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Band 4 - m-presse

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302 Viertes Buch. Achter Abschnitt<br />

Verstand gar nicht geeignet; so überließ er auch alle diese Dinge seinem<br />

ersten Minister. Und Bismarck hütete sich, die Formen des von ihm selbst<br />

geschaffenen öffentlichen Rechts zu verletzen, da er — neben seiner weltpolitischen<br />

Arbeit — mit aufgeklärtem Despotismus regierte, unbekümmert<br />

um die schwankende Mehrheit des Reichstages, unbekümmert auch um die<br />

konservativen mächtigen Todfeinde und um die liberalen ohnmächtigen<br />

Nörgler. Als ein Erbe halbvergessener Kaiserzeit nahm der aufgeklärte<br />

Despotismus Bismarcks im sogenannten Kulturkampfe den Streit mit<br />

der Kirche wieder auf, nicht nur den Streit mit der katholischen Kirche;<br />

denn staatliche Schulaufsicht und die Zivilstandsgesetze hätten auch den<br />

Protestantismus tödlich treffen können, wenn die Regierer und die Regierten<br />

fest geblieben wären.<br />

Für den Fürsten Bismarck müßte, um sein Verhältnis zu seinem<br />

Gotte auszudrücken, eine neue Bezeichnung erfunden werden. Er hatte<br />

sich wohl selten die Muhe genommen, über diese Dinge nachzudenken.<br />

"Der handelnde Mensch ist immer gewissenlos"; der handelnde Mensch<br />

ist gottlos. Gottlos aber nur in dem Sinne einer Negation der Beziehungen,<br />

nicht in dem Sinne einer Negierung der Existenz Gottes. Mit der gleichen<br />

falschen Wortbildung, die sich so schnell eingebürgert hat wie Nietzsches<br />

"amoralisch", könnte man solche handelnde Menschen "areligiös" nennen.<br />

Ohne Spur von Heuchelei konnte Bismarck den Gottesbegriff bemühen<br />

oder außer acht lassen, je nachdem die Bedingungen seines Handelns<br />

den Gebrauch des Wortes erforderten oder nicht. Wie er auch die Schlagworte<br />

des Staatsrechts nach den Umständen wählte. Ein praktischer<br />

Sprachkritiker.*)<br />

Es ist bekannt, wie er seinen alten Kinderglauben bereitfand, als er<br />

bei ihren frommen Eltern um die Hand seiner lieben Johanna werben<br />

mußte. Noch belehrender ist sein intimer Briefwechsel mit der Schwester<br />

Malle. Bis zu seinem einunddreißigsten Jahre verrät kein Satz, daß er<br />

zu Gott und der Welt anders gestanden habe als irgendein anderer aufgeklärter<br />

Leutnant oder Referendar. Er spottet (S. 2) über die Erzieherin,<br />

„die sich seit lange im Stande der Gnade und Heiligkeit befindet, und<br />

im Himmel den Mann zu finden hofft, der ihr hier auf Erden entgangen<br />

*) Bismarck schreibt am 13. August 1875 an den Kaiser: er würde wie 1867 in der<br />

Luxemburger Frage niemals zureden, einen Krieg um deswillen sofort zu führen, weil<br />

wahrscheinlich sei, daß der Gegner ihn bald beginnen werde; "man kann die Wege der göttlichen<br />

Vorsehung dazu niemals sicher genug im voraus erkennen." Dieses "niemals<br />

sicher genug" ist entweder ein sehr kühner und blasphemischer Scherz und erinnert fast<br />

an die Geschichte des Pastors, der in Seenot zu seiner Frau sagt: "Hier sind wir gar zu<br />

sehr in Gottes Hand." Oder der Fürst kleidet seinen Gedanken von der Unsicherheit der<br />

Zukunft nur in den cant, der ihm dem Kaiser gegenüber geläufig ist; dann ist ihm das<br />

Wort "niemals sicher genug" nur entschlüpft und zeugt für seinen Unglauben.<br />

Bismarck 303<br />

ist". Von derselben Dame sagt er (S. 8; beide Briefe sind aber an seinen<br />

Freund und künftigen Schwager Arnim gerichtet): "Sie mag sich ein<br />

sicheres Freibillett zum Himmelreich erworben haben, aber hier auf Erden<br />

übt sie einen winterlichen Einfluß auf ihre Umgebung." An die Schwester<br />

selbst klagt der Dreißigjährige (S. 27), er müsse zu einem ästhetischen Tee<br />

"mit Lektüre, Gebet und Ananasbowle". Sehr merkwürdig ist anderthalb<br />

Jahre später ein Brief, der ganz deutlich beweist, er glaube nicht<br />

an ein Jenseits. Beim Tode der Freundin erschüttert ihn zum ersten Male,<br />

viel stärker als beim Tode des Vaters, die Vorstellung, er werde die ihm<br />

teuer und notwendig gewordene Person nie wieder sehen und hören.<br />

"Beneidenswert ist mir die Zuversicht der Verwandten, mit der sie diesen<br />

Tod als kaum etwas anderes wie eine Vorausreise betrachten, der ein<br />

fröhliches Wiedersehen über kurz oder lang folgen muß" (S. 40).<br />

Schon der nächste Brief meldet die Verlobung mit Johanna, und<br />

unmittelbar darauf wird zum ersten Male die sprachliche Formel von<br />

Dankbarkeit gegen Gott benützt. Niemals findet man eine Äußerung<br />

christlicher Frömmigkeit; immer genügen abgegriffene Redensarten, die<br />

wie "Gott sei Dank" oder "mit Gottes Hilfe" auch zum Sprachgebrauche<br />

eines Atheisten gehören können. Vor allem niemals, auch beim Greise<br />

nicht, ein Gedanke an die Unsterblichkeit der Seele.<br />

Eine Ausnahme scheint der schöne Brief vom 16. August 1861 (S. 125)<br />

zu bilden, der der Schwester und dem Schwager das innigste Beileid beim<br />

plötzlichen Tode des Sohnes ausspricht. Da ist freilich von Gottes gewaltiger<br />

Hand die Rede. Ich kann mir aber nicht helfen: der damals<br />

schon vielbeschäftigte Staatsmann scheint wirklich in seinem Trostbriefe<br />

zum Kinderglauben nur zurückzugreifen, weil dieser Glaube die Stimmung<br />

am einfachsten aussprechen läßt, fast hätte ich gesagt: ökonomisch,<br />

im Sinne von Mach. Bismarck sagt allerdings auf der nächsten Seite:<br />

das Leben wäre das An- und Ausziehen nicht wert, wenn es damit vorbei<br />

wäre; aber diese — nicht seltene, nur pessimistische — Frommheit<br />

wird als eine fremde Äußerung zitiert und ausdrücklich gesagt, im Glauben<br />

an ein Wiedersehen nach dem Tode liege keine Linderung des Schmerzes.<br />

In einem Briefe aus Petersburg vom Januar 1862 (S. 129) wird<br />

der Name Gottes wohlgezählt viermal unnützlich gebraucht; hier liegt der<br />

Fall aber wieder anders. Bismarck fühlt sich krank und ist im Begriffe,<br />

die Berufung zum leitenden Minister anzunehmen. Er übt sich im cant<br />

des Berliner Hofes, wie er vor seiner Abreise nach Petersburg ab und<br />

zn russische Worte un russischen Buchstaben eingeflochten hat.<br />

Ich möchte nicht mißverstanden werden. Bismarck war wahrlich<br />

kein Heuchler. Er heuchelte nicht, wenn er in dem berühmten Werbebriefe

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