Arbeitsmarkt Kultur - Deutscher Kulturrat
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250 <strong>Arbeitsmarkt</strong> <strong>Kultur</strong>. Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in <strong>Kultur</strong>berufen<br />
wenigen in den Blick genommen werden, die erfolgreich auf dem Markt sind und mit Preisen geehrt<br />
werden. Und es erübrigt sich die Unterscheidung in sogenannte Hoch- und Unterhaltungskultur. Das<br />
kulturelle Leben in Deutschland und die <strong>Kultur</strong>wirtschaft leben von der Vielfalt, von Künstlern und<br />
Unternehmen, die nur eine regionale Bedeutung haben, von solchen, die neben der künstlerischen<br />
Tätigkeit zum Broterwerb noch weiteren Tätigkeiten nachgehen müssen und in deren Lebensentwurf<br />
trotzdem die künstlerische Tätigkeit im Vordergrund steht. Dieses Geflecht aufzuzeigen und zu verdeutlichen,<br />
dass das kulturelle und künstlerische Leben nicht nur aus allseits bekannten Künstlern,<br />
sondern aus einer Vielzahl von Akteuren besteht, ist ein wesentliches Verdienst von Fohrbeck und<br />
Wiesand, das sie zuerst im Autorenreport herausgearbeitet und dann im Künstlerreport vertieft haben<br />
(Fohrbeck, Wiesand 1975). Ein weiterer wichtiger Baustein der Untersuchungen zur wirtschaftlichen<br />
und sozialen Lage in freien künstlerischen Berufen war die Studie »Arbeitnehmer oder Unternehmer?:<br />
Zur Rechtssituation der <strong>Kultur</strong>berufe«, die Fohrbeck und Wiesand zusammen mit Frank Woltereck<br />
im Jahr 1976 veröffentlichten. Hier sind sie der Frage nachgegangen, wie sich die rechtliche<br />
Situation der Selbstständigen im <strong>Kultur</strong>bereich tatsächlich verhält und welche Abhängigkeitsverhältnisse<br />
bestehen. Wiesand formulierte im Sommer 2011 in einem Interview in Politik & <strong>Kultur</strong>, der<br />
Zeitung des Deutschen <strong>Kultur</strong>rates: »Dabei wurde deutlich, dass unterm Strich nur rund zehn Prozent<br />
– und bei den Designern nur rund ein Fünftel – dieser sogenannten Selbstständigen unternehmerähnlich<br />
oder Unternehmen waren, nämlich zum Beispiel mit Kapital arbeiteten, Angestellte hatten usw. Die<br />
anderen waren entweder sowieso schon Arbeitnehmer, verkappte Arbeitnehmer haben wir das genannt,<br />
wieder andere waren ›arbeitnehmerähnlich‹, weil sie letztlich abhängig von einem Betrieb waren, wieder<br />
andere nannten wir ›sozial schutzbedürftige Freischaffende‹, weil die besonders arm dran waren. Damit<br />
differenzierte sich plötzlich diese Landschaft völlig anders aus, als es bis dahin durch den Sammelbegriff<br />
›Selbstständige‹ suggeriert wurde.« (Schulz, Fohrbeck, Wiesand 2011, 9)<br />
Im bereits erwähnten Interview aus dem Jahr 2011 (Schulz, Fohrbeck, Wiesand 2011) stellen beide<br />
weiter heraus, dass in den 1970er-Jahren die <strong>Kultur</strong>verbandslandschaft in Deutschland längst noch<br />
nicht so entwickelt war wie heute. In einigen künstlerischen Sparten hatten sich zwar Künstler zusammengeschlossen,<br />
in einigen anderen wurden erst im Verlauf der Veranstaltungen und Diskussionen<br />
zum Künstlerreport Verbände gegründet. Auch sollte nicht vergessen werden, dass zu jener<br />
Zeit noch wesentlich ideologischere Debatten geführt wurden als es heute im <strong>Kultur</strong>sektor üblich ist.<br />
Fohrbeck sagte in dem erwähnten Interview im September 2011: »Die 1970er-Jahre waren viel stärker<br />
ideologisch geprägt als heute. In einigen Verbänden waren zum Beispiel Kommunisten engagiert und es<br />
gab in den Gewerkschaften das Bestreben, dass diese Gruppe nicht zu stark werden sollte. Klassenkampfparolen,<br />
die man sich heute kaum mehr vorstellen kann (nach dem Motto ›IG Gross und Stark‹) waren sehr<br />
präsent und haben später noch die <strong>Kultur</strong>ratsgründung belastet.« (Schulz, Fohrbeck, Wiesand 2011, 9)<br />
Die beschriebenen Studien sowie weitere Debatten veranlassten im Jahr 1976 die Bundesregierung,<br />
Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Lage der Künstler zu ergreifen. Dabei schien das Arbeitsund<br />
Sozialrecht das probate Mittel zu sein. In den folgenden Jahren zog sich letztlich bis zum Urteil<br />
des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1987 eine Debatte hin, inwiefern für selbstständige Künstler<br />
eine gesetzliche Sozialversicherung begründet werden kann, bei der die Auftraggeber einen Teil<br />
der Beiträge bezahlen. Ein solches System sprengte die bis dato vorherrschenden Vorstellungen der<br />
selbstständigen Tätigkeit, die sich u. a. auch dadurch auszeichnete, eben nicht Mitglied in der gesetzlichen<br />
Sozialversicherung zu sein. Von Seiten der Befürworter einer Einbeziehung der Künstler in<br />
die gesetzliche Sozialversicherung wurde von den seinerzeit bestehenden vier Zweigen 11 die Krankenund<br />
die Rentenversicherung in den Blick genommen. Die Arbeitslosen- und die Unfallversicherung<br />
wurden außen vorgelassen. Der Umstand, dass heute Selbstständige die Versicherung in der gesetzlichen<br />
Arbeitslosenversicherung beantragen können, zeigt, wie sich die Arbeitswelt und insbesondere<br />
die Arbeit und der soziale Status von Selbstständigen seit den 1970er-Jahren verändert haben.<br />
11 Die Pflegeversicherung wurde erst 1995 eingerichtet.