Band 4 - m-presse
Band 4 - m-presse
Band 4 - m-presse
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
204 Viertes Buch. Fünfter Abschnitt<br />
(S. 60). Wir konnten niemals Christen werden, sündenlos; aber noch<br />
widersinniger sei die Zumutung, wir sollen "wirkliche Menschen" werden,<br />
das unerreichbare Ideal erreichen (S. 208). Feuerbach erblicke in der<br />
Liebe eine heilige (Stirner wird nicht müde, den Begriff der Heiligkeit<br />
als theologisch zu verwerfen), göttliche Macht, der Einzige hege die Liebe<br />
als ein Gefühl, aber als eine sittliche Pflicht verschmähe er sie (S. 344).<br />
Feuerbach mißbrauche die Sprache ebenso wie Hegel, er bekleide nur seinen<br />
Materialismus mit den Übersinnlichkeiten der absoluten Philosophie<br />
(S. 398 f.). Feuerbach behaupte nur noch, daß das "Göttliche" Dasein<br />
habe, daß das "rein Menschliche" realisierbar sei; auch diese letzte Zuflucht<br />
werde nicht lange mehr Schutz gewähren (S. 425). Und der Schluß schlägt<br />
dem Menschenideal Feuerbachs erst recht Stirners Peitsche um die Ohren.<br />
Feuerbach antwortete.<br />
Unter den wenigen Besprechungen, deren das Buch Stirners bald<br />
nach seinem Erscheinen gewürdigt wurde, war auch eine (anonyme) von<br />
Feuerbach selbst. Es spricht für den Charakter des wackeren Feuerbach,<br />
daß er sich der Größe seines Gegners nicht ganz verschloß; freilich, den<br />
genialsten und freiesten Schriftsteller, den er kennen gelernt, nannte er<br />
ihn in der Polemik nicht mehr, wie vorher in einem Familienbriefe; aber<br />
er war weniger gekränkt über die Hiebe, die er nicht recht fühlte, als verdutzt<br />
darüber, daß Stirner ihn, den notorischen Feind des Christentums,<br />
für rückständig hielt. Feuerbach dachte zuerst daran, den grimmigen Gegner<br />
in einem scherzhaften "offenen Sendschreiben" abzutun; dann mochte er<br />
doch fühlen, daß ein Scherz nicht am Platze war, und schrieb anonym die<br />
lahme Entgegnung für eine Vierteljahrschrift, die — auch das verdient Erwähnung<br />
— im gleichen Verlage herauskam wie "Das Wesen des Christentums"<br />
und der "Einzige".<br />
Auch die Replik Stirners erschien (1845) in Wigands Vierteljahrschrift,<br />
nur mit den Anfangsbuchstaben unterzeichnet. Stirner wendet sich<br />
mit stahlharter Kraft gegen drei Besprechungen: eine sozialistische, eine<br />
kritisch-liberale und gegen die Feuerbachsche. Beachtenswert für die Macht<br />
des Zeitgeistes ist es, daß Stirner im Eingange seiner Gegenkritik die<br />
Mißverständnisse seiner Bekämpfer zusammen abtun konnte; sie hatten<br />
alle drei seine Begriffe nicht begriffen; er mußte Worte wie "der Einzige"<br />
noch einmal deuten, womöglich mit noch blutigerer Ironie. "Der Einzige<br />
im Himmel, welchen Feuerbach dem Einzigen auf Erden zur Seite stellt,<br />
ist die Phrase ohne Phraseneigner. Der gedachte Einzige heißt Gott . . .<br />
Wäre der Einzige im Himmel einer, der in seinem eigenen Kopfe, statt<br />
in Feuerbachs Kopfe, steckte, so sollt' es ihm schwer werden, sich den Einzigen<br />
aus dem Kopfe zu schlagen." Alle drei seien Egoisten, auch Feuerbach tue<br />
Feuerbach und Stirner 205<br />
platterdings nichts als Feuerbachisches. Lebe Feuerbach in einer anderen<br />
als in seiner Welt? Und wieder wird die "Heiligkeit" der Liebe verspottet.<br />
"Sprich das Interesse, welches Du heute verfolgst, heilig, so bist Du morgen<br />
sein Sklave." Und wieder wird "der Mensch" an den Pranger gestellt;<br />
an dem Begriffe Mensch gemessen sei jeder wirkliche Mensch ein Unmensch.<br />
Gegen den Schluß des Aufsatzes kommt aber Feuerbach noch besonders<br />
zum Handkuß. Er sei (man muß die Worte ingrimmig aussprechen)<br />
ein wahrer Christ, weil er das Grundvorurteil der Wesensvollkommenheit<br />
des Menschen vertrete. Wie Saladin den Tempelherrn, so will Stirner<br />
den antichristlichen Feuerbach mit der Anrede "Christ" beschimpfen. Lustig<br />
spielt er dann noch mit Ludwig Feuerbach, der sich doch etwa von seinem<br />
Bruder Friederich (ein sehr verwässerter Aufklärer) unterscheide, der eben<br />
durch seinen Taufnamen ein Einziger, ein Unvergleichlicher werde. Zum<br />
Schlusse werden die drei Kritiker leise auf eine frühere Schrift Feuerbachs<br />
verwiesen, in welcher die Dummheit von manchen Beurteilern philosophischer<br />
Werke als Kritik des Mißverstands erledigt wird, die erhabene<br />
Aussprüche der Vernunft zu sinnlosen Kindermärchen verwandle.<br />
Ich habe mich bei dieser Polemik aufgehalten, um das Verhältnis<br />
zwischen Stirner und Feuerbach deutlich heraustreten zu lassen. Dieses<br />
Verhältnis war so, daß die beiden Altersgenossen und scheinbar Geistesverwandten<br />
im Grunde doch die Vertreter verschiedener Jahrhunderte<br />
waren, verschiedener Welten: Feuerbach war der letzte Aufklärer, ein verspäteter<br />
Nachfahre der wackeren Männer aus dem 18. Jahrhundert, die<br />
mit dem Christentum gründlich aufzuräumen glaubten, wenn sie die<br />
Vernunftreligion, jetzt die Menschheitsreligion, an seine Stelle setzten und<br />
nur alle alten Begriffe der christlichen Ethik sorgfältig bewahrten; und<br />
gerade diese Begriffe schlug der Einzige unbarmherzig in Trümmer, für<br />
seine Leser im 20. Jahrhundert. Stirner konnte als souveräner Geist der<br />
immerhin erklecklichen Lebensleistung Feuerbachs nur nicht gerecht werden,<br />
der am Ende doch subalterne Feuerbach konnte Stirners Denkkraft nicht<br />
einmal verstehen.<br />
Alle diese Gegensätze unter den Junghegelianern erschienen aber so<br />
grell nur den Nahestehenden; aus unserer Entfernung betrachtet bilden<br />
diese Feuerbach und Strauß und Bauer nur eine einzige Welle, eine Bodenerhebung<br />
der gemeinsamen Hegelei. Ich darf mit besserem Rechte als<br />
irgendwer diesen wenig achtungsvollen Ausdruck "Hegelei" von dem<br />
stolzesten Gipfel der deutschen Philosophie gebrauchen, weil Hegels dialektische<br />
Methode wirklich den äußersten Höhepunkt des Wortaberglaubens<br />
darstellt, des Glaubens an die Überlegenheit des Wortes oder des Begriffs<br />
über die Wirklichkeitswelt, weil also erst meine sprachkritische Lehre alle