Band 4 - m-presse
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430 Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />
und die Verwerfung dieses Dogmas stürmisch von den Reformatoren<br />
forderte, dafür von Calvin in den Feuertod verhetzt und verbellt wurde,<br />
der endlich durch dieses Vorgehen und durch sein tapferes Martyrium die<br />
Sekte der Socinianer stiftete, der Socinianer, die als Flüchtlinge im Osten<br />
Europas zuerst nur eine Sekte schienen, eine kleine christliche Kirche wie<br />
andere, die sich dann aber im Westen, zuerst in den Niederlanden, dann<br />
in England und — immer unkenntlicher geworden — in Frankreich und<br />
in Deutschland zu den Freidenkern und Gottesleugnern des 18. und 19. Jahrhunderts<br />
wandelten. Was ich merkwürdig finde, ist die Tatsache, daß der<br />
geistige Vater des atheistischen Unglaubens für den Verfasser eines der<br />
wirksamsten mystischen Handbücher gelten konnte. Es tut nichts zur Sache,<br />
daß Michael Servet den „Schatz der Seele" ganz gewiß nicht verfaßt hat,<br />
daß diese Legende erst zwei Menschenalter später in Holland aufkam, wo<br />
die Arminianer ihren Spaß daran hatten, das Opfer des blutigen Calvin,<br />
den Schwärmer Servet, auch noch zu einem Heiligen des Mystizismus<br />
zu machen.<br />
Und das muß einmal einfach ausgesprochen werden: die christliche<br />
Theologie und die damals noch ehrliche Theosophie hat ein gutes Recht<br />
darauf, alle diese Gottsucher für das Christentum in Anspruch zu nehmen;<br />
zugleich aber haben wir ein ebensogutes Recht darauf, sie als Zeugen für<br />
unsere gottlose unio mystica aufzurufen. Nicht umsonst sind die frömmsten<br />
Mystiker von der Kirche immer wieder des Atheismus beschuldigt worden.<br />
Sie mochten noch so tief durchdrungen sein von dem Dasein und dem<br />
Wirken der Dreieinigkeit, von der Göttlichkeit Christi, von der Schöpferkraft<br />
eines höchsten Wesens oder von dem Walten einer Gott-Natur, sie<br />
hoben dennoch diesen Glauben wieder auf durch das Einsgefühl, das sie<br />
mit ihrem Schöpfer verband; die unveränderliche, dogmatische Kirche warf<br />
ihnen also mit Recht vor, daß sie eine Wesensgleichheit mit Gott lehrten,<br />
also den überweltlichen Gott der Kirche leugneten; das lag in der Herkunft<br />
der Mystiker, sie waren erblich mit dieser Art von Gottlosigkeit belastet:<br />
sie kamen über Dionysios vom Neuplatonismus her, und dieser lehrte ja<br />
die Emanation der Welt aus Gott, also die Wesensgleichheit von Mensch<br />
und Gott.<br />
Unser Wissen vom Nichtwissen, unser Agnostizismus, unsere bescheiden<br />
entsagende Gottlosigkeit darf demnach, ohne dem Worte Mystik Gewalt<br />
anzutun, sich selbst als eine moderne Nachfolge der mystischen Stimmung<br />
betrachten, mag auch, was ich noch über die sprachkritische Befreiung aus<br />
dem Gottesbegriff oder vielmehr aus dem Gottesnamen zu sagen habe,<br />
von dem Gedankengange dieser Gottsucher himmelweit entfernt gewesen<br />
sein. Was ich noch zu sagen habe, ist freilich wiederum nicht ganz neu;<br />
Kosmologischer Gottesbeweis 431<br />
wer aufmerksam zu lesen versteht, der kann es bereits in einem dem Titel<br />
nach recht bekannten Buche vorfinden, in Kants „Kritik der reinen Vernunft",<br />
im dritten Hauptstück der transzendentalen Dialektik, wo Kant die<br />
scholastischen Beweise für das Dasein Gottes untersucht und verwirft, allzu<br />
schulgemäß in der Form, grundstürzend in der Sache. So daß ich getrost,<br />
bevor ich Ruhe suche, noch einmal zu dem Architekten aller neuen Erkenntniskritik<br />
zurückblicken darf.<br />
Der fälschlich so genannte kosmologische, eigentlich nur logische oder<br />
logikalische oder sophistische Beweis für das Dasein Gottes ist von kindlichen<br />
Philosophen erfunden worden und macht auf Kinder immer noch einigen<br />
Eindruck: jedes Geschehen setzt eine Ursache voraus, jede Ursache eine weitere<br />
rückwärtige Ursache, und so zurück bis zur letzten Ursache; und die letzte<br />
Ursache ist Gott. Es ist kaum nötig, den Rattenkönig von Schulschnitzern,<br />
den dieser Beweis darstellt, in seine einzelnen Bestandteile aufzulösen und<br />
die Ratten dann in ihre Schlupfwinkel zu jagen. Es ist ein durchaus<br />
hinterlistiger Beweis. Ich möchte nur auf diejenigen Erschleichungen kurz<br />
hinweisen, die Kant als solche noch nicht erkannt hat, und dann meinen<br />
sprachkritischen Trumpf ausspielen.<br />
Da ist zunächst offenbar, daß der Schluß aus dem kosmologischen<br />
Beweise bloß ein tautologischer Satz ist, wie sich ja von selbst versteht;<br />
was übrigens Kant vom ontologischen Beweise schon bemerkt hat, nicht<br />
auch vom kosmologischen. Diese elende Tautologie würde ehrlich lauten:<br />
die letzte Ursache ist die letzte Ursache. Wobei sogar noch ganz außer acht<br />
gelassen ist, daß die menschliche Vernunft zweierlei Neigungen hat: sich<br />
in die Vorstellung vom Unendlichen zu vertiefen und sich nach dem endlichen<br />
Ausruhen zu sehnen; die erste Neigung führt zu der Annahme<br />
einer Ewigkeit der Welt, nur die zweite Neigung verlangt nach dem<br />
Ruhepunkte einer letzten oder ersten Ursache. Beide Annahmen lassen<br />
sich mit gleichwertigen, d. h. gleich wertlosen Wortzusammenstellungen<br />
verteidigen.<br />
Sodann ist Kant zu seiner Vernunftkritik bekanntlich durch die Zweifel<br />
Humes aufgeweckt worden, und Hume hatte bereits, es war seine kühnste<br />
Tat, den Ursachbegriff als eine unwirkliche Konstruktion erkannt, als eine<br />
Fiktion, die der Mensch in die Wirklichkeit hineindenkt. Das hatte Kant<br />
von Hume übernommen, da er die Kausalität einen reinen Verstandesbegriff<br />
nannte, wenn er sich auch hütete, die notwendige Ursächlichkeit<br />
für einen bloßen Schein zu erklären, für ein Erzeugnis der Gewohnheit<br />
des Denkens. Jedesfalls wandte Kant den Gedanken Humes nicht auf den<br />
Ursachbegriff der letzten Ursache des kosmologischen Beweises an. Und<br />
doch fällt der ganze Schluß in sich selbst zusammen, wenn wir bereit sind,