Band 4 - m-presse
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392 Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />
den sogenannten Demokraten. (Ich sage "die Katholiken", und nicht "das<br />
Zentrum", weil diese amtliche Parteibezeichnung selbst wieder eine Unwahrheit<br />
ist; die Führer des Zentrums waren immer Werkzeuge der<br />
römischen Kurie, wenn sie nicht die römische Kurie zu politischen Zwecken<br />
mißbrauchten.) Genug daran, der leoninische Vertrag wurde geschlossen,<br />
durch welchen den sozialistischen Führern ein Stück Gegenwart hingeworfen<br />
wurde — wie z. B. die Repräsentation des Reichs —, während<br />
die Zukunft, ich meine die Schule, der katholischen Kirche überantwortet<br />
wurde.<br />
Die erste Unwahrheit und Dummheit der Linken bestand darin, daß<br />
sie in den wenigen Tagen der Macht das neugeschaffene Ministerium für<br />
Kunst, Wissenschaft und Volksbildung dadurch lähmte, daß sie es an<br />
zwei höchst ungleiche Männer zu gemeinsamer Arbeit vergab: an den<br />
prächtigen, aber notorisch ganz ungebildeten Adolf Hoffmann, den Antichristen<br />
und Pfaffenfresser, und den jedem bisherigen Unterrichtsminister<br />
Haenisch an Einsicht überlegenen sozialistischen Politiker Konrad Haenisch. Haenisch<br />
allein hätte unberechenbar viel leisten können; Hoffmann allein hätte sehr<br />
viel Altes als Ruine zurückgelassen, auf die Gefahr, daß er gezwungen gewesen<br />
wäre, den Widerstand der katholischen Provinzen in einem Bürgerkriege<br />
niederzuwerfen. Ich weiß nicht, ob Hoffmann der Mann gewesen<br />
wäre für eine solche Aufgabe; ich weiß nur, daß die Partei vor der bloßen<br />
Drohung eines Bürgerkriegs zurückschreckte, und daß Haenisch, von Natur<br />
ein Optimist, von seiner Partei den Auftrag erhielt, den Demokraten und<br />
den Katholiken jeden Preis dafür zu bezahlen, daß den Sozialisten die<br />
Repräsentation des Unterrichtsministeriums erhalten blieb. Haenisch zahlte<br />
ungern den Preis; und zwei Jahre später — bevor er noch sein ideales<br />
Programm hatte durchführen können — war er beseitigt und ein Geschäftsführer<br />
des Zentrums, beileibe kein Zentrumsmann, war an der<br />
Arbeit, die preußische Schule hinter die Zeit des Kulturkampfes zurückzurestaurieren.<br />
Unterstützt von den Demokraten, denen vor einer ernsthaften<br />
Sozialisierung Deutschlands bange geworden war, vorgeschoben<br />
von den Katholiken, die einige Wochen lang vor einer Trennung von Kirche<br />
und Schule gezittert hatten.<br />
Das Buch von Haenisch soll ein Rechenschaftsbericht sein, liefert aber<br />
den Beweis, daß auch dieser redliche Sozialist — vielleicht eben wegen<br />
seiner Redlichkeit — kein Staatsmann ist, wie die geistig so hochstehenden<br />
Leiter der Münchener Revolution, Kurt Eisner und Gustav Landauer,<br />
keine Staatsmänner waren, zu vertrauensselig gegenüber den Realpolitikern<br />
des inneren und des äußeren Feindes. Girondisten. "Wer<br />
Freiheit für sich selbst beansprucht, muß sie auch seinem Gegner zugestehen"<br />
Kirche und Schule 393<br />
(S. 181); Unbedingte Gewissensfreiheit wird gefordert. Dabei weiß der<br />
Optimist Haenisch sehr gut und spricht es auch wiederholt aus (S. 101 und<br />
130), daß die Rücksicht auf die Freiheit des Gegners (Frauenwahlrecht,<br />
Studentenrecht) zu einer Niederlage der sozialdemokratischen Front führen<br />
kann und muß. Die Linkssozialisten haben das schwere Unrecht gegen<br />
Haenisch begangen, seine ehrliche Gesinnung zu verdächtigen; und er<br />
wiederum ist ein Feind dieser Männer, die sich nur in dem (für Deutschland)<br />
möglichen Tempo der Befreiung irrten. Noch einmal: an die Girondisten<br />
gemahnen die Rechtssozialisten, unter denen es keinen handelnden,<br />
also gewissenlosen Mann gab. So ist das Bild der ganzen Bewegung auf<br />
den Kopf gestellt: die Sozialisten (und die wenigen Demokraten, die noch<br />
freiheitliche Ziele verfolgen) geben Punkt für Punkt ihrer Stellung in<br />
nachgiebigen Kompromissen preis, und die Kirche, die ihren Besitz mit<br />
Erbschlauheit verteidigt, scheint ein Ideal zu verfechten. Haenisch darf sich<br />
dessen rühmen (S. 173): „daß sich heute die katholische Kirche in Preußen<br />
(und Deutschland) freier bewegen kann als zu irgendeiner früheren Zeit."<br />
Das Konkordat, mit welchem der Kaiser gewordene Napoleon den Sargdeckel<br />
über die Revolution nagelte, zehn Jahre nach der Absetzung Gottes,<br />
haben die Sozialisten unmittelbar nach der Revolution der Kirche entgegengetragen.<br />
Aus Gerechtigkeitsgefühl, wie sie sagten. Weil sie keine<br />
Staatsmänner waren, wird die Geschichte urteilen. Die beiden "Nationen",<br />
die der dummen Ungläubigen und die der schlauen Gläubigen, stehen einander<br />
gegenüber, zum Bürgerkriege bereiter als je. Und weil dem so ist,<br />
lohnt es sich, die Stimmung kennen zu lernen, die das deutsche Gemüt<br />
durch den Weltkrieg der Religion gegenüber ausgewirkt hat oder auch<br />
nur ausgelöst.<br />
Bei der "Nation" der Ungläubigen ist es vorbei mit dem Ansehen der Gegenwart<br />
alten Religion. Vorbei in den Wissenschaften der drei ernsthaften Fakultäten<br />
und der technischen Hochschulen; denn die theologische Fakultät wird<br />
nur noch ein bestochener Theologe mit der Wissenschaft in Verbindung<br />
bringen. Vorbei ist es mit der alten Religion in der Kunst; man malt,<br />
modelliert und komponiert (die Musiker freilich könnten dem alten Glauben<br />
immer noch ehrlich dienen, weil die neue Stimmung sich auch in Kirchenmusik<br />
hineinlegen läßt) nach wie vor religiöse Gegenstände, aber fast nur<br />
noch auf Bestellung. Vorbei in der Gesellschaft, die über religiöse Fragen<br />
nicht mehr streitet und nicht einmal mehr plaudert. Vorbei im häuslichen<br />
Leben; es ist da fast allgemein in das Bewußtsein des Mittelstandes gedrungen,<br />
daß die Bezahlung der Kirche für ihre Beteiligung an Geburt,<br />
Heirat und Tod nur noch ein kostspieliges Andenken aus alter Zeit ist; es ist<br />
wirklich so weit gekommen, daß etwas Totes die Toten begräbt. Vorbei