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Wo ist der Beweis? Plädoyer für eine evidenzbasierte Medizin ...

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<strong>Wo</strong>durch zeichnet sich <strong>eine</strong> bessere Gesundheits versorgung aus? 217sind, sind Ärzte versucht, die Anwendung dieser Therapien auchihren Patienten vorzuschlagen, <strong>der</strong>en Befunde nur geringfügig vonden Normalwerten abweichen. Dadurch steigt die Anzahl <strong>der</strong> Menschen,die als Diabetiker o<strong>der</strong> Hypertoniker etikettiert werden, dramatischan, sodass viele Menschen «medikalisiert» werden, <strong>der</strong>enWerte früher als normal eingestuft worden wären.Abgesehen von den unerwünschten Wirkungen <strong>der</strong> (zuweilenunnötigen) Behandlungen hat diese «Etikettierung» auch psychischeund soziale Konsequenzen, die das persönliche <strong>Wo</strong>hlbefindenbeeinträchtigen und Probleme am Arbeitsplatz o<strong>der</strong> beim Versicherungsträgermit sich bringen können. Deshalb <strong>ist</strong> es <strong>für</strong> Patientenund Öffentlichkeit wichtig, diese Ereigniskette zu erkennen und ersteinmal innezuhalten, um den wahrscheinlichen Schaden gegen denNutzen abzuwägen, bevor man <strong>eine</strong>r Therapie allzu schnell zustimmt.Wie wir in Kapitel 4 dargelegt haben, sind <strong>für</strong> diese problematischeEtikettierung häufig Screenings verantwortlich, die mitÜberdiagnosen und potenzieller Übertherapie einhergehen.Die erste Verteidigungsstrategie <strong>ist</strong> Wachsamkeit gegenüber solchenEtiketten und weiteren Untersuchungsangeboten. Die scheinbarflapsige Bemerkung, dass ein normaler Mensch jemand <strong>ist</strong>, <strong>der</strong>noch nicht ausreichend untersucht wurde, hat <strong>eine</strong>n sehr ernstenWer <strong>ist</strong> Diabetiker?Wie wird also entschieden, wer Diabetes hat? Als ich <strong>Medizin</strong> studierte, galt folgendeeinfache Regel: Wenn man <strong>eine</strong>n Nüchternblutzucker von mehr als 140hatte, war man Diabetiker. 1997 wurde diese Krankheit vom Expert Committee onthe Diagnosis and Classification of Diabetes Mellitus neu definiert. Danach gilt manbereits ab <strong>eine</strong>m Nüchternblutzuckerspiegel von 126 als Diabetiker. Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong><strong>eine</strong>n Blutzuckerspiegel zwischen 126 und 140 hat, wurde früher als normalangesehen, leidet nach dieser Definition nun aber an Diabetes. Diese geringfügigeÄn<strong>der</strong>ung hat aus mehr als 1,6 Millionen Menschen Patienten gemacht.Stellt das ein Problem dar? Kann sein, kann auch nicht sein. Weil wir die Regelngeän<strong>der</strong>t haben, behandeln wir heute mehr Menschen wegen Diabetes. Das kannbedeuten, dass wir bei einigen dieser neuen Patienten die Wahrscheinlichkeit <strong>für</strong>die Entwicklung diabetischer Komplikationen verringert haben. Doch da diesePatienten <strong>eine</strong>n leichteren Diabetes haben (d. h. vergleichsweise niedrige Blutzuckerspiegelzwischen 126 und 140), <strong>ist</strong> ihr Risiko <strong>für</strong> diese Komplikationen aberzunächst einmal auch vergleichsweise gering.Welch HG, Schwartz LM, <strong>Wo</strong>loshin S. Overdiagnosed: making people sickin the pursuit of health. Boston: Beacon Press, 2011: S. 17–18.© 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, BernDieses Dokument <strong>ist</strong> nur <strong>für</strong> den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in k<strong>eine</strong>r Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden.Aus: Imogen Evans, Hazel Thornton, Iain Chalmers, Paul Glasziou; <strong>Wo</strong> <strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Beweis</strong>? – <strong>Plädoyer</strong> <strong>für</strong> <strong>eine</strong> <strong>evidenzbasierte</strong> <strong>Medizin</strong>. 1. Auflage.

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