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Band 4 - m-presse

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420 Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />

"Nur was von Gott selbst ausging, ist Gegenstand der höchsten Kunst.<br />

Nichts, was Menschen den Ursprung verdankt."<br />

"Gott spiegelt sich in der Welt, die Welt sich im Menschen, der Mensch<br />

sich in der Kunst." (Also müßte doch die Kunst eine Widerspiegelung<br />

Gottes sein.)<br />

"Religion und Poesie haben einen gemeinschaftlichen Ursprung und<br />

einen gemeinschaftlichen Zweck, und alle Meinungsdifferenzen sind darauf<br />

zurückzuführen, ob man die Religion oder die Poesie für die Urquelle<br />

hält." (Aus einem ausführlichen, an einen Pfarrer gerichteten, an Zugeständnissen<br />

reichen Glaubensbekenntnisse.)<br />

"Wenn ich sagte, dem Dichter sei das Geheimnis des Lebens anvertraut,<br />

so dachte ich allerdings nicht ans Wissen, sondern ans Können,<br />

nicht ans Erklären, sondern ans Hinstellen." (Aus einer etwas schärferen<br />

Replik an den gleichen Pfarrer.)<br />

"Die Materialisten wollen Gott im Detail finden, und doch darf man<br />

ihn nur im Ganzen suchen. Das könnte ihnen die Materie selbst schon<br />

sagen, denn sie brennt doch offenbar in der Schönheit zusammen, und nur<br />

der ganze Mensch ist schön, nicht der einzelne Teil; der ist bloß zweckmäßig<br />

und es gibt keinen Übergang von dem Zwölffingerdarm der Mediceischen<br />

Venus zu ihrem Gesicht und ihrem Auge." (1861.)<br />

Aber die ganze Bewußtheit Hebbels, der sich selbst über die Achsel<br />

guckt, und dazu seinem eigenen Schwanken zwischen Gottesleugnung und<br />

Selbstvergottung finde ich in einem Spruche aus dem Jahre 1844: "In<br />

allem Denken sucht Gott sich selbst, und er würde sich schneller wieder<br />

finden, wenn er nicht auch darüber mitdächte, wie er sich verlieren konnte."<br />

Es ist wirklich nicht meine Schuld, wenn gerade Hebbels Identitätsphilosophie<br />

von Religion und Poesie nicht bis zu der gewünschten Klarheit<br />

durchgedrungen ist. Auch bei Nietzsche, der in noch höherem Maße<br />

als Hebbel Dichter und Denker zugleich war, wird die Verbindung von<br />

Religion und Poesie gestört, bei ihm durch seinen julianischen Haß gegen<br />

den Galiläer; nur daß im Zarathustra die Dichtung doch zu Religion<br />

wird. Wer aber in durchaus nicht unzeitgemäßer Poesie am liebsten die<br />

alten Gestalten des Glaubens sucht, der findet seine Rechnung just bei den<br />

modernsten Dichtern; ich brauche nur daran zu erinnern, was ich über<br />

das Lebenswerk von Tolstoi und über Hauptmanns „Emanuel Quint"<br />

gesagt habe. Auch einige Franzosen und viele Italiener könnten uns<br />

zeigen, daß der Abfall von der Kirche die Innigkeit religiöser Dichtung<br />

nicht immer verhindert. Was bei den Halben unter den Theologen und<br />

leider auch unter den Philosophen häßliche Feigheit oder Unklarheit ist,<br />

das kann bei den Dichtern einfache Schönheit sein. Eine melancholische<br />

Katholische Dichtung 421<br />

Kunstfreude an der Aufgabe, Sterbendes zu ewigem Leben festzuhalten.<br />

Oder doch: auf einige Zeit für ein kommendes Geschlecht festzuhalten.<br />

Die Erwähnung freireligiöser Dichtung aus romanischen Ländern Katholische<br />

erinnert mich an einen recht törichten Streit zwischen katholischen und<br />

protestantischen Schreibersleuten; ich möchte zu diesem mißverständlichen<br />

Gegensatze beiläufig ein Wörtchen wagen. In Deutschland, eigentlich nur<br />

in Deutschland, wird häufig die falsch geformte Frage gestellt: woher<br />

kommt es, daß es fast keine katholischen Dichter von Bedeutung gibt? Die<br />

Form der Frage ist falsch, weil es nur einer geringen Einsicht zu der Antwort<br />

bedarf: dichterische Begabung hat wirklich nichts mit der ererbten<br />

Zugehörigkeit zur katholischen oder protestantischen Religionsgruppe zu<br />

tun; in Italien und in Frankreich, übrigens auch in Deutsch-Österreich,<br />

entstammten selbstverständlich fast alle Dichter katholischen Familien. Im<br />

konfessionell gemischten Deutschen Reich müßte die Frage etwa so lauten:<br />

woher kommt es, daß es so gut wie keinen Dichter gibt, der auf dem Boden<br />

des Katholizismus steht. Und die Antwort: es kann auch keinen modernen<br />

Dichter geben, der sich zu den Dogmen des rechtgläubigen Protestantismus<br />

bekennt; der Protestantismus ist nur ein so unklarer Begriff, daß ein<br />

wissenschaftlich freier Mensch immer noch glauben darf, sich irgendwie<br />

einen Protestanten nennen zu können. Für die Sprache des Dichters<br />

ist es wesentlich, daß er, auf der Menschheit Höhen, in den Anschauungen<br />

seiner Zeit und seines Volkes wurzelt. Der Dichter, abgesehen von der<br />

Hauptsache, von seiner sinnlich künstlerischen Kraft, hat der Mitwelt und<br />

der Nachwelt nichts zu sagen, wenn er nicht mindestens die stärksten Gedanken<br />

seiner Zeit und seines Volkes sich eigen gemacht hat. Darum<br />

konnten einst Dante, Calderon große katholische Dichter sein. Heute baut<br />

sich die höchste Geistesarbeit auf dem Grunde einer gottlosen Mystik auf,<br />

und eine katholische Dichtung wäre darum ebenso totgeboren wie eine<br />

protestantische. Was natürlich nicht ausschließt, daß die Gestalten des<br />

katholischen Himmels (der protestantische besitzt keine solchen Gestalten)<br />

sich als lebendige Symbole dem dichterischen Spieltriebe darbieten, seitdem<br />

die Gestalten der griechischen Götterwelt zu unvorstellbaren, zu<br />

toten Symbolen geworden sind.<br />

Nun aber zurück zu dem ganz fröhlichen Eingeständnis, daß religiöse<br />

Gestalten, jeder Wissenschaft verboten, gar wohl zu Helden modernster<br />

Poesie werden können, ja daß eine religiöse Stimmung (religiös ohne<br />

Kirche) das Höchste ist, was Poesie von den Zeiten des Äschylos bis heute<br />

je erreichen konnte. Und wenn ein sehnsüchtiger Pantheismus der undogmatische<br />

Glaube unserer Dichter seit Goethe etwa ist, so bildet der seit<br />

hundert Jahren viel zu oft bemühte Begriff Pantheismus auch die Verbin­

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