WAS TUT GUT? - Universiteit Twente
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technisch versierte Handhabung verlangen, betonen die vernunftmäßigen<br />
Komponenten des Geschehens. Und auch bei der Vermittlung der Informationen<br />
überwiegen rationale und kognitive Elemente. Gesprächszeit ist ein rares Gut und<br />
wird seitens der Krankenkasse nur mit einem Minimalbetrag honoriert. 290 Die Praxisund<br />
Krankenhausorganisation ist an den Notwendigkeiten der Effizienz ausgerichtet.<br />
Die Patientinnen ihrerseits versuchen dieser Art des Umgangs mit ihnen und ihren<br />
Leiden zu entsprechen durch ein rationales Verhalten, das sich darum bemüht, zu<br />
verstehen und zu lernen, sich zu informieren und zu analysieren.<br />
Rationalität ist der im Gesundheitswesen oberflächlich vorherrschende Modus<br />
und nicht rational argumentierbare Wahrnehmungs- und Erfahrungsfelder, die<br />
essentiell mit Körperlichkeit zu tun haben, sind in diesem Feld nicht kommunizierbar,<br />
finden keinen Ort und bleiben außen vor. Vieles von dem, was auf medizinischem<br />
Terrain geschieht, Anamnesen, Diagnosen, Tests, Eingriffe, Behandlungen geht auf<br />
diese Weise an der Realität der Kranken ebenso wie des medizinischen Personals<br />
vorbei. Ihre Geschichte, ihre Narrative, ihre Kultur, und vor allem ihre Ängste bleiben<br />
strukturell (im konkreten Einzelfall ist das gewiss anders) unwahrgenommen oder<br />
werden auf ein mit den rationalen Mitteln der Medizin anzugehendes Problem<br />
zurechtgestutzt.<br />
Das führt nicht zuletzt zu einer zunehmenden Entmündigung der Patientinnen<br />
und befördert damit womöglich genau das Gegenteil von dem, was all die<br />
Anstrengungen des Gesundheitswesens doch eigentlich bewirken wollen: eine<br />
Verbesserung der Gesundheit. An dieser Stelle manifestiert sich einmal mehr das<br />
seltsame Paradox, nach dem Fortschritt auf dem Gebiet der Medizintechnologie<br />
manchmal „mehr Probleme kreiert als löst“. 291<br />
Angesichts dieser Gegebenheiten kann man sich mit der rationalistischen<br />
Einseitigkeit medizinischen Handelns nicht mehr zufrieden geben. Parallel zur<br />
technologischen Weiterentwicklung ist eine konzeptionell philosophische<br />
Weiterentwicklung vonnöten, die die Bedeutung der Ausgewogenheit und Balance in<br />
290 Der Punktewert für Gesprächsleistungen (die maßgebliche Einheit für den abzurechnenden Betrag)<br />
ist in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich nach unten gegangen, weil die finanziellen<br />
Ressourcen der Kassen zunehmend durch Aufwendungen für neu entwickelte<br />
Untersuchungsmethoden, wie beispielsweise das Sonogramm in Anspruch genommen wurden, die<br />
Einnahmen diesen zusätzlichen Finanzbedarf aber nicht decken. [Nach fernmündlicher Auskunft der<br />
kassenärztlichen Vereinigung in Osnabrück vom 02.05.07.]<br />
291 Hans Achterhuis. 1988. S. 298<br />
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