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Vom Ende der Zeiten

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2. Demokratische Täter-Opfer-Umkehr<br />

Claus Nordbruch schreibt: „Am 27. Mai 2002 erlaubte<br />

sich Möllemann in seiner Kolumne im Zentralorgan <strong>der</strong><br />

ehemaligen SED, NEUES DEUTSCHLAND, angesichts<br />

jüngster Wahlerfolge mehr o<strong>der</strong> weniger nationalbewußter<br />

Parteien in Europa, den politischen Aufbruch<br />

in eine neue Zeit zu prophezeien: ‚Es geht nicht mehr<br />

um Rechts o<strong>der</strong> Links. Es geht nur noch darum, wer die<br />

tatsächlichen Probleme <strong>der</strong> Menschen ohne<br />

ideologische Scheuklappen erkennt, in <strong>der</strong> Sprache des<br />

Volkes benennt und zu ihrer Zufriedenheit löst.‘ 696<br />

Die Vertreter <strong>der</strong> herrschenden politischen Klasse<br />

empörten sich erwartungsgemäß. Für den ehemaligen<br />

Bundesinnenminister Gerhard Baum beispielsweise<br />

Bild 128: Möllemann stehengelassen, als dieser bei den Mächtigen unserer „Demokratie“ aneckt:<br />

„Wo war Genscher, als Michel Friedman auf einer DGB-Veranstaltung sagte: ‚Die Ermordung von<br />

Menschen beginnt mit den Worten von Martin Walser und Jürgen Möllemann?‘ Ein Dementi gab es<br />

nicht, eine Kritik von Genscher an Friedman auch nicht.“ [28, Seite 74]<br />

sind die Wahlerfolge ‚populistischer‘ (volksorientierter) Parteien keineswegs eine Emanzipation<br />

<strong>der</strong> Demokraten, son<strong>der</strong>n vielmehr ‚ein Versagen <strong>der</strong> Demokraten, weil die Leute den ‚rechten‘<br />

Rattenfängern hinterher gelaufen sind.‘ 697<br />

Ganz offensichtlich haben die Parteikollegen Möllemanns, von Hans-Dietrich Genscher bis<br />

Guido Westerwelle, von Otto Graf Lambsdorff bis Günther Rexrodt, ein gestörtes Verhältnis zur<br />

Meinungsfreiheit, denn was nun folgte, war ein Kesseltreiben gegen einen hohen Parteifunktionär,<br />

wie man es in diesem Maße in <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland noch nicht erlebt<br />

hatte. Möllemann hielt nach den Angriffen gegen seine Person nicht etwa still, son<strong>der</strong>n wußte<br />

das bundesdeutsche Establishment durch weitere Äußerungen immer wie<strong>der</strong> in heillose<br />

Aufregung zu versetzen. In einer Fernsehattacke auf den ‚Vorzeigejuden <strong>der</strong> Unionsparteien‘<br />

(TITANIC), Michel Friedman, bekannte Möllemann: ‚Ich fürchte, daß kaum jemand den<br />

Antisemiten, die es in Deutschland lei<strong>der</strong> gibt, mehr Zulauf verschafft als Herr Scharon und in<br />

Deutschland als Herr Friedman mit seiner intoleranten, gehässigen Art.‘<br />

Das FDP-Präsidium klagte fast einstimmig, daß eine solche Aussage eindeutig antisemitisch<br />

sei, die die FDP in eine Ecke rücke, in <strong>der</strong> sie nicht gehöre. Die Lage eskalierte. Friedman<br />

stichelte zurück und gab die einzuschlagende Richtung vor: ‚Wo ist die FDP-Führung eigentlich<br />

hingekommen, daß sie einen stellvertretenden Vorsitzenden, <strong>der</strong> solches Gedankengut<br />

verbreitet, nicht öffentlich wi<strong>der</strong>spricht o<strong>der</strong> sich gar von ihm trennt. Die ‚rechten‘ Bemerkungen<br />

von Möllemann haben auch nichts mehr mit Israel zu tun, son<strong>der</strong>n bewegen sich auf dem<br />

Niveau <strong>der</strong> Republikaner und <strong>der</strong> NPD.‘ 698<br />

Man erinnert sich: Nur wenige Monate vor dem Eklat hatte Friedman in <strong>der</strong> FRANKFURTER<br />

RUNDSCHAU Möllemann als ‚Nazi‘ beschimpft. Dessen Beleidigungsklage wurde<br />

abgewiesen. 699 Dem STERN gegenüber bekräftigte Möllemann seine Auffassung über Friedman<br />

und erklärte: ‚Die <strong>Zeiten</strong>, in denen man uns das Denken verbieten wollte, sind vorbei. Wir sind<br />

selbständig und mündig genug um zu wissen, daß man bei <strong>der</strong> Bewertung <strong>der</strong> deutschen<br />

Geschichte kein Antisemit sein darf. Kein denken<strong>der</strong> Mensch kann das sein. Aber wenn man<br />

wie Friedman als angeblicher Sachverwalter des Zentralrats <strong>der</strong> Juden Kritiker <strong>der</strong> Politik Israels<br />

nie<strong>der</strong>macht, wer wie er mit Gehässigkeiten um sich wirft, mit unverschämten Unterstellungen<br />

arbeitet, Antisemitismus und so weiter, <strong>der</strong> schürt Unmut gegen die Zielgruppe, die er zu<br />

vertreten vorgibt.‘ 700 Für Charlotte Knobloch war diese Meinungsäußerung <strong>der</strong> Affront<br />

schlechthin: ‚Herr Möllemann bleibt bei seiner Einstellung, daß die <strong>Zeiten</strong> vorbei sind, wo das<br />

Denken verboten wird. Damit verunglimpft er die ganze jüdische Gemeinschaft, und ich meine,<br />

das ist eine Äußerung, die UNS zutiefst empört hat und die WIR ganz entschieden<br />

zurückweisen. Und deswegen muß sich Herr Möllemann gefallen lassen, daß er absolut als<br />

Antisemit bezeichnet werden kann.‘ 701<br />

696 Neues Deutschland, „In die neue Zeit“, 27.05.2002<br />

697 Süddeutsche Zeitung, „Blinker nach rechts“, 28.05.2002, S. 10<br />

698 DIE WELT, „JÜRGEN W. MÖLLEMANN - Der die FDP rettete - und fast ruinierte“, 29.06.2007<br />

699 Handelsblatt, „Friedman for<strong>der</strong>t Parteiausschluß Möllemanns“, 21.05.2002<br />

700 stern, „Die Liberalen und <strong>der</strong> ‚braune Dreck‘“, 23.05.2002, S. 44<br />

701 n-tv, Interview v. Charlotte Knobloch bei Sandra Maischberger, 23.05.2002<br />

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