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Band 4 - m-presse

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416 Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />

sich war fürchterlich. Zum Zwecke der Erlösung vom verschuldeten Übel<br />

stiftete Jesus (oder Paulus) eine Religion und verwies auf die Barmherzigkeit<br />

des göttlichen Vaters im Himmel; Buddha kam aus ohne Religion,<br />

ohne Gott und Himmel, lehrte die Erlösung ohne Mittler, eine Erlösung<br />

durch Entsagen und Entwollen, durch Auslöschen des Lebensfeuers,<br />

durch Nirwana. Selbstverständlich ist in diesem reinen Sinne die Menge<br />

niemals und nirgends buddhistisch gewesen. Es ist vielleicht schematisch,<br />

wenn man die Buddhisten nach dem Grade ihres Verständnisses in<br />

die Jünger des Himayana (des kleinen Wagens) und des Mahayana<br />

(des großen Wagens) einteilt; es gibt nicht nur zwei, es gibt zahllose<br />

Grade. Aber die Einteilung ist gemacht und das Bild ist treffend, nicht<br />

nur für Asien. In dem kleinen Wagen haben die Wenigen Platz, die<br />

im Geiste Buddhas eine eherne, schwer lastende, unzerreißbare Kausalkette<br />

annehmen, das Karman, die gottlos das Heil nur von einer<br />

inneren Befreiung erwarten, von dem psychologischen Vorgange der<br />

Selbsterlösung. Zu seiner Genesung braucht man weder den Namen des<br />

Arztes, noch den Namen des Heilkrautes zu kennen. In dem großen Wagen<br />

drängen sich die Vielzuvielen, die ohne Namen nicht selig werden können,<br />

die im höchsten Buddha selbst nur einen Gott mehr verehren oder gar<br />

(beinahe christlich) im geschichtlichen Buddha eine Inkarnation des ewigen<br />

Buddha erblicken. Von da ab ist kein Halten mehr bis zum Glauben an<br />

die albernsten Ding- und Wortfetische. Der Mahayana ist der Buddhismus<br />

der Priester und des Pöbels; in Japan scheint sich etwas wie eine buddhistische<br />

Reformation, also eine Theologie nach abendländischem Muster<br />

vorzubereiten. Im Dienste der Politik. Das wäre der gefährlichste Sieg,<br />

den das Abendland über das Morgenland erringen könnte. Die Prinzipien<br />

des morgenländischen Handelns waren duldsam; der theologisch<br />

reformierte Buddhismus würde den religiösen Fanatismus zu den stillen<br />

Völkern des Morgenlandes tragen. Dann könnte man allerdings in bezug<br />

auf China, Japan und Indien endlich mit Recht von Religionen in christlichem<br />

Sinne sprechen. So viel darüber, was es auf sich habe mit dem<br />

morgenländischen Begriffe der Religion.<br />

Gottlose Ich komme zu der zweiten, zu meiner persönlichen Frage. Ich habe<br />

an keiner Stelle verhehlt, daß ich überall auf seiten der guten Gottesleugner<br />

stehe und ihre negativen Leistungen für wertvoll halte im Kampfe um die<br />

Geistesfreiheit. Nur um einiger sanfter Leser willen würde ich mich niemals<br />

zu einem positiven Schlußworte herbeilassen. Ich habe die erfreuliche<br />

Erfahrung nach dem Erscheinen meiner Sprachkritik gemacht: das Wörtchen<br />

"Nein" ist unbeliebt. Seine ganze Sippschaft ist unbeliebt. Man versteht<br />

zur Not sogar die Nihilisten; aber man verkehrt mit ihnen nicht gern.<br />

Gottlose Mystik 417<br />

Ich bin nicht gerade ängstlich, auch nicht vor der Einsamkeit. Ich<br />

will also endlich doch sagen, was ich etwa hinzuzufügen habe.<br />

Selbstverständlich haben die Gottesleugner gegen den Gläubigen die<br />

gleiche Toleranz zu üben, die sie durch Jahrhunderte für sich selbst verlangt<br />

haben. Wenn es nicht voreilig ist oder unbescheiden, duldsam sein<br />

zu wollen, während man von einem durchaus heuchlerischen Staate selbst<br />

eben nur einige Duldung erlangt hat. Aber die Toleranz gegen die Personen<br />

der Gläubigen erfordert nicht auch geistige Rücksicht auf ihre Irrlehren<br />

und ihre Institutionen. So z. B. ist es keine Pflicht der Toleranz,<br />

zu einem öffentlichen Skandale zu schweigen, zu dem anstößigsten Skandale<br />

der wissenschaftlichen Welt: daß es nämlich an unseren wissenschaftlichen<br />

Hochschulen immer noch theologische Fakultäten gibt, daß die Lehrer der<br />

Geschichte und der Naturwissenschaften die sogenannten Theologen als<br />

gleichberechtigt neben sich dulden, mit ihnen zusammen ein Kollegium<br />

ausmachen und an der Spitze der Verwaltungsabteilung einen Mann<br />

ertragen, der sich (bis vor kurzem) "Minister für Kultus und Unterricht"<br />

nennen durfte. Die Toleranz darf uns nicht verhindern an der rücksichtslosen<br />

Arbeit, die angebliche Wissenschaft der Theologie der gleichwertigen<br />

Astrologie nachzuschicken, die einst auch zu spät und auch nicht freiwillig<br />

die Hochschulen räumte. Ich weiß: das habe ich schon gesagt; aber die<br />

Abschaffung der anstößigen theologischen Fakultäten muß so lange gefordert<br />

werden, bis sie durchgesetzt ist.<br />

Mit gutem Gewissen kann ich zwar nicht der Theologie, aber doch<br />

der Religion eine Heimstätte bieten, die wohnlicher und ihrem Wesen<br />

angemessener ist als die Stätte der Wissenschaft: die Kunst, insbesondere<br />

die Poesie.<br />

Es fällt mir ja nicht ein, die Schönheit und die gemütliche Wirkung Religion und<br />

mancher religiösen Gestalten und Sagen leugnen zu wollen. Nicht einmal<br />

die Wirkung der Gottesvorstellung auf Leute, die sie sich ganz und gar oder<br />

ein bißchen bewahrt haben. Wie das Gedicht vom hürnen Siegfried schön<br />

und wirkungsvoll bleibt, auch nachdem uns nachgewiesen worden ist,<br />

daß die Geschichte Siegfrieds Poesie ist, einerlei ob ein Symbol (etwa<br />

der Sonne) oder eine abenteuerliche und sagenhafte Ausschmückung eines<br />

uralten historischen Vorgangs.<br />

Man wird mir antworten, zwischen Poesie und Religion bestehe ein Glauben<br />

unvereinbarer Unterschied: an die Gestalten und Ereignisse der Poesie<br />

habe man niemals eigentlich geglaubt, wie eben an die Gestalten des<br />

Glaubens. Ich verweise auf meine Untersuchung des Wahrheitsbegriffs<br />

(Wörterbuch der Philosophie II, S. 541 ff.). Wahrheit ist im<br />

Grunde ein negativer Begriff; unbedingt gibt es nur relative Wahrheiten.

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