Entwicklung und Perspektiven der Schulaufsicht - KOBRA ...

97
von Schulleiterinnen und Schulleitern und der übrigen Funktionsstellen. Dem Leiter /
der Leiterin eines Gymnasiums wurde die selbstverantwortliche Leitungsaufgabe „der
Anstalt“ übertragen und auf „Augenhöhe“ – Besoldungsgruppe A 16 – kollegial
überlassen. Die im Bereich der Volkschulen häufig anzutreffenden pädagogischen
Reformer unter den Schulräten waren im Gymnasialbereich spärlicher gesät.
Nath und Oebrich 114 haben untersucht, wie Lehrer die sozialen Öffnungen des
Schulsystems in Deutschland in den letzten 150 Jahren wahrgenommen haben. Sie
stellten vier große Schübe des „Bildungswachstum" fest, den letzten Mitte der 60er
Jahre des vorigen Jahrhunderts, der Mitte der 70er Jahre wieder abklang. Als
Vergleich dieser Veränderungen im sozialen Bereich werden folgende Zahlen
genannt: Wurden im Jahre 1800 etwa 1% der männlichen Bevölkerung an höheren
Schulen (Gymnasien) unterrichtet, so waren es 1999 etwa 25% der Jungen und
30% der Mädchen. Seit den späten 90er Jahren stagnieren diese Anteile. Nath und
Oebrich stellten fest, dass zwischen Grundschul- und Gymnasiallehrern eine sehr
unterschiedliche Einstellung hinsichtlich pädagogischer Sozialreformen bestehen.
Philologen neigen eher zu einem anlageorientierten Begabungsbegriff. Unter einer
offensiven Reformentwicklung haben sie allerdings ebenfalls offenere
Begabungsvorstellungen, so zum Beispiel zwischen 1964 und 1976, als das
Stichwort "Begabungsreserven" die Pädagogik bestimmte. Zwischen 1980 und Mitte
der 90er Jahre reduzierte sich diese Offenheit der Philologen wieder und "zeigte vor
dem neuen Stagnationsniveau der Bildungsbeteiligung wieder eine deutliche
Ausrichtung auf den anlageorientierten Begabungsbegriff.“ 115
" Die Lehrer an höheren Schulen sind fest im berechtigendem Schulsystem etabliert
und formulieren aus dieser Stellung heraus ihre Wahrnehmungen und Forderungen
eher "systemisch" motiviert, aber auch eine soziale Exklusivität verteidigend.
Dadurch ist ihre Innovationsorientierung geringer ausgeprägt, sie sind aber auch
weniger anfällig für Okkupationsversuche des politischen Systems ". 116
114 Nath, A. u.a. “Der historische Pygmalioneffekt der Lehrergenerationen im Bildungswachstum von 1984 bis
1993" in: Zeitschrift der Pädagogik, Jg.50, Heft 4 2004.
115 Nath a.a.O. S. 553.
116 Nath a.a.O. S. 558.