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Band 4 - m-presse

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318 Viertes Buch. Achter Abschnitt<br />

nur als Fußpunkt einer höheren Lebensschätzung. Die Philosophen- und<br />

Theologenzunft habe den Materialismus in Verruf gebracht, nachdem<br />

die Beschuldigung des Atheismus nicht mehr recht verfangen wollte; man<br />

habe zu oft den blassesten, armseligsten Religionsliberalismus, wie den<br />

Pantheismus, als Atheismus denunziert, als daß das Publikum, das vielfach<br />

solchen Ansichten huldigte, nicht habe mißtrauisch werden müssen.<br />

In Wahrheit könne man heute in der geistigen Welt nur noch unterscheiden<br />

zwischen Materialisten auf der einen Seite und "philosophastrischen" Debitierern<br />

von metaphysisch verwässerten „und staatsmäßig zugerichteten<br />

Religionsdogmen" auf der anderen Seite. (Dühring ahnt noch nicht, daß<br />

der Materialismus eine ebenso dogmatische Weltanschauung ist wie irgendeine<br />

theologische.) In der Anpreisung des Materialismus (einmal rühmt<br />

er wie in einer Zigarrenreklame seine eigene „hochideale" Haltung) vergißt<br />

Dühring, daß er ihn zuerst nur als Ausgangspunkt gelten lassen wollte,<br />

als das Fundament, auf welchem das Gebäude einer neuen Weltanschauung<br />

noch zu errichten wäre; es geht ihm wie fast allen verneinenden<br />

Geistern, er möchte seiner Gemeinde etwas Positives zu bieten<br />

scheinen. Mit Recht behauptet er aber vom materialistischen Positivismus,<br />

daß er die Gespenster einer dinglichen Seele und ihrer Unsterblichkeit<br />

vernichtet und den Glauben an Etwas jenseits der wahrnehmbaren<br />

Wirklichkeit, an einen menschenähnlichen Gott, in jeder Form beseitigt<br />

habe. Scharf wendet er sich gegen den letzten Versuch, den Gottesglauben<br />

zum Pantheismus zu sublimieren. „Es steckt in dieser Vorstellungsart<br />

nicht nur eine Menge trüber Verworrenheit, sondern auch<br />

der Hauptfehlgriff, daß die Eigenschaften des jedesmal fraglichen Gottes<br />

auf die Natur oder Welt übertragen und so die Dinge in dem falschen<br />

Lichte irgendeiner Vergöttlichung gezeigt werden. Es gibt soviele Pantheismen,<br />

als es Theismen gibt . . . Der Pantheismus ist die letzte Station<br />

im allgemeinen Verfall des Götter- und Gottesglaubens" (S. 50). Auch<br />

der bloß gemütshafte Gottesglaube, der Gemütstheismus, müsse aufgegeben<br />

werden, weil er wie den Kopf, so auch das Herz unbefriedigt lasse.<br />

Diese Befreiung sei ganz neu und habe mit dem Materialismus des Altertums<br />

bloß oberflächliche Ähnlichkeit. (Folgt ein unwürdiger Angriff gegen<br />

den Geschichtschreiber des Materialismus, der ein „ziemlich unfähiger,<br />

aber streberischer und judengenössischer Universitätsprofessor" genannt<br />

wird.) Auch die Moral werde durch den Materialismus besser begründet<br />

als durch den Spiritualismus; die Sittenbildung sei vor und neben den<br />

Religionen vonstatten gegangen und der Umstand, daß beide Gestaltungen<br />

miteinander verwachsen seien, habe der reinen Menschlichkeit nur geschadet.<br />

"Religiosität ist daher nicht die geringste Bürgschaft für Moralität, sondern<br />

Eugen Dühring 319<br />

im Gegenteil eine Eigenschaft, die, wenn sie sich mit der Ungerechtigkeit<br />

und dem Verbrechen gattet, den menschlichen Verkehr erst recht unzuverlässig<br />

macht" (S. 61). Beispiel: der jüdische Talmud.<br />

Eine etwas nüchterne Probe für seine Unabhängigkeit von religiösen<br />

Vorurteilen und für eine "heroische Lebensauffassung" bietet Dühring<br />

in seiner Darstellung des Todes als einer notwendigen Einrichtung der<br />

Natur und besonders in seinen Betrachtungen über den Selbstmord. Er<br />

bewertet den freiwilligen Tod in abstracto, vor Kenntnis der näheren Umstände,<br />

überhaupt nicht moralisch; erst wer die wirkliche Gemütsverfassung<br />

des Selbstmörders kennen würde, dürfte Anerkennung oder Mißbilligung<br />

der Handlung aussprechen. An sich könne der freiwillige Tod ebensogut<br />

der Ausdruck einer großen, wie einer gemeinen Gesinnung sein. Zu einer<br />

Sünde sei die Tat erst durch die Theologie gemacht worden; der Kette der<br />

Notwendigkeit eingefügt sei der Selbstmord wie der Tod durch Krankheit;<br />

„der Unterschied besteht nur darin, daß in dem einen Fall der Riß zuerst<br />

das Gemüt und hiemit den Lebensmut spaltet, während in dem anderen<br />

Fall die organischen Funktionen unmittelbar angegriffen werden und daher<br />

nicht erst auf die zertrümmernde Hand zu warten haben" (S. 187).<br />

Im zehnten und letzten Kapitel denkt Dühring endlich daran, sein<br />

positives Programm auszuführen und für die abgeschaffte Religion einen<br />

„Ersatz" durch Vollkommeneres herzustellen. Das Wort Ersatz gebraucht<br />

er noch harmlos; es ist erst durch den letzten Krieg und durch doppelt verbrecherische<br />

Wucherer zu einem Spotte geworden. Auch diesmal setzt<br />

Dühring mit einer Schimpferei ein, gegen David Friedrich Strauß, der<br />

während seines früheren Lebens das Publikum mit seinen Hinterhältigkeiten<br />

hintergangen habe. Das Buch vom alten und neuen Glauben,<br />

das mindestens als ein Bekenntnis frei und schön war, findet er ekelhaft<br />

und den ästhetischen Religionsersatz darin „hochkomisch". Nicht unberechtigt<br />

ist nur etwa der Vorwurf, daß Strauß bloß für die Gebildeten geschrieben<br />

und um das Volk sich nicht bekümmert habe. Der Soziologe Dühring,<br />

der seine Kritiken der Nationalökonomie, der Philosophie und der Mechanik<br />

wirklich noch als Selbstdenker für Selbstdenker verfaßt hatte, glaubt<br />

sich mit seinen Weltverbesserungsschriften an die breite Masse der Ungebildeten<br />

wenden zu sollen. Er hat aber im „Wert des Lebens" doch nur<br />

die Negation vorgebracht, seine Freiheit von aller positiven Religion, von<br />

aller Religion überhaupt, und hat erst später in einem besonderen Buche<br />

vorgetragen, was er Neues und Positives darzureichen hätte. In der vierten<br />

Auflage der älteren Schrift korrigiert er wieder das positive Buch; was<br />

er an die Stelle der Religion gesetzt wissen wolle, habe gar keine Gemeinschaft<br />

mit der Religion. "Ich vertrete keine neue Religionsschöpferei,

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