Band 4 - m-presse
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258 Viertes Buch. Siebenter Abschnitt<br />
Christeln zuerst den Zorn Nietzsches erregte und dann dessen lärmenden<br />
Abfall bewirkte. Aber Hebbel brauchte keine revolutionäre Vergangenheit<br />
zu verleugnen; er war so sehr nur Künstler, daß er mit kaltem Blute<br />
auch fromme Gefühle nachfühlen konnte.<br />
Am aufschlußreichsten über Hebbels deistische Rückständigkeit wäre<br />
wohl seine Tragödie "Moloch" geworden, wenn dieses Lebenswerk nicht<br />
nach zwanzigjährigem Mühen doch Fragment geblieben wäre. Der Dichter<br />
Hebbel steht an Sprach- und Gestaltungskraft wirklich hoch über dem<br />
Schriftsteller Gutzkow, den er aber vielleicht nur darum so gehaßt hat,<br />
weil auch noch der reife Dramatiker Hebbel sich ähnlich unlösbare Aufgaben<br />
stellte wie der junge Gutzkow; ich sehe wenigstens Verbindungsfäden, die<br />
von der "Geschichte eines Gottes" (1833) zum "Moloch" (der Plan wird<br />
zuerst 1837 erwähnt) hinüberführen. Die Fabel so "historisch", als ob sie<br />
von Felix Dahn konstruiert worden wäre: ein uralter Bruder Hannibals<br />
landet auf Thule, um die Teutonen zum Kampfe gegen Rom zu erziehen<br />
und aufzustacheln. Größe kommt in das Drama erst dadurch, daß der Karthager<br />
den Moloch, den Eisenklump, an den er selbst nicht glaubt, dazu benützt,<br />
die noch religionslosen Teutonen fanatisch zu machen. Die Stiftung<br />
einer Religion also, der auch ein vom Gotte angeblich diktiertes Buch nicht<br />
fehlen darf. Wie bei Gutzkow gibt es da, wenn auch natürlich weniger<br />
geschmacklos, Anspielungen auf das Christentum. Der Karthager ist der<br />
Betrüger, der junge König von Thule ist der Betrogene. Schimpflicher<br />
hätte die Macht der offenbarten Religionen gar nicht symbolisiert werden<br />
können; aber der Schluß hätte eine Überraschung gebracht: hinter dem<br />
grauenhaften Moloch, dem Gotte der Rache, verbirgt sich irgendwie und<br />
irgendwo der Gott des Deismus, der teutonische Gott, an welchen sogar<br />
der Karthager selbst glauben lernt.*) Das war natürlich nicht Hebbels<br />
lehrhafte Überzeugung. In seinem letzten Lebensjahre schreibt er sogar,<br />
der sonst den Gottesbegriff so oft bemüht hatte, ein vernichtendes, ganz<br />
gottloses Wort über den verblasenen Deismus in sein Tagebuch: "Man<br />
kann sich über die Eigenschaften eines Objekts, welches gar nicht existiert,<br />
wohl nicht füglich vereinigen. Dies ist der letzte Grund aller deistischen<br />
Religionen (er meint: Weltansichten) und ihrer Zerspaltung in Sekten."<br />
*) Es wäre aus äußeren und inneren Gründen nicht allzuschwer nachzuweisen, daß<br />
Hebbel sich von dem schon zweimal genannten Buche Daumers hat mitbestimmen lassen,<br />
als er (1849) an die Niederschrift seines "Moloch" ging. Er hat, wie sein Tagebuch beweist,<br />
Daumers "Geheimnisse" gelesen, mit Abscheu, aber mit lebhaftem Interesse. Hebbel wurde<br />
durch all sein Grübeln nicht zum Atheisten; aber er spielte, während er sich mit dem Stoff<br />
beschäftigte, mit dem Gedanken: aus dem Molochdienst (und dem Karthagerhasse gegen<br />
Rom) ist das deutsche Christentum entstanden; eine Symbolisierung des Abendmahls sollte<br />
im "Moloch" nicht fehlen.<br />
Hebbel 259<br />
In den Dramen mögen gottergebene wie gottlose Äußerungen nur Tagebücher<br />
der Charakteristik der Personen dienen; nun besitzen wir aber scheinbar<br />
eine zuverlässige Quelle für Hebbels Weltansicht in seinen Tagebüchern,<br />
die von 1835 bis 1863 reichen und nun schon lange (in der Ausgabe<br />
von Richard M. Werner) zu bequemer Benützung vorliegen. Doch auch<br />
diesen Niederschriften ist nicht immer zu trauen; neben tiefen Aufschlüssen<br />
über seine Überzeugungen finden sich doch auch Eintragungen, die nur<br />
geistreich, nur paradox oder gar nur gekünstelt witzig sind. Es wäre eine<br />
Fälschung, wollte man aus den vier starken Bänden irgendeinen Katechismus<br />
herausklauben. An Gottlosigkeiten fehlt es nicht, war doch Hebbel<br />
durch die Schule des jungen Deutschland und der französischen Romantik<br />
gelaufen. Er läßt das "Göttliche" sich gegen Gott auflehnen; er nennt die<br />
Religion einmal die höchste Eitelkeit und den Aberglauben den einzig echten<br />
Glauben; das Beste an der Religion sei, daß sie Ketzer hervorrufe; Religion<br />
sei die Phantasie der Menschheit. Er spricht anerkennend von Strauß<br />
und von Feuerbach. Doch beruhigt sich Hebbel niemals bei der bloßen<br />
Negation, er strebt für seinen Privatgebrauch so ungefähr nach einem unpersönlichen<br />
Deismus. Wohl antwortet er den Halben, die einen Gläubigen<br />
beneiden: nach derselben Logik wäre auch der Besitzer einer fixen Idee<br />
zu beneiden, z. B. der Narr im Irrenhause, der sich für den Kaiser hält;<br />
aber das klingt schon wieder wie eine Notiz für ein künftiges Drama. Zu<br />
oft verfällt Hebbel auf seine unklare Grübelei: auch bei der Religion müsse<br />
man auf den Urgrund zurückgehen. Er entdeckt den Gott im menschlichen<br />
Gewissen und träumt allerlei zusammen über die Fortdauer nach dem<br />
Tode. Sein Deismus ist wie die eigene Schöpfung eines größenwahnsinnigen<br />
Künstlers. "Der Dichter, wie der Priester, trinkt das heilige Blut,<br />
und die ganze Welt fühlt die Gegenwart des Gottes."<br />
Eine Ausnahme könnten einige Briefe zu bilden scheinen, die der<br />
Dichter 1860 und 1861 an einen befreundeten Pfarrer richtete, der ihn<br />
dem positiven Christentum hatte näher bringen wollen: er sei der Religion<br />
nicht feindlich; Religion und Poesie haben einen gemeinschaftlichen Ursprung<br />
und einen gemeinschaftlichen Zweck, und alle Meinungsdifferenzen<br />
sind darauf zurückzuführen, ob man die Religion oder die Poesie für die Urquelle<br />
hält. Für ihn verschwinde der christliche Gottmensch wie der griechische<br />
und persische. Der Poet ist darum ebensowenig Christ, weil er dem Christen<br />
seine Sehnsucht erklärt und verklärt, als er gerade verliebt zu sein braucht,<br />
weil er den Liebenden über sein Herz belehrt. Persönlicher Gott, unsterbliche<br />
Seele, das ist alles Geheimnis. Die sogenannten religiösen Tatsachen<br />
sind und bleiben ihm Anthropomorphismen. "Es handelt sich nicht um<br />
Ihre Denkfreiheit, sondern um die meinige; ich habe Sie nicht darüber