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Wo ist der Beweis? Plädoyer für eine evidenzbasierte Medizin ...

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Früher <strong>ist</strong> nicht zwangsläufig besser 85Der Screening-Zirkus2009 erfuhr ein frisch pensionierter Professor <strong>für</strong> Neurologie, <strong>der</strong> sich schon längereZeit <strong>für</strong> das Thema Schlaganfallprävention interessierte, von s<strong>eine</strong>n Nachbarn,dass sie <strong>eine</strong> Broschüre erhalten hatten, mit <strong>der</strong> sie zu <strong>eine</strong>m Screening <strong>für</strong>Schlaganfall und an<strong>der</strong>e Komplikationen kardiovaskulärer Erkrankungen eingeladenwurden. Die von <strong>eine</strong>m Gefäßscreening-Unternehmen stammende Broschürelud sie dazu ein, sich <strong>für</strong> <strong>eine</strong> Reihe von Untersuchungen (zum Preis von € 170)in die örtliche Kirche zu begeben. Neugierig geworden – nicht zuletzt, weil einige<strong>der</strong> Informationen in <strong>der</strong> Broschüre faktisch falsch waren –, beschloss er, sichselbst dorthin zu begeben.«Als erstes stand <strong>eine</strong> Untersuchung auf Aortenaneurysma [Erweiterung <strong>der</strong>Hauptarterie, die das Blut vom Herzen weg beför<strong>der</strong>t] mittels Ultraschall auf demProgramm. Sie wurde von <strong>eine</strong>r Frau durchgeführt, die sich nicht auf ein Gesprächüber die Folgen <strong>eine</strong>s etwaigen Aneurysmabefunds einlassen wollte. Als Nächsteskamen Blutdruckmessungen am Knöchel und am Arm an die Reihe, ‹wegen eventuellerProbleme mit m<strong>eine</strong>m Kreislauf›… gefolgt von <strong>eine</strong>m kl<strong>eine</strong>n Bonus, <strong>der</strong>nichts mit m<strong>eine</strong>n Gefäßen zu tun hatte: ein Osteoporose-Screening m<strong>eine</strong>sSprunggelenks. Dann gab es noch <strong>eine</strong> … Elektrokardiographie zum Nachweisvon ‹Problemen mit den beiden oberen Kammern m<strong>eine</strong>s Herzens› … DasSchlusslicht bildete ein Ultraschall <strong>der</strong> Karotis [Halsarterie], um zu prüfen, ‹ob sichPlaques [Ablagerungen] gebildet haben›. Auf m<strong>eine</strong> Frage, welche Folgen dashaben könne, antworteten sie mir, dass sich Blutgerinnsel bilden und zu <strong>eine</strong>mSchlaganfall führen könnten. Als ich nachhakte, wie man das behandeln könne,bekam ich vage Bemerkungen über blutverdünnende Medikamente zu hören,aber nichts über <strong>eine</strong> operative Therapie. Erst als ich direkt fragte, ob vielleichtauch <strong>eine</strong> Operation möglich sei, wurde diese Frage tatsächlich bejaht. ‹Könntedas gefährlich sein?›, erkundigte ich mich gutgläubig. Die Antwort lautete, dassdie Risiken von <strong>eine</strong>r gründlichen diagnostischen Abklärung abhingen, die m<strong>eine</strong>Hausärztin durchführen müsse und mit <strong>der</strong> ich etwaige auffällige Befunde dieserUntersuchungen besprechen sollte.All diese Untersuchungen (ausgenommen das Aortenaneurysma-Screening)wurden ohne Sichtschutz durchgeführt … Es schien kein Arzt anwesend zu sein,und das Team ließ k<strong>eine</strong> Absicht erkennen bzw. war nicht bereit, mit mir die Folgenfalsch positiver o<strong>der</strong> falsch negativer Befunde, die prognostischen Konsequenzenechter Auffälligkeiten o<strong>der</strong> die Risiken und Vorteile etwaiger Behandlungenzu erörtern.Es war bloß ein Screening, nicht mehr und nicht weniger, in rein kommerziellerAbsicht angeboten: Die Ergebnisse würden mir innerhalb von 21 Werktagen insHaus flattern, und es bliebe m<strong>eine</strong>r Hausärztin überlassen, sich um die emotionalenund körperlichen Folgen etwaiger richtiger o<strong>der</strong> falscher auffälliger Befundezu kümmern, auch wenn sie diese Untersuchungen nicht selbst angefor<strong>der</strong>thatte. … Bei anfälligen Menschen weckt dieser ganze Screening-Zirkus wahrscheinlichAngst, ohne dass darüber gesprochen wird, was passiert, wenn Auffälligkeitennachgewiesen werden, und ohne dass auch nur die geringste Verantwortung<strong>für</strong> die Folgen übernommen wird.»Warlow C. The new religion: screening at your parish church.BMJ 2009; 338: b1940© 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, BernDieses Dokument <strong>ist</strong> nur <strong>für</strong> den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in k<strong>eine</strong>r Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden.Aus: Imogen Evans, Hazel Thornton, Iain Chalmers, Paul Glasziou; <strong>Wo</strong> <strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Beweis</strong>? – <strong>Plädoyer</strong> <strong>für</strong> <strong>eine</strong> <strong>evidenzbasierte</strong> <strong>Medizin</strong>. 1. Auflage.

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