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Band 4 - m-presse

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360 Viertes Buch. Neunter Abschnitt<br />

im Abendlande gewordene Christentum zu befehden, bald einen abstrakten<br />

Begriff, der mit der Wirklichkeit der Christenmenschen nichts zu schaffen<br />

hatte; das taten vor ihm die Skeptiker, die Deisten und die Aufklärer mit<br />

geringerer Heftigkeit, mit geringerer Sprachkraft, mit größerer Gefahr.<br />

Sehen wir nun endlich zu, wie sich der freie Nietzsche mit dem Gottesbegriffe<br />

abfand. Ich halte mich wieder an die drei Schriften, die ich für die Kritik<br />

des Christentums bemüht habe. Und erinnere noch einmal daran, daß<br />

Nietzsche im Grunde seiner Feuerseele ein Poet war, ein unseliger Midas,<br />

dem sich alle besten Gedanken in Gold von Dichtungen verwandelten.<br />

Der Denker leugnete Gott, verhöhnte den Begriff wohl gar; dem Dichter<br />

bleibt Gott ein lebendiges Symbol, nachdem ihm alle christlichen Begriffe<br />

zu toten Symbolen geworden sind. Wie etwa im „Faust", wo doch kein<br />

Glaube an den Teufel, kaum noch ein Glaube an Gott herrscht, Gott und<br />

Teufel leibhaftig auftreten; weil Goethe sie als Dichter brauchte. So weiß<br />

der Denker Nietzsche, daß Gott tot ist, doch der Dichter trauert an Gottes<br />

Grabe wie Heine. "Nicht auch zürnt Zarathustra dem Genesenden, wenn<br />

er zärtlich nach seinem Wahne blickt und mitternachts um das Grab seines<br />

Gottes schleicht." Aber diese Wehmut hält ihn nicht ab, in demselben ersten<br />

Teile des Zarathustra, gleich in dem ersten Stücke, nach der Trennung von<br />

dem Einsiedler, lachend zu rufen: „Sollte es denn möglich sein! Dieser alte<br />

Heilige hat in seinem Walde noch nichts davon gehört, daß Gott tot ist!"<br />

So geht es durch die ganze Dichtung: mehr sehnsüchtig verzweifelnde<br />

Gotteslästerung als Widerlegung des Gottesbegriffs. Man hat der Erde<br />

treu zu bleiben und denen nicht zu glauben, die von überirdischen Hoffnungen<br />

reden. Den Hinterweltlern oder Metaphysikern: die Müdigkeit schuf alle<br />

Götter und Hinterwelten; der Leib, der an der Erde verzweifelte, hörte den<br />

Bauch des Seins zu sich reden. Der neue Götze, der Staat, hat sich an die<br />

Stelle Gottes gesetzt. Alle Götter sind Dichter-Gleichnis, Dichter-Erschleichnis.<br />

Gespenster trüben das Gewässer, daß es tief scheine; er warf<br />

sein Netz und wollte gute Fische fangen, aber immer zog er eines alten<br />

Gottes Kopf herauf. „Ich bin Zarathustra der Gottlose, ich koche mir<br />

noch jeden Zufall in meinem Topfe." Es ist eine Schmach, zu beten für<br />

einen, der auch im Kopfe sein Gewissen hat; nur der feige Teufel im Menschen<br />

redet zu, es gebe einen Gott. Aber die Bildungsphilister, die Nachtwächter<br />

will er das Dasein Gottes nicht leugnen hören mit logischen<br />

Gründen; er erstickt vor Lachen, wenn er Esel betrunken sieht und Nachtwächter<br />

also feierlich an Gott zweifeln hört. Er, der sehnsüchtig verzweifelnde<br />

Gottsucher, der Grieche (ach nur der Philologe), will nicht mit<br />

Gründen, will mit Gelächter den Gottesbegriff überwinden. „Die alten<br />

Götter dämmerten sich nicht zu Tode — das lügt man wohl. Vielmehr,<br />

Kampf mit dem Gottesbegriff 361<br />

sie haben sich selber einmal zu Tode gelacht. Das geschah, als das gottloseste<br />

Wort von einem Gotte selber ausging — das Wort: Es ist Ein<br />

Gott! Du sollst keinen andern Gott haben neben mir." Er will den Gottesbegriff<br />

überwinden, der weltsegnende, weltliebende Verkünder der ewigen<br />

Wiederkunft, der Bräutigam der Ewigkeit möchte den alten „Welt-Verleumder"<br />

vernichten, aber er haßt ihn nicht, wie er das Christentum haßt,<br />

„denn selbst Kirchen und Gottes-Gräber liebe ich". Er steht in gottloser Zeit<br />

am Grabe des Gottes, in wehmütiger Lust, wie der Sieger am Grabe<br />

des ebenbürtigen Feindes. Eines geistesverwandten, ja eigentlich eines<br />

blutsverwandten Feindes. Den er am liebsten beerben möchte, beerben um<br />

seine Größe, seine Vollkommenheit, seinen Namen. Nietzsche-Zarathustra<br />

möchte im Untergang, in seinen kleinen Stunden Religionsstifter sein,<br />

mittags möchte er Gott sein.<br />

Ich bin weit davon entfernt, diese Sehnsucht pathologischen Größenwahn<br />

zu nennen; sie war ein Weltgefühl, das nur an Kraft und Glück<br />

auch noch die Gott-Vereinigung des Pantheisten und des Pietisten (des<br />

gläubigen Mystikers) übertraf und überbot. Daß aber Nietzsche sein höchstes<br />

Glücks- und Gottgefühl in dieser verzweifelten Sehnsucht erlebte, in<br />

diesem Ringen um Einheit mit seinem Gotte, mit dem Gotte der griechischen<br />

Philosophen meinetwegen, das mag man am deutlichsten erkennen aus dem<br />

nachgeschaffenen vierten Teile des Zarathustra. Hier scheint mir der<br />

Glanz, der über den ersten drei Teilen lag, abgeblaßt; der Dichter hält sich<br />

mitunter nur mit künstlichen Hilfen auf der alten Höhe; er rühmt sich, er<br />

zitiert sich, er erläutert sich, er knüpft zerrissene Fäden; aber in diesem<br />

angestrengten Bemühen legt er vielleicht wider Willen die Psychologie<br />

seines Denkens bloß. Mit seiner Absicht will er den sterbenden Zarathustra<br />

— so war der Plan — die harte Mitleidslosigkeit des Übermenschen predigen<br />

lassen; unvermerkt verhöhnt er aber alle Gestaltungen des höheren Menschen,<br />

auch sich selbst, und der Übermensch wird jenseits von aller Erfahrung<br />

etwas wie die Religion, an die man glauben mag oder nicht. Gott starb,<br />

es lebe der Übermensch. Daß dieser gottgleiche Übermensch kein Sehnsuchtstraum<br />

mehr ist, daß er wirklich ist, wirklich in Nietzsche, in Zarathustra,<br />

das mag der Gedanke des rätselhaften Stückes "Der Zauberer" sein, die<br />

letzte Versuchung, das falsche Glück des Weltschmerzes; der Zauberer lehnt<br />

sich wie Goethes Prometheus gegen Gott auf als ein Gleicher. Zarathustra<br />

lacht, aber schwerlich mit gutem Gewissen. Ehrgeiziger (im höchsten Sinne)<br />

als alle Gottesleugner vor ihm, will er sich mit der Negation nicht begnügen,<br />

mit der Leugnung Gottes. Das ist der klare Sinn des nächsten Stücks,<br />

der Unterredung zwischen Zarathustra und dem letzten Papste, dem<br />

Priester "außer Dienst". Der alte christliche Gott ist gründlich tot, daran

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