<br />

einen Schutz gegen die Sophismen der Vernunft. Seien wir auf der Hut,<br />

daß wir dabei nicht die geheimen Neigungen unseres schwachen Herzens<br />

mit dem noch geheimeren, noch innerlicheren Imperativ verwechseln,<br />

der gegen diese egoistischen Entscheidungen Einspruch erhebt und uns<br />

gegen unseren Willen auf den Weg der Wahrheit zurückführt. Schließlich,<br />

wie oft war nicht die Philosophie selbst gezwungen, all in ihrem Stolze<br />

auf diesen Imperativ zurückzugreifen, den sie zu verachten vorgibt?"<br />

Größer als in diesem Punkte war natürlich Kants Übereinstimmung<br />

mit Rousseau in allen Fragen des Staats und der Menschenrechte. Aber<br />

Kant war früh zum Greise geworden, als die französische Revolution mit<br />

ihren Ideen Ernst machte. Auch in jüngeren Jahren hätte er freilich den<br />

Enthusiasmus kaum aufgebracht, der hinter Hegels klassischem Witze steckt:<br />

"Solange Planeten um die Sonne kreisen, war das nicht gesehen worden,<br />

daß der Mensch sich auf den Kopf, das ist auf den Gedanken, stellt und die<br />

Wirklichkeit nach diesem erbaut"; denn zu tief wurzelte in Kants Philosophie<br />

die Überzeugung, eben das Bleibende an seiner Lehre: daß die<br />

Kant 27<br />

Wirklichkeit immer — nicht etwa nur in Revolutionen — nach dem Gedanken,<br />

d. i. nach dem Kopfe erbaut werde.<br />

Unterschätzt hat er darum das Ereignis der Revolution nicht, nur daß<br />

er in den Jahren der schlimmsten preußischen Reaktion, bis zum Tode von<br />

Friedrich Wilhelm II., ebensowenig über den Staat wie über die Religion<br />

schreiben durfte. Erst in der späten kleinen Sammelschrift "Der Streit<br />

der Fakultäten" (1798), in deren schlauen Widmung-Vorrede er seine<br />

Stellung zu den preußischen Königen auseinandersetzt und in deren<br />

wichtigstem Stücke er die Theologie in ihre Schranken weist, erst da hat er<br />

(in dem Kapitel "Ob das menschliche Geschlecht im beständigen Fortschreiten<br />

zum Besseren sei") seine Meinung über die große Revolution<br />

frei ausgesprochen, recht frei für einen preußischen Professor. Allerdings<br />

behauptet er, die Zustimmung des deutschen Volkes zu den republikanischen<br />

Bestrebungen der Franzosen bedeute gar nicht den Wunsch, seine eigene<br />

monarchische Verfassung abzuschaffen; im Gegenteil, das Republikanisieren<br />

fremder Völker stärke die eigene Regierung; man sei kein Jakobiner, vornehmlich<br />

nicht in einem Lande, das vom Schauplatz der Revolution mehr als<br />

hundert Meilen entfernt ist. Aber dennoch heißt es, leider fast im härtesten<br />

Greisenstile Kants: „Die Revolution eines geistreichen Volks, die wir in<br />

unseren Tagen haben vor sich gehen sehen, mag gelingen oder scheitern;<br />

sie mag mit Elend und Greueltaten dermaßen angefüllt sein, daß ein wohl<br />

denkender Mensch sie, wenn er sie zum zweiten Male unternehmend glücklich<br />

auszuführen hoffen könnte, doch das Experiment auf solche Kosten<br />

zu machen nie beschließen würde — diese Revolution findet doch in den<br />

Gemütern aller Zuschauer eine Teilnehmung dem Wunsche nach, die<br />

nahe an Enthusiasmus grenzt, und deren Äußerung selbst mit Gefahr verbunden<br />

war, die also keine andere als eine moralische Anlage im Menschengeschlecht<br />

zur Ursache haben kann." Man lese genau, zweimal, was Kant<br />

über den Enthusiasmus der Zuschauer der französischen Revolution sagt;<br />

dann wird man sich nicht mehr wundern, wenn er — nach einer kurzen<br />

Klage über die "Gebrechlichkeit der Menschennatur" (was H. v. Kleist<br />

gern nachgesprochen hat) — endlich seine Freude kaum unterdrücken kann<br />

bei der Meldung, daß das Volksksrecht, das neue Ideal, über den Ehrbegriff<br />

des alten kriegerischen Adels gesiegt habe.<br />

Diese Parteinahme Kants für die Revolution kümmert uns nur<br />

insofern, als sie den schon berühmten Philosophen wenigstens in seinen<br />

letzten noch geistig schaffenden Jahren zu den politischen Aufklärern Deutschlands<br />

gesellt; auf seine nächsten Schüler wirkte die Staatsumwälzung<br />

noch viel unmittelbarer und stärker ein. Was uns zunächst angeht, seine<br />

Stellung zum Gottglauben, wurde durch die Absetzung Gottes in Frank­

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!