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Band 4 - m-presse

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18 Drittes Buch. Zwölfter Abschnitt<br />

sie ihm weh taten durch ihre harte Kritik. Kritik war seine Sache nicht.<br />

Aber ein Herz, das sich ohne Kritik in das Schwerste und Neueste einzufühlen<br />

vermochte. So darf schließlich daran erinnert werden, daß Jean<br />

Paul kurz vor seinem Tode noch jung genug war, des totgeschwiegenen<br />

Schopenhauer "Welt als Wille und Vorstellung" zu lesen und zu rühmen,<br />

in seiner "Kleinen Nachschule zur ästhetischen Vorschule" (1824), ein Buch<br />

zu rühmen, das atheistisch ist durch und durch, dazu allen christlichen Optimismus<br />

zu vernichten sucht. Jean Paul schließt die kurze Anzeige, die<br />

den menschlich eiteln Philosophen unbändig gefreut hat, mit der Einschränkung:<br />

"Zum Glück kann ich das Buch nur loben, nicht unterschreiben."<br />

Was Jean Paul nicht unterschreiben konnte, war offenbar der Pessimismus<br />

(aber: das Lerchennest im Dreckloch), nicht der Atheismus. Mit dem hat<br />

er sich früh und spät herumgeschlagen, ohne sich von ihm befreien zu können,<br />

ohne sich ihm zu ergeben. Nur so konnte er (im "Siebenkäs") den tollen<br />

Traum träumen, der tote Christus verkünde vom Weltgebäude herab, daß<br />

kein Gott sei; und gar nicht zu bemerken scheinen, daß die Verzweiflung<br />

über die Abschaffung Gottes da von dieses Gottes eingeborenem Sohne<br />

empfunden wurde. Und nur ein Pantheist, also ein moderner Atheist,<br />

konnte (in "Levana") die Wortspiele bilden: "Gott ist das einzige Perpetuum<br />

mobile" und "die Welt ist der Leib Gottes".<br />

Ich werde noch einige Beispiele für die Freidenkerei Jean Pauls<br />

nachzutragen haben, wenn von dem Einflusse des unkünstlerischen Mannes<br />

auf die Sprachkunst des jungen Deutschland die Rede sein wird, eines<br />

Börne und eines Gutzkow.<br />

Philosophen Bevor ich mit solchen Männern wie Lichtenberg und Jean Paul,<br />

für die Welt die mit ihren eigensten Wesenszügen über den Rationalismus und auch<br />

schon über die Romantik hinaus, ja in die Gegenwart herüber weisen,<br />

von der Zeit der beschränkten deutschen Aufklärung Abschied nehme,<br />

fühle ich doch die Pflicht, auf einen berühmten falschen Aufklärer zurückzugreifen<br />

und ausdrücklich zu begründen, weshalb ich so wenig zu berichten<br />

hatte von den Schwätzern für die Welt, die in allen deutschen Darstellungen<br />

der Philosophiegeschichte einen so breiten Raum einnehmen, als Popularphilosophen<br />

oder als "Philosophen für die Welt". Deren Vorbild, der<br />

Engländer Pope, hatte selbst nicht viel zu bedeuten, weder für die Entwicklung<br />

des Denkens, noch für die Befreiung des Geistes. Nur seine<br />

Nachahmer waren — etwa noch auf engeren Gebieten anregend — diese<br />

Sulzer, Feder, Eberhard, Abbt, J. J. Engel, Garve, Mendelssohn, die<br />

zu ihrer Zeit mehr gelesen wurden als Lessing oder Kant, die aber keine<br />

Spuren einer Lebensleistung hinterließen. Sie sind die Vertreter eines<br />

nach Form und Inhalt rückständigen Deutschland; sie glaubten ehrlich,<br />

Moses Mendelssohn 19<br />

die Arbeit der englischen Deisten und der französischen Enzyklopädisten<br />

fortzusetzen, waren aber im Herzen schulmeisterliche Wolffianer geblieben,<br />

besaßen kein Verständnis für die Verwegenheiten eines Hume oder auch<br />

nur eines Diderot, besaßen noch weniger Verständnis für ihre überlegenen<br />

Landsleute Lessing und Kant, in denen sie ihresgleichen erblickten. Sie<br />

hatten nichts Neues zu bieten, nicht ihrem Volke, noch weniger der Welt.<br />

Lange vor ihnen hatten die Edelmann, Stosch und Lau ungleich mehr<br />

Kraft bewiesen, als diese meistgenannten seichten Aufklärer. Sie waren<br />

überflüssig. Ich will mich damit begnügen, dieses harte Urteil an einem<br />

einzigen aus dieser Gruppe, an Moses Mendelssohn kurz zu begründen,<br />

weil das unsinnige Lob, das diesem "deutschen Platon" auch von seinen<br />

besten Zeitgenossen überreichlich gespendet worden ist, oft nur aus Herzenshöflichkeit,<br />

noch heute nachzuhallen pflegt, z. B. in dem größtenteils vorzüglichen<br />

"Grundriß der Geschichte der Philosophie" von Johann Eduard<br />

Erdmann.<br />

Nicht nur die Betriebsamkeit jüdischer Schriftsteller trägt die Schuld Mendelssohn<br />

an der Überschätzung des liebenswerten, gütigen, anständigen, aber durchaus<br />

gedankenarmen Mendelssohn. Auch in der geistigen Welt gibt es ein<br />

Gesetz der Trägheit; wie im Urteile seiner Zeitgenossen wird Mendelssohn<br />

immer noch neben Lessing, neben Kant genannt, als ob er auch so<br />

einer gewesen wäre. Zu einer Legende ist es geworden, daß Moses zu<br />

Lessings Nathan Modell gesessen habe; und Kants gelegentliche Äußerungen<br />

über den guten Stilisten Mendelssohn, dessen beschränkter Kopf<br />

aber nicht einmal ausreichte, Spinozas Ethik oder Kants Vernunftkritik<br />

auch nur zu lesen, werden so feierlich zitiert, als ob es sich da um philosophische<br />

Untersuchungen Kants handelte und nicht oft nur um den Austausch<br />

menschlicher Höflichkeiten und Eitelkeiten. Moses Mendelssohn<br />

war eine durchaus subalterne Natur. Wenn aber nicht geleugnet werden<br />

soll, daß er ein erstaunlich gutes Deutsch schrieb und daß er just durch<br />

diesen Vorzug, übrigens auch durch seinen Ruhm, sehr viel für die Einbürgerung<br />

und Angleichung der deutschen Juden getan hat, so soll darüber<br />

und über a l l e s Leid, das seine Abstammung ihm eingetragen<br />

hat, nicht vergessen werden: daß Moses Mendelssohn just bei seinen Religionsgenossen<br />

nicht den Standpunkt der Aufklärung vertrat, sondern<br />

den der Orthodoxie. Der junge, ganz unreife Lessing, der von Mendelssohn<br />

sehr viel hielt und von Spinoza sehr wenig, konnte noch 1754 auf<br />

eine antisemitische Bemerkung des Orientalisten Michaelis antworten:<br />

seine Redlichkeit und sein philosophischer Geist lasse ihn Mendelssohn im<br />

voraus als einen zweiten Spinoza betrachten, dem zur völligen Gleichheit<br />

mit dem ersten nichts als seine Irrtümer fehlen werden. Als aber

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