Band 4 - m-presse
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252<br />
Viertes Buch. Siebenter Abschnitt<br />
lichere war und weil er als Jude, Antichrist, Atheist und Prediger der<br />
Sittenlosigkeit zunächst getroffen werden sollte. Dann aber wird besonders<br />
aus Gutzkows "Wally" und aus seiner Vorrede zu Schleiermachers Briefen<br />
über Schlegels Lucinde (nach Menzels Vorgang) gezeigt, daß eine solche<br />
Polemik gegen das Christentum beispiellos wäre; habe doch Gutzkow in<br />
seiner Vorrede den Satz verfochten, wie glücklich die Welt sein würde, wenn<br />
sie nie etwas von Gott erfahren hätte. Die Tendenz der Präsidialbegründung<br />
ist am deutlichsten in folgenden Worten ausgedrückt: "Die schlechte<br />
Literatur, die hier gemeint ist, läßt sich wesentlich als antichristlich, gotteslästerlich<br />
und alle Sitte, Scham und Ehrbarkeit absichtlich mit Füßen tretend<br />
bezeichnen." Der Antrag des Präsidiums wurde angenommen, auch<br />
von Preußen, das durch eine Warnung vor der Anarchie, die allen sozialen<br />
Verhältnissen drohe, geschreckt worden war. Bekanntlich sollten nicht nur<br />
alle schon erschienenen Schriften der fünf Schriftsteller verboten, die Verfasser<br />
und die Verleger verfolgt und bestraft werden, sondern auch (was<br />
noch keine Despotie und noch keine Inquisition formell gewagt hatte) alle<br />
"noch zu edierenden Werke" wurden verboten; freilich, Despotie und Inquisition<br />
hatten künftige Werke durch Schafott und Scheiterhaufen ohne<br />
Rechtsbeugung unmöglich gemacht.<br />
Zu einer Gefängnisstrafe wurde nur Gutzkow verurteilt. In seinen<br />
Verhören verteidigte er sich bald tapfer, bald sophistisch; als er mit einer<br />
"milden" Strafe von drei Monaten davonkam (der Staatsanwalt hatte<br />
ein Jahr Zuchthaus beantragt), fügte er sich und erreichte es auf Schleichwegen,<br />
daß der Staatsanwalt eine Berufung an eine höhere Instanz<br />
zurückzog. Johannes Proelß, dessen Buch "Das junge Deutschland" übrigens<br />
mir sehr viel neues und wertvolles Material geboten hat, irrt, wenn er<br />
mit Gutzkow annimmt, der Prozeß sei nicht nach einer modernen Gesetzgebung,<br />
sondern nach Verordnungen aus dem 16. Jahrhundert geführt<br />
worden. Die alten Rechte, wie die Carolina, hatten für Verbrechen in bezug<br />
auf Religion zwar bereits das Strafmonopol der Kirche beschnitten, verlangten<br />
aber immer noch für Lästerung Gottes oder der Jungfrau Maria<br />
Strafen an Leib, Leben oder Gliedern. Das Mannheimer Hofgericht<br />
wollte in den inkriminierten Stellen weder Gotteslästerung noch Verleitung<br />
zur Unzucht erblicken; es erklärte den Angeklagten nur für schuldig,<br />
christliche Religionsgesellschaften verächtlich gemacht zu haben; es stellte<br />
sich also völlig auf den Standpunkt "moderner" Jurisprudenz, die sich um<br />
Bejahung oder Verneinung von Dogmen nicht mehr kümmert und nur<br />
noch die angebliche Störung des öffentlichen Friedens ahnden will.<br />
Wenn wir diese Gerichtspraxis mit den grauenhaften Hinrichtungen<br />
älterer Gottesleugner oder Ketzer vergleichen, so erscheint uns das Urteil<br />
"Uriel Acosta" 253<br />
des Mannheimer Gerichts freilich milde; Treitschke durfte mit ruchloser<br />
Kälte sagen: „Von einer ernsten Verfolgung war keine Rede." In Wahrheit<br />
waren zwar die Strafen erträglicher geworden, aber die Nerven waren<br />
empfindlicher. In den sieben Jahren, in denen der Beschluß des Bundestags<br />
zu Recht bestand, wurde das Leben der fünf Verfolgten in seinen<br />
Existenzmöglichkeiten gestört; es lag nicht an dem guten Willen der Behörden,<br />
wenn es nicht völlig zerstört wurde. Mundt und Wienbarg mußten<br />
auf ihre akademische Laufbahn verzichten, Laube wurde durch Not in öde<br />
Vielschreiberei hineingetrieben, Heine verlor den Mut, sein flackerndes<br />
Genie den Aufgaben der Sozialreform zu widmen; und Gutzkow, der<br />
stolzeste unter ihnen, durfte durch seinen Prozeß und durch seinen Kerker<br />
dahin gebracht worden sein, wo er, unglücklich bei allem Schaffensdrang,<br />
sein weiteres Leben verbrachte, an die Grenze des Verfolgungswahnsinns.<br />
Sein Selbstmordversuch von 1865 und wahrscheinlich auch sein furchtbares<br />
Ende *) waren doch wohl mittelbare Folgen des Präsidialantrages<br />
von 1835.<br />
Doch auch seine stärkste Dichtung, das noch heute lebendige und wirksame<br />
Drama „Uriel Acosta", hätte der sonst so wenig plastisch bildende<br />
Schriftsteller kaum schaffen können, wenn er nicht eine Glaubensverfolgung<br />
am eigenen Leibe erfahren hätte. Es ist wohl kein Zufall, daß Gutzkow<br />
beide Male, da er den Acosta-Stoff behandelte, der Gestalt des jüdischen<br />
Freidenkers eigene Erlebnisse zugrunde legte. Im Jahre 1834 hatte er<br />
die Selbstbiographie Acostas, die jetzt in der hübschen Ausgabe und guten<br />
Übersetzung von Alfred Klaar vorliegt, zu seiner Novelle "Die Sadduzäer<br />
von Amsterdam" benützt und sich in der Fabel noch ziemlich eng an die<br />
Vorlage gehalten; noch fehlt die (was auch die Gegner sagen mögen) hinreißende<br />
Szene, in welcher Acosta seinen Widerruf zurücknimmt, der Aufschrei<br />
"Und sie bewegt sich doch!" Aber schon ist die Geliebte erfunden,<br />
um deren willen Acosta widerruft, und zu seinem Mädchen wie zu ihrer<br />
ganzen Sippe steht Acosta wie damals Gutzkow zu seiner Braut und zu all<br />
den guten Menschen, die ihn um des lieben Fortkommens willen zu Nachgiebigkeiten<br />
verleiten wollten. Als er nun 1846, immer noch kein ganzer<br />
Dichter, immer noch ohne Musik in der Sprache, doch schon seit Jahren<br />
ein mit Recht gefeierter Theaterschriftsteller, den jüdischen Ketzer Acosta<br />
zum Helden eines Dramas wählte, des Dramas des Denkermartyriums,<br />
da hielt er sich nicht mehr an die wunderliche Selbstbiographie "Exemplar<br />
*) Die Wissenschaft spricht in solchen Fällen gern von Verfolgungswahn und achtet<br />
nicht darauf, ob den vermeintlichen Wahnvorstellungen nicht wirkliche Verfolgung durch<br />
den Staat oder durch private Er<strong>presse</strong>r vorausgegangen ist. Ich habe Gründe, anzunehmen,<br />
daß Gutzkow nicht durch einen Unglücksfall, sondern freiwillig sein Leben verlor.