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Band 4 - m-presse

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14<br />

Drittes Buch. Zwölfter Abschnitt<br />

Gottesbeweis aus der Notwendigkeit des Denkens nicht möglich.<br />

"Wenn wir die Existenz Gottes nicht fühlen, beweisen können wir sie nicht."<br />

"In die gewöhnlichen Betrachtungen der Menschen über das Wesen,<br />

das die Welt hervorgebracht hat, mischt sich doch offenbar eine große Menge<br />

von frommem unphilosophischem Unsinn. Der Ausruf, was muß das für<br />

ein Wesen sein, das das alles gemacht hat! — ist doch nicht viel besser als<br />

der: was mag das für ein Bergwerk sein, in welchem der Mond ist gefunden<br />

worden. Denn erstlich wäre doch erst einmal zu fragen, ob die Welt<br />

gemacht worden ist, und zweitens, ob das Wesen, das sie gemacht hat,<br />

imstande wäre, eine Repetieruhr aus Messing zu machen."<br />

"Die Religion ist eine Sonntagsaffäre."<br />

Lichtenberg war in allem ein starker, aber er war kein kämpfender<br />

Geist; sein Leben war ihm wirklich, wie Forster einmal sagt, auf Mutwille<br />

und Leichtsinn gestellt. Es war ein humoristischer Charakter wie Busch<br />

einer, war aber kein Arbeiter, nicht einmal dazu tätig genug, sich selbst<br />

in einem zu gestalten. Er war der einzige Deutsche, der es an satirischer<br />

Kraft mit Swift hätte aufnehmen können; doch er ließ diese Kraft schlummern,<br />

weil ihm der Umfang Swiftschen Schaffens nicht genügte; darin<br />

also doch eine problematische Natur. Aber es spricht für Lichtenbergs fast<br />

unbewußte Zielsicherheit, daß, als er sich einmal doch zu einer geformten<br />

Satire zusammenraffte, es ein vernichtender Schlag wurde gegen den<br />

unausstehlichen Frömmler und zudringlichen Proselytenmacher Lavater.<br />

Und es ist lehrreich, wie Lichtenberg, der kein Judenfreund war, sich da<br />

des armen Mendelssohn gegen Lavater annahm, wie er sich sonst frei und<br />

groß zu dem berüchtigten Atheisten Spinoza bekannte, der "den größten<br />

Gedanken dachte, der noch in eines Menschen Kopf gekommen ist". Unvergessen<br />

ist sein Wort: "Wenn die Welt noch eine unzählbare Zahl von Jahren<br />

steht, so wird die Universalreligion geläuterter Spinozismus sein." Völlig<br />

beweisend für die Stellung Lichtenbergs scheint mir sein zustimmendes<br />

Urteil über den Links-Kantianer Heydenreich, das ich mit dem gottlosen<br />

Schlußsatze im Zusammenhange mitteilen will, wenn von Heydenreich<br />

die Rede sein wird.<br />

Jean Paul Nach Georg Forster, dem aktivistischen Republikaner, und Lichtenberg,<br />

dem witzigsten und radikalsten aller deutschen Büchermenschen, muß ich noch<br />

einen Schüler der großen Revolution nennen: mag es verdrießen, wen<br />

immer, den "in Bier und Tränen mächtigen Kneipanten" Jean Paul, der<br />

in deutschen Literaturgeschichten immer noch, als ob sie polizeiliche Meldezettel<br />

wären, unter dem Namen Johann Paul Friedrich Richter geführt wird.<br />

Jean Paul (geb. 1763, gest. 1825), zwanzig Jahre jünger als Lichtenberg,<br />

zehn Jahre jünger als Forster, scheint einem anderen Menschenalter<br />

Jean Paul 15<br />

anzugehören; aber er ist schon darum zeitlos, weil er bis zu seinem Tode<br />

auf dem Standpunkte der Jugend stehen blieb, besser: auf dem Standpunkte<br />

der Pubertät. Was Jean Paul für uns mit den beiden (auch untereinander<br />

so ungleichen) Freigeistern verbindet, ist zunächst ihre gemeinsame<br />

Abkunft von Rousseau. Sie stehen da neben noch ganz anderen<br />

deutschen Männern: neben Kant und Goethe. Nicht nur Forster, auch<br />

Lichtenberg glaubt an den seligen Naturstand der Menschen; und Jean<br />

Paul entflieht nur zu gern aus dem Jammertal der Erde zu den himmlischen<br />

Utopien. Alle drei träumen schon, fast hundert Jahre vor Nietzsche,<br />

den Traum von einem Übermenschen, von der Kinder Lande, das man<br />

mehr lieben sollte als das Vaterland. Alle drei sind sie ausgemachte Kosmopoliten,<br />

in dem freien Sinne, in welchem Herder und Goethe schon vor<br />

der Revolution von der Nation nichts mehr wissen wollten. Jean Paul<br />

erwartete eine Universalrepublik; "wenn einmal dieser Lebensdunstkreis<br />

heiter werden soll, so müssen alle Völker der Erde einmal zusammengegossen<br />

werden und sich in gemeinschaftlicher Gärung abklären".<br />

Die religiöse Bilderstürmerei der Revolution machte Jean Paul nicht<br />

so mit wie die politische; aber ein starker Geist, ein gottloser Gottsucher<br />

war er trotz seiner Sehnsucht nach einem Glauben an die Unsterblichkeit,<br />

trotz seiner tollen "Rede des toten Christus, daß kein Gott sei". Wenn die<br />

Lerche, um sein eigenes Bild zu brauchen, sich aus dem Dreckloch, in dem<br />

sie nistete, in den Äther schwang, dann wollte sie auch den Himmel haben.<br />

Gervinus, in seiner ganzen "Geschichte der deutschen Dichtung" mehr<br />

noch politisch als künstlerisch eingestellt, rühmt es an unseren Klassikern vom<br />

Ausgang des 18. Jahrhunderts, daß sie — im Gegensatz zu Voltaire, der<br />

aber dasselbe für den Pöbel wollte — dem Volke das Christentum erhalten<br />

wissen wollten, daß sie es mit historischer Gerechtigkeit betrachteten; kein<br />

Mann von Bedeutung erscheine in unserer Literatur, der nicht die Fessel<br />

der positiven Religion abgeschüttelt hätte, keiner aber auch, der sie nicht<br />

respektiert hätte an dem, der sie gern tragen mochte (V, S. 329); Goethe,<br />

der dezidierte Nichtchrist, wird in drolliger Weise deshalb getadelt, weil<br />

er manche Bitterkeiten gegen die Religion nicht nur in Briefen und Gesprächen,<br />

sondern auch in seinen Schriften vorbrachte. In diesem Zusammenhange<br />

sagt Gervinus von Jean Paul mit besserem Rechte: er habe in religiösen<br />

Dingen ganz frei gedacht, aber alles bleibe doch in Ordnung, d. h.<br />

das Volk werde in seinem Kirchenglauben nicht irre gemacht. In Wahrheit<br />

ist es gar nicht so einfach, über die philosophischen und religiösen Überzeugungen<br />

Jean Pauls ins klare zu kommen, der übrigens bei seinen Lebzeiten<br />

von den Männern und Frauen des deutschen Mittelstandes mehr<br />

gelesen und bewundert wurde als Goethe. Jean Paul war ein Selbst­

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