Band 4 - m-presse
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228 Viertes Buch. Sechster Abschnitt<br />
und der im Sommer 1849 einen Dreibänder beendete: „Die Religion<br />
des neuen Weltalters" (erschienen 1850 bei Hoffmann & Campe), worin<br />
wieder einmal der Versuch gemacht wurde, die „Negation" des Pantheismus,<br />
Materialismus und Anthropologismus bei Feuerbach zu überwinden<br />
durch eine neue und trostreiche "Religion", die aber nichts weiter war als<br />
ein verschwommener Deismus. Daumer hat sich's bequem gemacht. Aus<br />
sehr vielen aufklärerischen Schriften, besonders aus deutschen, hat er emsig<br />
brauchbare Stellen gesammelt, mit seinen eigenen Anmerkungen versehen<br />
und unter vielversprechenden Überschriften (Gott, Natur, Weib, Wunderglaube,<br />
Mangel an Glück) geordnet. Pfaffen und Mönche nennt er bösartig<br />
und vernichtungswürdig. "Das Christentum ist eine falsche Religion,<br />
und je mehr etwas wahrhaft christlich ist, desto falscher ist es." Daumer<br />
ist nachher fromm geworden, vielleicht ehrlicherweise, und hat (1859) die<br />
Geschichte seiner „Konversion" selbst niedergeschrieben. Was er aber noch<br />
im Vormärz, noch nicht als Spruchsprecher seiner Zeit, und darum fast<br />
ganz unbeachtet, gegen das Christentum und indirekt gegen alle Religion<br />
hervorgestoßen hat, das knüpft da und dort an die „Anthropologie" Feuerbachs<br />
an, überbietet aber an Kraft und Phantasie (völlig unwissenschaftlich<br />
übrigens) selbst die Kirchenfeindschaft der extremsten Franzosen. Er kehrt<br />
eigentlich zu dem hilflosen Pfaffenhasse des Mittelalters zurück, da er die<br />
scheinbar längst überwundene Hypothese von den „drei Betrügern", nicht<br />
ohne gelehrte Verzierungen, wieder auftischt. Im Grunde: ganz unhaltbare<br />
Geschichtsklitterung. Das heilige Abendmahl der ersten Christen sei<br />
ein Menschenopfer gewesen; man habe dabei Menschenfleisch gegessen und<br />
Menschenblut getrunken; daher die Verachtung der sonst so duldsamen<br />
Römer gegen die Sekte der Christianer; nicht erst die späte Inquisition habe<br />
die Hexenbrände und die Judenschlachtungen eingeführt, von Anfang<br />
an sei das Christentum ein molochistischer Mystizismus gewesen. Daher<br />
die finstere, lebensfeindliche, fürchterliche Selbstzerstörung bei den Fanatikern<br />
dieses Glaubens. Man kann das alles, und ähnlichen Wahnsinn,<br />
nachlesen in Daumers „Geheimnissen des christlichen Altertums" (1847);<br />
wer sich über solche Verirrungen wundert, den möchte ich daran erinnern,<br />
daß die „Christliche Mystik" (1836---1842) des einst wildrevolutionären,<br />
dann kirchentreuen Goerres zwar entsetzlich gläubig ist, aber religionswissenschaftlich<br />
von dem gleichen bösen Geiste diktiert. Daumer selbst hat<br />
nachher, in seiner katholischen Zeit, seine antichristlichen Lukubrationen nicht<br />
etwa fallen lassen; er hat nur behauptet, nicht die wahre Kirche, sondern<br />
eine Ketzersekte habe das Abendmahl so schauerlich gefeiert.<br />
Wir erfahren fast nur von einem einzigen Menschen, der dieses<br />
Buch Daumers bewunderte und meinte, hoffte, das Christentum würde<br />
Heinzen 229<br />
durch die Enthüllung solcher Geheimnisse den letzten Stoß erhalten und<br />
das Gebäude des Betrugs zusammenstürzen. Dieser Eine aber war<br />
sehr merkwürdig: es war Karl Marx, wie ich ja schon berichtet habe<br />
(S. 113).<br />
Wie Daumer war auch Karl Peter Heinzen (geb. 1809, gest. 1880),<br />
der „Fürschtekiller", aus der politischen Bewegung des Vormärz hervorgegangen,<br />
eine Kampfnatur. Während der kleinen deutschen Revolution<br />
zeigte es sich allgemein, wie stark --- in bezug auf die Religion --- die Wirkung<br />
des einsamen Feuerbach gewesen war. Für Bücher von wenigstens<br />
zwanzig Bogen gab es jetzt plötzlich Zensurfreiheit; in einem solchen künstlich<br />
zusammengestellten Buche (man verschmähte nichts, um nur die<br />
Bogenzahl 20 zustande zu bringen) erschien ein Aufsatz von Heinzen, wo<br />
zugleich Atheismus und Republikanismus gepredigt wurde; der Aufsatz<br />
erschien dann auch als besondere Flugschrift.<br />
„Was ist das, ein Gott, den ich durch Leugnung gefährden kann, dem<br />
die Polizei zu Hilfe kommen muß? Auch die irdischen Götter pochen auf<br />
ihre Felsendauer . . . Die Welt besteht von Ewigkeit her." Es gibt keine<br />
Schöpfung, es gibt nur Veränderungen. Die sich Pantheisten nennen,<br />
sind ebenfalls Atheisten; sie machen es nur wie gewisse Politiker, die alle<br />
Bürgerlichen in den Adelstand erheben, anstatt den Adel abzuschaffen.<br />
Man sollte nicht „Atheisten" sagen; einen Lebendigen nennt niemand einen<br />
Nichttoten. Es hieße besser: Weltmenschen, Menschen, Gottlose.<br />
Heinzen lacht über den Gedanken einer persönlichen Fortdauer. „Vernichtet<br />
euere Despoten, euere Pfaffen, euere Blutsauger, die euch Verstand<br />
und Existenzmittel rauben, und ihr werdet den Himmel auf Erden haben."<br />
Heinzen ist entschieden Materialist und Antimonarchist; doch auch er will<br />
nicht bei der Negation stehen bleiben, will sich auf den positiven Gewinn<br />
der Gottesleugnung berufen. Die Abstreifung des Aberglaubens sei die<br />
Mutter der Geistesfreiheit; in einer gottlosen Welt werde es endlich eine<br />
menschliche Moral geben, ein Gewissen ohne Gespensterfurcht.<br />
Für die Geschichte der Bewegung ist es beachtenswert, daß Heinzen<br />
eine demokratische Republik aufrichten will, mit recht viel Sozialismus,<br />
doch ohne jeden umstürzenden Kommunismus. Noch beachtenswerter vielleicht,<br />
daß Ruge, der geschultere Politiker, in einen heftigen, freilich mehr<br />
persönlichen als sachlichen, Streit mit Heinzen verwickelt wurde; man kann<br />
Ruges Äußerungen in einem Nachtrage zu seinen "Reden über Religion"<br />
nachlesen, wenn man Interesse nimmt an diesen unerquicklichen Hauszänkereien.<br />
In den Augen von Heinzen war Ruge noch lange nicht<br />
radikal genug, nicht materialistisch genug; Ruge redet recht klug über<br />
den dogmatischen Materialismus und nennt sich selbst einen "Idealisten".