Band 4 - m-presse
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426 Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />
Laboranten hergestellt wurden, daß die christliche Mystik in vielen Köpfen<br />
zur Befreiung von der positiven Kirche führte. Daß — wie wir gesehen<br />
haben — Pietismus oft die Vorfrucht der Aufklärung war. Daß also<br />
gottlose Mystik als ihr Bekenntnis von vielen angenommen werden kann,<br />
die in voller Freiheit sich das Gefühl einer inneren Religion erhalten möchten.<br />
Und verlegen sind um den sprachlichen Ausdruck.<br />
Um ganz frei zu werden, frei von den Worten des Glaubens, aber<br />
auch frei von den Worten einer überheblichen Philosophie, mußte das<br />
menschliche Denken hindurchgelangen durch den Sensualismus, Materialismus<br />
bis zu der sprachkritischen Einsicht, daß es, das Denken, nichts als<br />
Sprache sei, und daß die Sprache ein ungeeignetes Werkzeug sei, die Wirklichkeit<br />
zu begreifen oder gar die sogenannten letzten Fragen, obgleich oder<br />
weil diese nur Menschenfragen der Menschensprache sind, in befriedigender,<br />
in beruhigender Weise zu beantworten. Zur Sprachkritik konnten wir nur<br />
kommen durch den Materialismus hindurch, ihn durch Aufnahme vernichtend,<br />
nicht am Materialismus vorbei.<br />
Und so ist es endlich an der Zeit, nach dem langen gemeinsamen Wege<br />
zu sagen, was den hier überall zugrunde liegenden Gedanken der Sprachkritik<br />
von dem materialistischen Monismus unterscheidet, der bisher seit drei<br />
oder fünf oder gar mehr als zwanzig Menschengeschlechtern allein den<br />
Kampf der Vernunft gegen den Glauben geführt hat. Ich müßte bei den<br />
einzelnen Erscheinungen und Zeichen des Kampfes übermäßig lange verweilen,<br />
hätte die bisherige Darstellung nicht schon da und dort angedeutet,<br />
wo wir heute stehen: höher, heiterer, friedlicher als der wortgläubige<br />
Monismus.<br />
Monismus Der Monismus, wie der alte Materialismus sich schamvoll seit einem<br />
und Mystik Menschenalter nennt, weiß noch nicht, daß die Wissenschaft überall da<br />
Bankerott gemacht hat, wo die letzten Menschenfragen nach dem Woher,<br />
Wohin und Wozu gestellt werden. Der Monismus ist dogmatisch und darum<br />
unduldsam. Der Monismus ist oft heuchlerisch, wo er sich nicht mehr ganz<br />
offen zum Materialismus zu bekennen wagt. Der Monismus steht nicht<br />
nur dem robusten Glauben der positiven Konfessionen feindlich und verächtlich<br />
gegenüber, er weiß auch nichts von der Glaubenssehnsucht, von<br />
dem, was ich wieder die gottlose Mystik nenne. Es würde dem Monismus<br />
nicht viel nützen, wenn er, der in neuen Worten schwelgt, sich der Sehnsucht<br />
der Besten etwa zu einem mystischen Monismus, umformen wollte;<br />
die Grundlehre des Monismus, daß es nämlich nur eine einzige Art<br />
von Trägern des Weltbaus gebe, war wie aller Materialismus gegen<br />
den christlich dogmatischen Dualismus gerichtet und verliert jeden Sinn,<br />
wenn Denken und Ausdehnung — oder wie man die polaren Gegen<br />
Monismus und Mystik 427<br />
sätze nennen will — unklar schon in den Urbestandteilen vorhanden sind,<br />
wenn also der alte Dualismus in die ursprünglichen Träger der Welt zurückgeschoben<br />
wird. Der landläufige Monismus und die landfremde, weltfremde<br />
Mystik sind unnahbare Gegensätze, weil der Monismus alle Welträtsel<br />
in Begriffe oder Worte fassen zu können glaubt, die echten Mystiker<br />
aber zuletzt immer Entsagende sind, Verstummende, die Unzulänglichkeit<br />
der Sprache Erkennende, auch wo sie, um ihr Gefühl mitteilen zu dürfen,<br />
sich in stammelnden Reden überstürzen. Der Monist glaubt ahnungslos<br />
an den Wert seiner neuen Worte und zweifelt nur an den alten Worten des<br />
Glaubens; der Mystiker verzweifelt an dem Werte aller ererbten Worte<br />
und weiß sich doch im unverlierbaren Besitze unaussprechlicher Geheimnisse.<br />
Dennoch ließen sich die beiden Begriffe "Mystik" und "Monismus" miteinander<br />
verknüpfen, wenn nur der Mystiker auf seine Gottesvorstellung<br />
verzichten wollte, der Monist auf seine vermeintliche Welterklärung.<br />
Denn in einem Punkte kommen Monismus und Mystik doch überein:<br />
in dem Gefühle der Sehnsucht nach Einigung, nach Einswerdung. Wessen?<br />
Des eigenen Ich. Mit wem? Mit dem Nicht-Ich. Ein solcher Monismus,<br />
ein solches Einsgefühl, hätte nichts mehr zu schaffen mit den Niederungen<br />
einer materialistischen Welterklärung und würde sich recht gut mit dem<br />
decken, was ich eben, um doch auch ein Wortsymbol zu haben, eine gottlose<br />
Mystik nenne.<br />
Ich muß es zum letzten Male sagen. Ich bin hoffentlich zu klar, zu<br />
hart und zu ehrlich, als daß ich in den Verdacht kommen könnte, hinter<br />
der gut beleumundeten Mystik einen übel beleumundeten Atheismus<br />
verstecken zu wollen: als ob ich, um dem Vorwurfe grundsätzlicher Verneinung<br />
zu entgehen, die Mystik ergriffen hätte, die so ungefähr den Eindruck<br />
der Bejahung macht, auch wenn sie sich durch das Beiwort "gottlos"<br />
von jeder vorausgegangenen Mystik unterscheidet. Ich bin wirklich freier<br />
als ein solcher Verdacht, als ein solcher Vorwurf; auch Bejahung und Verneinung<br />
gelten nur auf den Gebieten des armen Menschenwissens, sind<br />
Gegensätze nur in der Logik und Mathematik, nicht dort, wo alle scholastischen<br />
Welterklärungen durch ein bescheidenes und doch sicheres Weltgefühl abgelöst<br />
werden. Dort gibt es keinen Widerspruch mehr, nicht einmal den<br />
von Bejahung und Verneinung; die Schwierigkeit, die alles zerhämmernde<br />
Schwierigkeit besteht nur darin, nicht zu verstummen, sondern dem unseligen<br />
Mitteilungstriebe, dem Lehrerhochmut nachzugeben und trotzdem den<br />
Widerspruch zu vermeiden, der immer nur in der Sprache ist.<br />
Ich flüchte also aus der in allen letzten Fragen bankerotten "Wissenschaft"<br />
in das eingestandene Nichtwissen, aus dem Reiche der Vernunft<br />
in das innere Jenseits des Übervernünftigen, aus dem Markttreiben der