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Band 4 - m-presse

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362 Viertes Buch. Neunter Abschnitt<br />

ist nicht zu zweifeln; die Liebe zum Menschen, das Mitleiden ist seine Hölle<br />

und zuletzt sein Tod geworden. Doch der gottlose Zarathustra ist nur diesen<br />

alten Gott los geworden, nicht jeden Gott. Der letzte Papst ist gottloser<br />

als er, aufgeklärter; er spöttelt wie Voltaire über den zweideutigen Gott,<br />

der einem Großvater ähnlicher ist als einem Vater, am ähnlichsten aber<br />

einer wackeligen alten Großmutter. Zarathustra dagegen ist der Frömmste<br />

unter allen denen, die nicht an Gott glauben. Nur der herkömmliche Gottesbegriff<br />

hat ihn nicht befriedigt. "Lieber keinen Gott, lieber auf eigene<br />

Faust Schicksal machen, lieber Narr sein, lieber selber Gott sein!" Ist es<br />

Narrheit, so ist es weise und beglückende Narrheit.<br />

Ich habe schon darauf aufmerksam gemacht, daß der letzte Papst oder<br />

der letzte Priester beileibe keine Wendung gegen den Katholizismus bedeutet,<br />

daß nur ein Symbol des Christentums oder des Gottglaubens überhaupt<br />

gemeint ist. Mag man es bewundern oder schelten, Nietzsche steht mit<br />

seinem Adler, dem Stolze, und mit seiner Schlange, der Klugheit, zu hoch<br />

über dem Menschentreiben der Niederungen, um in seinen besten Stunden<br />

gegen irgendeine zufällige Sekte zu streiten. *) Ja er steht so hoch, daß er<br />

in den kleinen Sektenstiftern, auch in den Mystikern und den Freigeistern,<br />

die höheren Menschen erkennt, die für die Lehre vom Übermenschen am<br />

besten vorbereitet sind. Auch der letzte Papst gehört zu den höheren Menschen,<br />

er ist der gottloseste unter ihnen. Der Ekel hat alle diese höheren Menschen<br />

erfaßt, die Weltverzweiflung; so sind sie aus eigener Kraft dorthin gelangt,<br />

von wo sie den Weg zu Zarathustras Höhle finden können. Aber sie stehen<br />

alle noch auf kranken und zarten Beinen, sie sind noch Christen, sie wollen<br />

noch geschont werden; sie sind noch nicht die lachenden Löwen, deren Herankunft<br />

Zarathustra auf seinem hohen Berge erwartet, die Zarathustra zu<br />

seinen Schülern und Aposteln machen möchte.<br />

Nietzsche scheint zu glauben oder zu sagen, daß diese höheren Menschen<br />

durch das "Eselsfest", eine Parodie jedes Gottesdienstes, für seine Lehre<br />

endlich reif geworden sind. Dieses Eselsfest ist jedesfalls in dem Plane,<br />

den Nietzsche für die Fortsetzung des Zarathustra ausdachte, der Höhepunkt.<br />

Wessen? Der Dichtung? Schwerlich. Das Lachen begleitet alle Reden<br />

und Erscheinungen Zarathustras, ist aber nicht das Leitmotiv. Bei Rabelais<br />

konnte die Parodie von der heiligen Flasche der Höhepunkt werden, weil<br />

Rabelais nur lachen machen wollte und ganz nebenbei klüger machen.<br />

Auch in Vischers „Auch Einer" ist die köstliche Parodie auf das Sakrament<br />

der Kommunion eine Episode. Bei Nietzsche will das Eselsfest mehr sein als<br />

"Eselsfest" 363<br />

eine Episode, weil es den ganzen Bau krönt und nur noch der Steinblume,<br />

dem großen Schlußgedichte, zur Unterlage dient.<br />

Die höheren Menschen alle liegen in Zarathustras Höhle gleich Kindern<br />

und alten Weibchen auf den Knien und beten den Esel an mit einer blasphemischen<br />

Lobpreisung. „Er trägt unsere Last, er nahm Knechtsgestalt<br />

an, er ist geduldsam von Herzen und redet niemals Nein; und wer seinen<br />

Gott liebt, der züchtigt ihn. Er redet nicht; es sei denn, daß er zur Welt,<br />

die er schuf, immer Ja sagt: also preist er seine Welt. Seine Schlauheit ist<br />

es, die nicht redet: so bekömmt er selten Unrecht. Welche verborgene Weisheit<br />

ist das, daß er lange Ohren trägt und allein Ja und nimmer Nein sagt!<br />

Hat er nicht die Welt erschaffen nach seinem Bilde, nämlich so dumm als<br />

möglich?" Und der Esel-Gott schreit zu jedem dieser Absätze der Litanei,<br />

und zu manchem anderen, sein J—A. Aber auch Nietzsche selbst scheint das<br />

Eselsfest zu bejahen und ihm eine entscheidende Stelle in dem Gebäude<br />

seiner Lehre zu geben; man soll das Eselsfest zu seinem Gedächtnisse abermals<br />

feiern, das Fest läßt ihn zum Erdenleben sagen: Noch Ein Mal. Ich<br />

finde die Parodie zu klein; der witzigere Nietzsche war mir nie der bessere<br />

Nietzsche. Nietzsche-Zarathustra fühlte sich doch selber einen Gott und<br />

wollte doch weder angebetet noch angeräuchert sein, am wenigsten als ein<br />

Gott-Esel.<br />

Zu den übermütigsten Blasphemien des "Tänzers" Nietzsche gehört<br />

der Vers aus dem Zarathustra: "Wenn es Götter gäbe, wie hielte ich's aus,<br />

kein Gott zu sein! Also gibt es keine Götter." Selbstverständlich ist der<br />

Satz in dieser scheinlogischen Form keine richtige Schlußfolgerung; er ist<br />

darum auch nur von Dummköpfen gegen Nietzsche ausgemünzt worden.<br />

Mit Recht, wenn der Dummkopf ein Recht hat, das geistigste Lachen nicht<br />

zu verstehen. Ich habe schon öfter die Vermutung geäußert, Nietzsche habe<br />

Feuerbach gut gekannt und eben auch diesen Vorgänger mit vollendeter<br />

Freiheit "überwunden". Nun will ich diesen oft angeführten Satz nicht für<br />

eine bewußte Zuspitzung eines Feuerbachschen Gedankens ausgeben, aber<br />

doch die Worte Feuerbachs zur Vergleichung hersetzen. "Gott zu wissen<br />

und nicht selbst Gott zu sein, Seligkeit zu kennen und nicht selbst zu genießen,<br />

das ist ein Zwiespalt, ein Unglück" (Wesen des Christentums, Reclam,<br />

S. 75). Feuerbach vergottet den Menschen, dieser Anthropotheismus wird<br />

im Zarathustra zu einer lachenden Bosheit der Sehnsucht.<br />

Wieder hat im "Antichrist" die Wehmut des Dichters dem Toben des<br />

Polemikers Platz gemacht. Nietzsche nennt da einmal die Gegner der<br />

freien Geister die Truthähne Gottes, selbst ein Truthahn, dem Gott ein<br />

*) Ich habe mir den Vers nicht gemerkt, aber ich bin dessen sicher, daß Nietzsche seine<br />

roter Lappen ist. Er begreift viel besser die wilden, blutgierigen, rachsüchtigen<br />

beiden Wappentiere von dem großen Phantasielyriker Shelley entlehnt hat, der — immer<br />

Nationalgötter, als den Einen internationalen Gott. „Ein Volk, das noch<br />

wach und bereit — auf den "Auferstehungstag der Wahrheit" wartete\footnote{Mauthner denkt vielleicht an "The Revolt of Islam" (d.\tsnb H.)}.

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