Band 4 - m-presse
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144 Viertes Buch. Vierter Abschnitt<br />
wicklung beurteilt; das Christentum war mindestens in früheren Zeiten<br />
wertvoll. Hat Mill eine schlaue Absicht dabei, daß er im Eingange noch<br />
nicht verrät, er werde das Christentum auch für die Zukunft festgehalten<br />
wissen wollen?<br />
In alter Zeit war es den Menschen natürlich, in die schlecht beobachteten<br />
Naturkräfte Persönlichkeiten hineinzulegen und so den Polytheismus anzunehmen;<br />
der Monotheismus, wo er nicht durch Tradition und Erziehung<br />
eingeprägt wird, ist ein künstliches Erzeugnis und erst viel später aufgetreten.<br />
Man mußte in den Naturerscheinungen ein System erblicken,<br />
bevor man sie unter dem Gesichtspunkte eines einheitlichen Planes betrachten<br />
konnte. Unter "Theismus" wird ganz allgemein zunächst jeder<br />
Glaube an Gottheiten verstanden, dann aber der Monotheismus allein<br />
als der abstrakte Ausdruck des Theismus ins Auge gefaßt, weil nur der<br />
Monotheismus eine wissenschaftliche Begründung für sich in Anspruch<br />
nehmen darf. (Sollte wirklich, was Mill hier Wissenschaft nennt, sich nicht<br />
ebensogut auf ein Zweigöttersystem und auf den Polytheismus anwenden<br />
lassen? Ich erbiete mich, den Versuch zu wagen.) Die Frage, welche vom<br />
Theismus mit der Hypothese einer Schöpfung beantwortet wird, lautet:<br />
Ist der Gesamtheit von Ursachen und Wirkungen in der Natur nicht etwas<br />
vorangegangen, ohne das die Natur selbst nicht gewesen wäre? Die Antwort<br />
(bei der aber "erste Ursache" und "Schöpfer" gleichgesetzt werden)<br />
fordert zwei weitere Fragen heraus: ob die Annahme eines Schöpfers<br />
neben unseren wissenschaftlichen Überzeugungen möglich und ob sie durch<br />
die Gründe der Theologen bewiesen sei. Die Annahme eines Gottes, der<br />
die Welt nach festen Gesetzen lenkt, sei möglich; die eines Gottes, der durch<br />
Handlungen eines wandelbaren Willens eingreift, sei unmöglich. Welche<br />
von beiden Vorstellungen dem Bilde besser entspricht, das man sich herkömmlich<br />
von Gott macht, geht den wissenschaftlichen Forscher nichts an.<br />
Wenn also ein bewußter Willensakt, der unsere Welt und ihre Gesetze<br />
geschaffen hat, möglich ist, so ist weiter zu untersuchen, ob das Dasein eines<br />
solchen Willens bewiesen werden kann. Der Meister der induktiven Logik<br />
verwirft natürlich von vornherein die apriorischen Beweise, die von einer<br />
Idee ausgehen, weil in der Idee immer nur die Idee steckt und nicht eine<br />
reale Tatsache. Mill bemerkt aber diesmal sehr fein, daß in manchem<br />
apriorischen oder metaphysischen Beweise eine Fälschung empirischer<br />
Schlüsse verborgen ist, wie in dem oft vorgebrachten Beweise aus dem<br />
Begriffe der ersten Ursache.<br />
Dieser Beweis behauptet, alles habe eine Ursache, folglich müsse auch<br />
die Welt eine Ursache gehabt haben. Aber der Vordersatz ist falsch. Nur<br />
Ereignisse oder Veränderungen sind Wirkungen von Ursachen, das Dauernde<br />
John Stuart Mill 145<br />
ist keine Wirkung. Man darf also aus dem Ursachbegriff nicht darauf schließen,<br />
daß auch die Substanz eine Ursache oder einen Anfang gehabt habe. Die<br />
Wissenschaft lehrt denn auch schon lange die Erhaltung des Stoffs und<br />
seit kurzem die Erhaltung der Kraft. Der uralte Glaube, der Wille Gottes<br />
sei die ursprüngliche Kraft, steht zunächst im Widerspruche mit der<br />
Wissenschaft, da ewige Kräfte als dem Willen vorausgehend angenommen<br />
werden müssen. Die Verteidiger der Freiheit des Willens dürfen höchstens<br />
sagen, daß die Willensäußerungen selbst keine Ursachen haben, nicht<br />
aber, daß der Wille eher oder leichter als andere Kräfte Naturerscheinungen<br />
verursachen könne. Der Theismus findet also, wenn er sich auf<br />
den Begriff der ersten Ursache stützen will, in der Erfahrungswissenschaft<br />
keine Unterstützung. Auch der Schluß, daß wenigstens der Geist einen<br />
erschaffenden Geist zur Ursache gehabt haben müsse, ist nur eine Zurückschiebung<br />
der Frage; wir haben keine Kunde, die Offenbarung abgerechnet,<br />
von einem Geiste, der ewig wäre wie Kraft und Stoff. Allerdings<br />
nehmen wir an, daß die Menschheit, also auch der menschliche<br />
Geist, einen Anfang gehabt habe, wollen also beim Geiste nach einer<br />
Ursache fragen. Der Satz aber, daß nur der Geist den Geist hervorbringen<br />
könne, ist willkürlich und widerspricht sogar dem Entwicklungsgedanken.<br />
"Die Welt bezeugt durch ihr bloßes Dasein noch keinen Gott."<br />
Kürzer findet sich Mill mit dem Beweise ab, der unzählige Male aus<br />
der allgemeinen Übereinstimmung der Menschheit hergeholt worden ist.<br />
Selbst der Glaube so hervorragender Denker wie Sokrates und Platon,<br />
Bacon und Locke, Newton und Leibniz habe, wie jede Berufung auf Autoritäten,<br />
nur geringen Wert, noch geringeren der Volksglaube; das Volk<br />
in den Kulturländern habe seinen Glauben von außen erhalten und die<br />
Religion der Wilden sei ein Götzendienst gröbster Art. (Mill unterläßt<br />
es sehr weise, zwischen Gott und Götze mit der ihm sonst eigenen Schärfe<br />
zu unterscheiden.) Die allgemeine Übereinstimmung der Menschen genügt<br />
also nicht, um den Gottesbegriff als angeboren anzusehen.<br />
Der eigentlich apriorische Beweis für das Dasein Gottes bleibt immer<br />
der, der die Idee eine Existenz in sich begreifen läßt, der also den berüchtigten<br />
Schnitzer macht (wie ich es ausdrücken darf), aus dem Vorhandensein eines<br />
Wortes auf das Vorhandensein der entsprechenden Sache zu schließen;<br />
wonach denn die Existenz des Teufels, der Gespenster, der Hexen, der<br />
Kentauren ebensogut bewiesen wäre wie die Existenz Gottes. Dieser sehr<br />
einfache Beweis gilt heute für veraltet; sehr schön sagt Mill, er spreche<br />
dem Menschen eine seiner liebsten und wertvollsten Fähigkeiten ab, die<br />
Fähigkeit, zu idealisieren, d. h. aus dem Erfahrungsstoffe eine Vorstellung<br />
aufzubauen, die vollkommener ist als die Erfahrung. Mill weiß, daß bereits