WAS TUT GUT? - Universiteit Twente
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Unfreiheit das Erleben prägen, entwickele sich anstelle der Liebe zum Leben eine<br />
Liebe zum Toten, eine tiefgehende Ausrichtung an destruktiven Motiven, die<br />
Nekrophilie. Ebenso wie die Biophilie könne sie zum bestimmenden Kennzeichen von<br />
Einzelnen, aber auch von Gesellschaften werden.<br />
Fromm betrachtet die Affinität zum Toten, zum Töten, zum Beherrschen und<br />
Machtausüben interessanterweise nicht als Bestandteil der normalen Biologie,<br />
sondern als Perversion. Damit unterscheidet er sich von Sigmund Freud. Dieser<br />
wählte, um ähnliche Phänomene wie die von Fromm Biophilie bzw. Nekrophilie<br />
genannten zu beschreiben, die Begriffe eros/ Lebens - bzw. thanatos / Todestrieb.<br />
Freud nahm an, der thanatos sei eine dem menschlichen Wesen inhärente und dem<br />
eros gleichgestellte Triebkraft. Demgegenüber betont Fromm, nur wenn und in dem<br />
Maße wie der Mensch sein Ziel verfehle, trete die Nekrophilie in Erscheinung. Der<br />
Lebenstrieb sei die eigentliche, primäre Potentialität des Menschen, der Todestrieb<br />
eine nachgeordnete. Alles Lebendige strebe, sich selbst zu erhalten und dränge<br />
danach, „sich mit andersartigen und gegensätzlichen Wesenheiten zu vereinigen und<br />
einer Struktur gemäß zu wachsen.“ 196<br />
Fromm wurde in den sechziger Jahren umgetrieben von der Frage, warum die<br />
Menschheit nicht entschiedener gegen die Bedrohung durch Kernwaffen vorgeht,<br />
woher die von ihm darin beobachtete Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben<br />
herrührt. In einer stark nekrophilen (Fehl -)Orientierung der heutigen<br />
Industriegesellschaften fand er eine Begründung. In ihrer Selbstbindung an<br />
mechanische Prinzipien, an Intellektualisierung, an Quantifizierung, Abstrahierung,<br />
Bürokratisierung und Versachlichung aktivierten sie in sich – ohne es zu merken -<br />
lebensfeindliche Motive und verwechselten zudem den erregenden Kitzel, der damit<br />
verbunden ist, mit Lebensfreude.<br />
Bei Fromm sind, die soeben beschriebene Gesellschaftsanalyse macht es<br />
augenfällig, zahlreiche Motive zu erkennen, die auch in den Ausführungen Leon Kass’<br />
eine wichtige Rolle spielen. Beide rekurrieren auf ähnliche Kontexte. Beide prangern<br />
eine Geisteshaltung an, die von einer tiefsitzenden Angst gegenüber allem<br />
Lebendigen, Dynamischen, Fleischlichen geprägt ist, und die Menschen dazu treibt,<br />
sich durch Besitz, durch Habenwollen, durch Kontrolle und Manipulation gegenüber<br />
196 Erich Fromm. 1974. S. 42<br />
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