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Band 4 - m-presse

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148 Viertes Buch. Vierter Abschnitt<br />

eine vielleicht beschränkte Intelligenz und nur nebenbei (außer anderen<br />

Beweggründen zur Schöpfung) etwas Güte gefunden habe.<br />

Völlig frei vom Katechismus ist Mill, wo er die Frage nach der Unsterblichkeit<br />

der Seele prüft. Zwar die Beweise des Materialismus läßt<br />

er nicht gelten; es lasse sich freilich die Unsterblichkeit wissenschaftlich nicht<br />

beweisen, aber das Gegenteil auch nicht. (Es wäre denn, man erblickte in<br />

dem Worte "Unsterblichkeit" nur eine Frage und lehnte mit dem Worte<br />

"Seele" auch die Frage ab.) Dennoch scheint Mill dieses Dogma lebhaft<br />

genug bestreiten zu wollen. Es gründe sich nur auf Überlieferungen und<br />

auf die Furcht vor dem Aufhören. Die tröstliche Wirkung einer solchen<br />

Vorstellung spreche nicht für ihre Wahrheit; sonst müßten wir auch an Geister<br />

und Gespenster glauben. Man berufe sich auf die Güte Gottes, die die in<br />

einem kurzen Leben gesteigerten Fähigkeiten nicht vertilgen (bekanntlich<br />

das sehnsüchtige und doch wieder halb scherzhafte Argument Goethes)<br />

und das instinktive Verlangen nach einem ewigen Leben nicht enttäuschen<br />

werde; wir haben aber gesehen, daß nicht Güte der erste Beweggrund<br />

Gottes bei der Schöpfung war und daß auch seine Macht beschränkt ist.<br />

Es widerspricht allem Wissen von der Natur, daß Gott bei dem Tode jedes<br />

Menschen ein Wunder tun könne. Aber Mill will nicht jede Hoffnung auf<br />

ein ewiges Leben vernichten; wir kennen die Grenzen von Gottes Macht<br />

und Güte nicht, und so ist es nicht unmöglich, daß es uns nach dem Tode<br />

nicht schlechter gehen wird als hier und wir uns drüben wie hier durch eigenes<br />

Bemühen weiterentwickeln können. Mill spricht über das Leben nach dem<br />

Tode — mit dem Vorbehalte, daß es unwahrscheinlich sei — wie ein Nachmittagsprediger<br />

einer freireligiösen Gemeinde. Wäre es nicht logischer gewesen,<br />

den Begriff des Todes zu definieren? Und festzustellen, daß es<br />

keinen Tod gibt, wenn wir ein individuelles Weiterleben haben?<br />

Das Kapitel über die Offenbarung läuft niedrig genug auf eine Untersuchung<br />

der Möglichkeit von Wundern hinaus. Mill fügt dem meisterhaften<br />

Gedankengange von Hume nichts hinzu, schwächt ihn sogar durch logische<br />

Spitzfindigkeiten. Allerdings dürfe das Dasein Gottes nicht durch Wunder<br />

bewiesen werden; werde ein Gott und Weltschöpfer aber einmal zugegeben,<br />

dann sei es eine ernsthafte Frage, ob er nicht durch seinen Willen außerordentliche<br />

Wirkungen hervorbringen könne. Aber nach unserer Erfahrung<br />

regiere Gott niemals als erste Ursache (durch Wunder), sondern immer durch<br />

zweite Ursachen oder durch die Naturgesetze. (Heißt es aber nicht die<br />

Schöpfung durch ein Wunder anerkennen, wenn man die Naturgesetze<br />

zweite Ursachen nennt?) Wir kennen keinen Fall eines bezeugten Wunders;<br />

Paulus, "die einzige Ausnahme von der Unwissenheit und Unbildung des<br />

ersten Christengeschlechts", habe kein anderes Wunder bezeugt als das seiner<br />

John Stuart Mill 149<br />

eigenen Bekehrung, und die lasse sich sehr leicht aus natürlichen Ursachen<br />

herleiten. Das Vertrauen auf die Möglichkeit von Wundern ist so sehr<br />

geschwunden, daß ausgelacht würde, wer ein Ereignis aus keiner anderen<br />

Ursache als dem unmittelbaren Willen Gottes erklären wollte. Mill leugnet<br />

also, daß die Wunder historische Tatsachen und für einen Beweis der<br />

Offenbarung verwendbar seien. Aber das Wunder der göttlichen Sendung<br />

des Heilands sei doch nicht logisch so bestimmt widerlegt, daß die Unmöglichkeit<br />

oder Unglaublichkeit der Annahme die Hoffnung völlig ausschließe,<br />

es könnte dennoch wahr sein. Wieder also bleibt die Möglichkeit einer<br />

Hoffnung oder doch die psychologische Wirklichkeit einer Sehnsucht bestehen,<br />

wo die Religion den festen Glauben verlangt. Die Hoffnung der<br />

Religion ist aber keine Möglichkeit, sondern eine Zuversicht.<br />

Durch solche Hintertüren, die Mill offen läßt, hat er überall der Aufrechthaltung<br />

der alten Religionen das Wort geredet. Was ihn von den<br />

englischen Deisten unterscheidet, was ihn einem Religionsfeinde sogar<br />

rückständig erscheinen lassen kann, das ist im Grunde seine bessere Kenntnis<br />

der Menschennatur und der Menschengeschichte. Der strenge Logiker Mill<br />

findet keine zwingenden Beweise für das Nichtdasein von Gott, Offenbarung<br />

und Unsterblichkeit; durch die Hintertüren der Logik kommt er zum<br />

Glauben an diese Dinge offenbar nicht; wenn er sich aber verpflichtet hält,<br />

den dünnen Faden der Möglichkeit ihres Daseins nicht durchzuschneiden,<br />

so liegt das nicht an der Logik allein, sondern auch an seinem Utilitarismus,<br />

den man heute auch Pragmatismus nennen könnte. Nützlichkeit ist die<br />

wahre Wahrheit; die Religion ist eine nützliche Einrichtung, und darum soll<br />

sie dem Volke erhalten bleiben. Die englischen Deisten, von Herbert etwa<br />

abgesehen, bekämpften in den positiven Religionen etwas Schädliches<br />

und stellten diesem Aberglauben die Naturreligion der Vernunft gegenüber,<br />

die sie wiederum für nützlich hielten. John Stuart Mill brachte in der Abhandlung<br />

über „Theismus" seine Zweifel auch gegen die Vernunftreligion<br />

vor, war aber gar nicht abgeneigt, selbst die positiven Religionen aufrechterhalten<br />

zu wissen. Ein Engländer. Auch darin, daß er eher den Katholizismus<br />

als eine der protestantischen Konfessionen geradezu angreift.<br />

Aber Mill hatte schon in den fünfziger Jahren eine besondere Abhandlung<br />

über die „Nützlichkeit der Religion" geschrieben und sie dann<br />

zurückgehalten; in diesem Essay ist er lange nicht so rücksichtsvoll und kompromißlustig<br />

wie in dem eben besprochenen über den „Theismus". Der<br />

Schüler Benthams wagt es, dennoch, die Wahrheit gegen die Nützlichkeit<br />

auszuspielen. Solange man an die Wahrheit der Religion glaubte, brauchte<br />

man von ihrer Nützlichkeit gar nicht zu reden; jetzt sei ein Hervorheben<br />

ihrer Nützlichkeit nur noch eine Aufforderung an die Ungläubigen, wohl­

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