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Band 4 - m-presse

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Drittes Buch. Dreizehnter Abschnitt<br />

denken, es ist eine leidige Ziererei; er kann sie gut für einen Augenblick<br />

vergessen, denn sie entgeht ihm nicht . . . Die höchste Reinheit der Gesinnung<br />

ist nur für den Gottesleugner möglich, und nur über die Trümmer<br />

der Religion geht man sicher jenem Ideale entgegen, sie muß vernichtet<br />

werden, damit nicht alle moralische Güte ein bloßer Traum sei . . . Ja,<br />

gesetzt auch, es wäre ein Gott, so müßte er sich den moralischen Wesen<br />

verbergen, müßte, wenn nicht die ganze Bestimmung derselben verloren<br />

gehen sollte, mit den Prinzipien der Sittlichkeit zugleich auch die Prinzipien<br />

des Atheismus gründen."<br />

Wer die ganze Länge des Weges ermessen will, den die innere Denkfreiheit<br />

binnen kurzen zwei Jahrhunderten zurücklegte, der erinnere sich<br />

wieder, daß noch Bayle mit der Behauptung Anstoß erregt hatte, ein Gottesleugner<br />

könnte ein guter Mensch sein, daß Heydenreich aber klipp und klar<br />

lehrte, ein wahrhaft guter Mensch müßte ein Gottesleugner sein. Und<br />

Heydenreich ist völlig in seinem Rechte, wenn er von den Anhängern der<br />

Kantischen Philosophie (S. 58) Zustimmung fordert; dieser neue Ton<br />

des Ernstes war wirklich bei Kant in die Schule gegangen; der englische<br />

Deismus hatte sich beinahe nur auf eine Kritik des Christentums beschränkt,<br />

die französische Freigeisterei war wesentlich materialistisch; Heydenreich sah<br />

in der Gottesleugnung die Bedingung, unter der allein der Mensch<br />

die Würde seiner sittlichen Natur bewahren könnte. Wir vernehmen da<br />

zum ersten Male einen Ton fast schriller Konsequenz, der erst 40 Jahre<br />

später wieder anklingt, bei Max Stirner.<br />

Ich habe, unbekümmert um die zahlreichen und schwerfälligen Antworten,<br />

den Herausgeber Heydenreich für die drei atheistischen Briefe<br />

haftbar gemacht. Ich glaube dazu berechtigt zu sein, weil Heydenreich es<br />

an bewundernden Worten für die Seelengröße des Atheisten nicht fehlen<br />

läßt und den alten Kniff vorsichtiger Atheisten anwendet: der Sieg der<br />

Religion werde vollendet sein, wenn die Gottesleugnung sich auch in ihrer<br />

stärksten und glänzendsten Rüstung nicht halten könne. Seine Gegengründe<br />

trägt Heydenreich so langweilig und schulgemäß vor, stört die ohnehin<br />

mangelhafte Kunstform seines Briefwechsels durch so lederne Noten und<br />

Beilagen, daß der Eindruck sich verstärkt, die atheistischen Briefe seien<br />

mit der Wärme der Überzeugung geschrieben, die deistischen Antworten<br />

"mehr amtshalber", wie er am Schlusse sogar einen Freund sagen läßt.<br />

Und selbst in der letzten der frömmelnden Beilagen führt er den Satz des<br />

Zweiflers Charron an, der die Tugend immerhin der Religion voranstellt:<br />

"La réligion est postérieure à la preudhomie".<br />

Auch die Zeitgenossen waren der Meinung, daß sich in den atheistischen<br />

Briefen die Überzeugung Heydenreichs ausspräche, in den deistischen<br />

Heydenreich<br />

Einwürfen nur eine unaufrichtige und schwächliche Anpassung an die Sitte.<br />

Unter diesen Zeitgenossen ist ein Mann, dessen Stimme besondere Beachtung<br />

verdient: Lichtenberg. Sein Urteil ist Wort für Wort zu überlegen.<br />

"Ich habe Heydenreichs Briefe über den Atheismus gelesen, und<br />

ich muß bekennen, daß mir, seiner Absicht zuwider, die Briefe des Atheisten<br />

sehr viel gründlicher geschrieben zu sein scheinen als die des Gläubigen.<br />

Ich kann mich von einigen Behauptungen des letzteren schlechterdings<br />

nicht überzeugen, und doch bin ich mit Anstrengungen der Vernunft nicht<br />

so ganz unbekannt, und an gutem Willen fehlt es mir auch nicht. Es wird<br />

zu viel auf die Ausbreitung des moralischen Bewußtseins gerechnet und,<br />

ich möchte fast sagen, sich hinter diesen Satz versteckt, um einem glauben zu<br />

machen, man sei moralisch krank, wenn man die Behauptung nicht versteht.<br />

Hätten die Erfinder dieser wohlgemeinten Sätze anerkannte Infallibilität,<br />

so könnte man sich gewöhnen, ihre Sätze wahr zu finden, und sie könnten<br />

von ihrer Seite sprechen: dein Glaube hat dir geholfen. — Aber was ist<br />

für den Menschen ein solcher Beweis der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit,<br />

den zu verstehen, oder eigentlich zu fühlen, unter Tausenden kaum<br />

einer fähig ist? Soll der Glaube an Gott und Unsterblichkeit wirklich in<br />

einer Welt wie diese nützen, so muß er wohlfeiler werden oder er ist so viel<br />

wie gar keiner." (Erste Ausgabe der Vermischten Schriften II, S. 82.)<br />

Hier lag mir nur daran zu zeigen, daß Lichtenberg zwar eine bewußte<br />

Absicht, dem Atheisten Recht zu geben, bei Heydenreich nicht voraussetzte,<br />

aber eine solche Wirkung der Briefe zugab; übrigens hat Lichtenberg<br />

Heydenreichs "System der Ästhetik" gekannt, wahrscheinlich auch dessen<br />

Schrift "Natur und Gott nach Spinoza", in welcher Heydenreich sich (1789)<br />

mit der Naturreligion auseinandersetzte.*)<br />

In dieser Schrift schwankt der Verfasser wieder unklar zwischen<br />

Spinoza und Kant oder vielmehr, da er die Ideen des einen wie des andern<br />

verwässert, zwischen Jacobi und einem unähnlichen Kantbilde. Es war<br />

wie immer. Unter den Gegnern Kants waren viele Pedanten, die seines<br />

Geistes keinen Hauch verspürt hatten; doch etwas Pedanterie auch bei<br />

denjenigen Gegnern, die doch in der Hauptfrage, in der erkenntniskritischen,<br />

als Skeptiker noch schärfer sahen als Kant. Und unter seinen Anhängern<br />

verrieten ihn aus Ehrgeiz und falscher Klugheit gerade die besten Köpfe,<br />

während so kleine Denker wie Heydenreich wenigstens in einem Nebenpunkte<br />

die Meinung ihres Meisters trafen. Heydenreich war das Enfant<br />

terrible des Kritizismus, Fichte war der Musterknabe der neuen Schule;<br />

*) Zu dieser Ergänzung der Belege für Lichtenbergs Atheismus noch einen. Kurz<br />

vor seinem Ende schrieb er in ruhiger Todessehnsucht, es verlange ihn nach dem Augenblick,<br />

wo ihn "der Schoß des mütterlichen Alls und Nichts wieder aufnehmen werde".<br />

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