Band 4 - m-presse
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264 Viertes Buch. Siebenter Abschnitt<br />
1848; es fehlt nicht an gut gereimten Bosheiten gegen die Demokraten<br />
und die Republikaner des Frankfurter Parlaments; Jordan selbst wird mit<br />
einem besonders kecken Reime genannt ("ihn stellt die deutsche Admiralität<br />
demnächst als ihren zweiten Lord an. — Dann ist's der Polenfresser<br />
Jordan."). Der Held Heinrich-Agathodämon, Mitglied des Parlaments,<br />
anfangs ein sozialistischer Volksfreund, wandelt sich nach der Ermordung<br />
seines Freundes, des Fürsten Lichnowski (Tagesgeschichte und Allegorien<br />
fließen wirr durcheinander), zu einem Anhänger der Kaiserpartei; er begeistert<br />
sich, wirklich als ob das Buch nach 1871 geschrieben wäre, für<br />
Preußen und für einen alldeutschen Militarismus.<br />
Als ich Wilhelm Jordan, in Abbazia, zum letztenmal sprach — man<br />
sah und hörte ihm nicht an, daß er über achtzig Jahre alt war —, plauderten<br />
wir über Gott und die Welt, also auch über seinen "Demiurgos". In dieser<br />
Unterhaltung hat er mich allen Ernstes versichert — was er sonst auch<br />
in seinen geharnischten Altersreimen auszusprechen liebte —, daß Bismarck<br />
sein Lebenswerk, die realpolitische Einigung Deutschlands, dem "Demi<br />
rgos" nachgeschaffen habe. Er glaubte, alle Ehren des größten deutschen<br />
Dichters und des größten deutschen Staatsmannes zu verdienen; und leicht<br />
beeinflußbare junge Leute haben es ihm mitunter nachgesprochen. Auf solche<br />
Überschätzung ist dann eine Unterschätzung gefolgt. Übrigens hörte ich damals<br />
in Abbazia von Jordan, nicht zum erstenmal, die fast noch wildere<br />
Behauptung, Darwin hätte ihm seine Deszendenzlehre "gestohlen". Die<br />
Sehnsucht nach Deutschlands Einheit und Größe hatte der Dichter der „Nibelunge"<br />
immerhin mächtig anfachen helfen; für das Aufkommen der Entwicklungslehre<br />
aber waren seine Schriften ohne jede Bedeutung geblieben.<br />
Der dritte <strong>Band</strong> bringt keine dichterische, nicht einmal eine verständlich<br />
kosmologische Lösung der gewaltigen Aufgabe; spielten nicht überall Allegorien<br />
hinein, es wäre wie das Ende eines freundlichen Familienromans:<br />
Heinrich als Gatte, Vater und Großvater ist, nach schwerer Not und einem<br />
kurzen Schlaraffentraum, durch eigene Arbeit wieder ein reicher Graf geworden<br />
und mit seinem Lebenswerke sehr zufrieden. Nun ist dieser Heinrich<br />
aber zugleich der inkarnierte Agathodämon; also hat sein Widersacher, der<br />
Demiurgos Luzifer, seine Wette gewonnen: die Entwicklung allein, ohne<br />
Liebe und ohne Gott, erhebt den Menschen zum Gipfel des Glücks; Demiurgos<br />
und Agathodämon, brüderlich vereint, schweben in Liebe zu Gott<br />
empor. Ich kann nichts dafür, daß diese Inhaltsangabe voll von Widersprüchen<br />
ist; die Schuld trägt wohl "der unbekannte Unsterbliche", unter<br />
welchem offenbar der Dichter Wilhelm Jordan selbst verstanden werden<br />
soll. Ein Platen, der es sich in den Kopf gesetzt hat, zugleich Goethes Faust<br />
zu verbessern und Hegels atheistisch-theologischen Optimismus zu erneuern.<br />
Wilhelm Jordan 265<br />
Götternamen aus dem Osten und aus dem Westen werden mißbraucht, eine<br />
neue Religion der Menschenzüchtung wird auf Betrug gegründet, die<br />
Christologie wird als eine bloße Sage behandelt, dann aber wird Jesus<br />
wiederum, in fettgedruckten Versen, als der Mittler gefeiert. Schließlich<br />
jedoch, wenn man zu einem letzten Worte über das krause Werk kommen<br />
will, gehört der Dichter des „Demiurgos" mehr als ihm bewußt ist, zum<br />
"jungen Deutschland", nur daß er irgendwie einen Anschluß an die Konservativen<br />
und an die Nationalen gefunden hat. Die Gnosis kann uns die<br />
Brücke über diese Kluft bauen helfen. Einst waren es nicht die schlechtesten<br />
Gnostiker gewesen, die das Alte Testament gar nicht als ein Offenbarungsbuch<br />
anerkannten, in dem Weltbaumeister gar nicht das höchste Wesen<br />
sahen, nur den bösen Demiurgos, die überdies von dem Jesus der Geschichte<br />
viel weniger hielten als von dem geistigen Jesus ihrer Mysterien. In dem<br />
Gedichte Jordans wie in der Gnosis ist der alte Judengott fallen gelassen<br />
worden und damit der Gott des abendländischen Christenglaubens. Ich<br />
habe mich schon oft darüber gewundert, daß die Draufgänger unserer<br />
judenfeindlichen Alldeutschen nicht den Mut gefunden haben, den Bildersturm<br />
gegen die Judenbibel zu beginnen; nur ihre politische Verbindung<br />
mit den protestantischen Orthodoxen steht dieser Tat im Wege; sie könnten<br />
für ein solches Unternehmen den Verfasser des "Demiurgos" und der<br />
"Nibelunge" zum Range ihres klassischen Dichters erheben.<br />
Ich habe zwischen die Gestalten von Karl Gutzkow und Gottfried<br />
Keller — fast wie von selbst — die Erinnerung an Hebbel, an das Jahr<br />
1848 und an Jordan eingeschoben, um weniger zu überraschen, wenn<br />
ich jetzt den deutschen Schweizer, der erst vor kurzem ganz unser geworden<br />
ist, an die Geschichte der alten Herren des Vormärz anknüpfe.<br />
Fast ebenso überraschend wie ein gewisser Deismus bei Hebbel wird Gottfried<br />
für viele ein entschiedener Atheismus, wenn auch kein Gotteshaß, bei dem<br />
lieben stillen Gottfried Keller sein. Hebbel gehört schon völlig der Literaturgeschichte<br />
an; Keller, nur sechs Jahre jünger, doch spät zum Dichter umgewandelt<br />
und noch sehr viel später erst ein Besitz seines Volkes geworden,<br />
ist erst seit wenigen Jahrzehnten ganz wirksam und führt so völlig vom<br />
vormärzlichen Feuerbach, dessen feuriger Anhänger er einmal war, zur<br />
Gegenwart herüber. Aus all diesen Gründen muß und will ich bei dem<br />
Dichter des "Grünen Heinrich" ein wenig rasten, der natürlich — wie ich<br />
recht gut weiß — nur in seinen Anfängen und etwa noch in einigen Anlehnungen<br />
an Heinrich Heine dem "jungen Deutschland" angehört, in<br />
seinen reifen Meisterwerken an Goethe wieder unmittelbar anknüpft,<br />
aber mit seinem beglückendsten Schaffen in den Jahren auftrat, die der<br />
Bismarckzeit unmittelbar vorausgehen. Ich darf also einige kurze Be