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WAS TUT GUT? - Universiteit Twente

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emeritierter Professor für Psychiatrie in Gütersloh, die Ärzte seien allzu eifrig in die<br />

Selbstbestimmungsfalle getappt und hätten gar nicht gemerkt, wie sehr sie damit an<br />

‚Autorität, Glaubwürdigkeit und Selbstkontrollfähigkeit’ verloren hätten. Dörner führt<br />

dafür den Begriff deresponsibilization an, gleichsam als ‚Krankheitsdiagnose des<br />

Arztberufes’. Um diesen Missstand zu kurieren sei es notwendig, als Arzt erneut und<br />

bewusst Verantwortung zu übernehmen, anstatt sich nur vom Willen der Patienten<br />

leiten zu lassen. 105<br />

Tatsächlich scheinen, wie viele Erfahrungsberichte belegen, im medizinischen<br />

Bereich gelegentlich allzu leichtfertig Entscheidungen über Behandlungsoptionen,<br />

lebenserhaltende Maßnahmen usw. an Patientinnen, oder – besonders prekär – an<br />

ihre Angehörigen delegiert zu werden, mit denen diese schlechterdings überfordert<br />

sind. Hier ist mehr ärztliche Verantwortung gefragt, die allerdings immer auch ihren<br />

Preis hat; vor allem dann, wenn ein gesellschaftliches Klima herrscht, wie es vor<br />

allem aus den Vereinigten Staaten bekannt ist, in dem Ärztinnen schnell juristisch zur<br />

Verantwortung gezogen werden, wenn sie nicht den oberflächlich leichtgängisten<br />

Weg wählen, der darin besteht, alles technisch Machbare zu tun. 106<br />

Ein Aspekt in der Dörnerschen Argumentation gibt allerdings zu denken, und<br />

das ist seine Grundannahme, Wohl und Willen der Patientinnen seien einander<br />

wechselseitig ausschließende Größen. Das leuchtet nicht unmittelbar ein. Der<br />

Patientenwille orientiert sich vermutlich in den meisten Fällen am ärztlichen<br />

Ratschlag, so dieser für vertrauenswürdig gehalten wird. Und wenn eine Ärztin in<br />

Wahrnehmung ihrer Verantwortung mit dem Blick auf das Wohl der Patientin<br />

Behandlungsoptionen darlegt und eine fundierte Empfehlung abgibt, der sie, wäre sie<br />

in der Situation der Patientin, auch folgen würde, müsste eine weitgehende<br />

Kongruenz von Patientenwohl- und Wille zu erreichen sein.<br />

105 Vgl. Klaus Dörner. 2003.<br />

106 Folgendes Beispiel mag dies illustrieren: Im Jahr 2002 entschloss sich eine erfahrene Oberärztin in<br />

einem Krankenhaus im holsteinischen Neumünster extrem frühgeborene Zwillinge nicht<br />

notfallmedizinisch zu versorgen, weil sie für die Kinder keine Entwicklungschancen jenseits einer mehr<br />

oder weniger langjährigen intensivmedizinischen Betreuung sah. Sie wurde von den Eltern verklagt,<br />

schließlich aber freigesprochen. In der Schweiz hätte ihre Entscheidung direkt auf der Linie des<br />

allgemeinen Konsenses in einem solchen Fall gestanden; in Deutschland hat eine einzelne Ärztin<br />

wenig Rückhalt für einen solchen mutigen Schritt, der eben deshalb mutig ist, weil er angreifbar ist.<br />

Vgl. DIE ZEIT 15.01.04<br />

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