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Vom Ende der Zeiten

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2. Demokratische Täter-Opfer-Umkehr<br />

Wi<strong>der</strong>ruf<br />

„Christiansen und Peters sind vorverurteilt, wie es schlimmer nicht geht. Es gibt Geständnisse<br />

und Wi<strong>der</strong>rufe. Von einem gewöhnlichen Straftäter hieße es, er habe bestritten. Die Mölln-<br />

Attentäter, die grausamsten aller Verbrecher, ‚leugnen‘ natürlich.“ 501<br />

„Einer <strong>der</strong> drei Anwälte <strong>der</strong> Angeklagten for<strong>der</strong>te in einem umfangreichen Antrag sämtliche<br />

Verlautbarungen aus den Vernehmungen und auch die Geständnisse selbst nicht zu verwerten,<br />

da sie aufgrund einer ‚Panikreaktion‘ zustande gekommen seien. Der Anwalt sprach von einem<br />

‚psychotischen Zustand mit Trugwahrnehmung‘ und von ‚Gehirnwäsche‘. Er habe, sagt Peters,<br />

die Angaben in seinen Vernehmungen so gemacht, ‚wie es die Polizei haben wollte‘. Der<br />

Vorsitzende stellt, vom Angeklagten unwi<strong>der</strong>sprochen, fest, daß dieser seinerzeit bei seinen<br />

Vernehmungen ‚aus freien Stücken‘ ausgesagt habe. Es sei aus den Protokollen nicht zu<br />

erkennen, daß es bei den Vernehmungen ‚schlimm‘ zugegangen sei. Einer <strong>der</strong> drei Anwälte<br />

bringt vor, daß <strong>der</strong> Angeklagte Peters bei seinen Vernehmungen zeitweise ohne Rechtsbeistand<br />

gewesen sei, bei <strong>der</strong> Polizei und später beim Ermittlungsrichter.“ 502<br />

„Sowohl Michael P. als auch Lars C. haben ein Geständnis abgelegt, es aber später wi<strong>der</strong>rufen<br />

und behauptet, sie hätten die Tat nur unter Druck zugegeben. Die ersten Vernehmungen<br />

wurden we<strong>der</strong> mit einem Tonbandgerät aufgezeichnet, noch wurde <strong>der</strong> genaue Wortlaut<br />

schriftlich protokolliert. Nur so aber hätte von Anfang an <strong>der</strong> Verdacht aus dem Weg geräumt<br />

werden können, ihnen seien im Verhör belastende Aussagen in den Mund gelegt worden.“ 503<br />

„Der II. Strafsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts hat am Freitag den Antrag<br />

<strong>der</strong> Verteidigung abgelehnt, das Geständnis aus den polizeilichen Vernehmungen des<br />

Angeklagten Lars Christiansen nicht zu verwerten. Christiansen sagte am Freitag, sein<br />

Geständnis im November vergangenen Jahres sei ‚von vorne bis hinten erfunden gewesen‘.<br />

Christiansen sagte, er habe sich nur zusammengereimt, ‚was die Polizei hören wollte‘.“ 504<br />

„Bald nachdem Michael Peters, 26, und Lars Christiansen, 20, im November vorigen Jahres<br />

festgenommen worden waren, gestanden sie nach erstem Leugnen die Taten. Dann wi<strong>der</strong>rief<br />

als erster Christiansen. Peters folgte ihm. In <strong>der</strong> Hauptverhandlung vor dem II. Strafsenat des<br />

Oberlandesgerichts Schleswig schrie Christiansen in den Gerichtssaal: ‚Ich würde nicht mehr<br />

leben, wenn ich mit <strong>der</strong> Tat zu tun hätte.‘ Alles wollte er anbieten, sagte er ein an<strong>der</strong>mal,<br />

‚meinetwegen zehn Hypnotiseure‘, um seine Unschuld zu beweisen. Und: ‚Hier wird doch alles<br />

nur verdreht. Man rutscht immer weiter den Bach runter und kann nichts machen.‘ …<br />

Peters, <strong>der</strong> es schwerer hat im Umgang mit den Wörtern, auf die Frage, ob er noch ein Letztes<br />

sagen möchte: ‚Ja, daß ich mit Mölln nichts zu tun habe.‘ Peters und Christiansen sind nicht die<br />

ersten und nicht die einzigen jungen Leute, die etwas wegzureden versuchen.“ 505<br />

„In seiner Vernehmung durch den Vorsitzenden und an<strong>der</strong>e Prozeßbeteiligte ist <strong>der</strong> Angeklagte<br />

Christiansen dabei geblieben, er habe sein Geständnis seinerzeit zum einen ‚frei erfunden‘, zum<br />

an<strong>der</strong>en habe er bei seinen Aussagen dem Drängen <strong>der</strong> Vernehmungsbeamten nachgegeben.<br />

Auf die Vorhaltung, er habe sich in seinem damaligen Geständnis auf Einzelheiten des<br />

Tathergangs eingelassen, antwortete <strong>der</strong> Angeklagte, ‚dies und das‘ habe er sich ‚ausgedacht‘<br />

o<strong>der</strong> die Polizei habe es ihm ‚in den Mund gelegt‘. Der Angeklagte sagte auf eine Frage des<br />

Vorsitzenden, daß man ihn in <strong>der</strong> Untersuchungshaft in den Selbstmord habe treiben wollen;<br />

Christiansen schnitt sich in <strong>der</strong> Nacht zum 2. Dezember 1992 eine Pulsa<strong>der</strong> auf.“ 506<br />

„Im Besuchszimmer des Haftkrankenhauses in Lübeck, nachdem Lars versucht hatte, sich das<br />

Leben zu nehmen, saßen sie nun, faßten sich an den Händen und weinten. Noch immer wollen<br />

die Eltern ihrem Sohn die Tat nicht zutrauen. ‚Er hatte uns hoch und heilig versichert, daß er es<br />

nicht gewesen ist‘, sagt <strong>der</strong> Vater.“ 507<br />

501 DER SPIEGEL 22/1993, „Eine Tat ohnegleichen - SPIEGEL-Reporterin Gisela Friedrichsen im Prozeß um die<br />

Brandanschläge von Mölln“, 31.05.1993, S. 109<br />

502 Frankfurter Allgemeine Zeitung, „Von Panikreaktionen und Gehirnwäschen - Peters wi<strong>der</strong>ruft Geständnis im<br />

Mölln-Prozeß“, 26.05.1993, S. 4, Artikel v. Hans Haibach<br />

503 DIE ZEIT, „Nach den Mordanschlägen von Mölln und Solingen: Es gibt noch immer Zweifel an <strong>der</strong> Schuld <strong>der</strong><br />

mutmaßlichen Täter: Die Qual mit dem Rechtstaat“, 03.12.1993<br />

504 Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 128, „Geständnis darf im Mölln-Prozeß verwendet werden“, 05.06.1993, S. 2<br />

505 DER SPIEGEL 50/1993, „Prozesse - „Augenmaß und Konsequenz - SPIEGEL-Reporterin Gisela Friedrichsen<br />

zum Urteil gegen die Brandstifter von Mölln“, 13.12.1993, S. 45<br />

506 Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 130, „Peters sagt im Mölln-Prozeß aus?“, 08.06.1993, S. 2<br />

507 DIE ZEIT, „Mölln, Deutschland - Der Name einer Kleinstadt steht weltweit für Fremdenhaß und nationalen Wahn.<br />

Aus <strong>der</strong> Nähe betrachtet, weicht das Klischee einer komplizierten Wirklichkeit. Nur eines steht fest: Die Gewalt<br />

ist da“, 11.12.1992, Artikel v. Thomas Kleine-Brockhoff, Kuno Kruse u. Ulrich Stock<br />

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