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Band 4 - m-presse

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21 6 Viertes Buch. Fünfter Abschnitt<br />

Kunst will, so nimmt sie ihrem Gotte die Jenseitigkeit und vernichtet ihn<br />

damit. Die Vernunft beschäftigt sich immer nur mit sich selbst. Dem Philosophen<br />

ist darum Gott (als ein Objekt der Kunst) so gleichgültig wie ein<br />

Stein; er ist der ausgemachteste Atheist.<br />

Es spricht schon für die Bedeutung Stirners, daß ein Mann wie der<br />

veraltet geborene, zur Exzellenz geborene Professor Kuno Fischer sich<br />

auch an ihm blamiert hat, wie er sich an Schopenhauer und endlich auch an<br />

Nietzsche blamieren sollte. (Auf die Beziehungen zwischen Nietzsche und<br />

Stirner werde ich noch zurückkommen.) Fischer, der das Tote niemals<br />

vom Lebenden unterscheiden konnte, hat 1848 einen Aufsatz "Moderne<br />

Sophisten" veröffentlicht, der zumeist gegen Stirner gerichtet ist. Eine<br />

Antwort, wahrscheinlich von Stirner selbst, ist um ihrer Hoheit willen heute<br />

noch lesenswert. An dem Professor wird nur die Volubilität bewundert.<br />

Fischer hat an Stirner das „entschiedene Nichts aller weltbewegenden<br />

Gedanken" getadelt; mit einer großen Geste quittiert Stirner über den<br />

Vorwurf als über eine Anerkennung. "Euere sittliche Welt überlasse ich<br />

euch gern; diese stand von jeher nur auf dem Papiere, ist die ewige Lüge<br />

der Gesellschaft, und wird stets an der reichen Mannigfaltigkeit und Unvereinbarkeit<br />

der willenkräftigen Einzelnen zersplittern." Mit äußerster<br />

Schärfe wendet sich Stirner gegen das „komische Mißverständnis", als<br />

hätte er Egoismus gelehrt, als hätte er von irgendeinem Sollen geredet.<br />

"Ein Unmensch ist und bleibt ein wirklicher Mensch, nur mit einem moralischen<br />

Anathema behaftet." Der Phrase des Humanismus (bei Feuerbach)<br />

setze Stirner nur die Phrase des Egoismus entgegen. Von dem Gotte ist<br />

überhaupt nicht weiter die Rede.<br />

Ich habe absichtlich einige Proben von der Art gegeben, wie Stirner<br />

seine Sätze aus sich hinausschleuderte. Ich kann sehr gut verstehen, wie<br />

stille Menschen diesen vulkanischen Geist nicht mögen; ich kann nicht verstehen,<br />

wie ein Freier ungerührt bleiben kann von einem so unerhörten<br />

Flammenschauspiel. Stirner war, auf einem beschränkten Gebiete, der<br />

rücksichtsloseste Sprachkritiker. Dazu hätte schon Feuerbach gelangen<br />

müssen, weil Feuerbach bereits die Religion geschichtlich betrachtete und<br />

Sprachkritik eigentlich nichts ist als vorurteilslose Sprachgeschichte; nur<br />

daß Hegels Selbstbewegung der Begriffe, also eine falsche, eine metaphysische<br />

Sprachgeschichte, noch zu mächtig war, nur daß Feuerbach sich zwar<br />

von dem Gotte der Kirche befreit hatte, nicht aber von dem Gotte, der sich<br />

und die Welt in Hegels Begriffen bewegte. Und Stirner wäre der Mann<br />

gewesen, wenigstens an der religiösen Sprache die letzte und äußerste<br />

Kritik zu üben, uns zu tun nichts mehr übrig zu lassen, wenn nicht das<br />

Gift der nachkantischen Metaphysik auch ihn angesteckt hätte, so daß auch<br />

Heinrich Heine 217<br />

er sich dem Verdachte aussetzte, unter dem Einzigen, unter seinem Ich so<br />

etwas wie das Absolute verstanden zu haben. Stirner hat sich unzweideutig<br />

gegen diese Verwandtschaft mit Fichtes Ich ausgesprochen: Fichte spreche<br />

vom absoluten Ich, er vom vergänglichen Ich. Doch alle Mißverständnisse,<br />

die den Alleszermalmer Stirner betreffen, kommen daher, daß es sich in<br />

keiner Sprache sagen läßt, ob der Einzige den Solipsisten bedeutet oder<br />

am Ende doch — den Menschen. Das liegt aber nicht an Stirner, sondern<br />

an der Sprache.<br />

Wenn ich verblüffen wollte — und nichts liegt mir ferner —, so würde Heinrich<br />

ich hier den Dichter Heinrich Heine als den letzten und uns noch verständlichsten<br />

Vertreter der Hegelei zu Worte kommen lassen; das wäre gar nicht<br />

so falsch, wie es im ersten Augenblicke erscheinen mag, denn Heine hat sich<br />

redliche Mühe gegeben, die deutsche Philosophie, besonders Kant und Hegel,<br />

für die Franzosen (und für uns) in eine zugängliche Sprache zu übersetzen,<br />

und steht in seinem abstrakten Denken (wo er also nicht Dichter ist) mit<br />

beiden Füßen im rationalistischen Wortaberglauben der Junghegelianer.<br />

Ihn verbindet mit Arnold Ruge, dem Herausgeber der „Hallischen Jahrbücher",<br />

die Unterwerfung unter Hegels Methode, ihn verbindet (ahnungslos)<br />

mit einem der frömmsten Theologen der Zeit, mit Richard Rothe,<br />

die vom Westen gekommene Überzeugung: die Kirche habe sich überlebt,<br />

habe ihre wichtigsten Aufgaben an den Racker Staat abgetreten. Für den<br />

Politiker Heine ließe sich das behaglich ausführen. Ich will aber nicht verblüffen,<br />

ich will sogar gern enttäuschen, da ich den witzigsten Freidenker<br />

unter den deutschen Dichtern als Gegenstück neben meinen herrlichen Stirner<br />

stelle, wohlbewußt, daß der menschliche Egoist Heine gegenüber dem metaphysischen<br />

"Egoisten" Stirner sehr viel verliert. Aber so es steht um Heine:<br />

er war mit all seinem unvergleichlichen Talent kein Befreier, weder für<br />

Deutschland noch für Europa; dafür reichte sein Wuchs nicht aus, so nichtswürdig<br />

auch die Hetze ist, die seine Dichtergaben zu schmähen und seine unleugbaren<br />

menschlichen Gebrechen zu übertreiben sucht. (Man vergleiche<br />

dazu meinen Aufsatz "Heinrich Heine" in "Gespräche im Himmel" S. 59;<br />

ich hätte nichts hinzuzufügen, nichts zurückzunehmen.) Aber den Charakter<br />

Heines gebe ich leichten Herzens preis; und man ist kein Befreier, wenn<br />

man sich selbst nicht treu ist. Ich hätte nicht übel Lust, den frivolen Heine<br />

mit dem nicht weniger frivolen Freidenker Vanini zu vergleichen; aber es<br />

ist doch ein ander Ding, ob Vanini zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges<br />

seine letzte Überzeugung verleugnete, um vielleicht dem durch Martern<br />

noch verschärften Feuertode zu entgehen, oder ob Heine zweihundert Jahre

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