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Vom Ende der Zeiten

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2. Demokratische Täter-Opfer-Umkehr<br />

daß C. sich weigerte, das Vernehmungszimmer zu verlassen, angeblich habe er noch weitere<br />

Erklärungen abgeben wollen. Der Zeuge B. hat bekundet, C. war nicht in <strong>der</strong> Lage, <strong>der</strong><br />

Vernehmung zu folgen, er wie<strong>der</strong>holte immer dieselben Dinge, die nicht stimmen konnten. Die<br />

darauffolgende Nacht hat Lars C. in Polizeigewahrsam in Ratzeburg verbracht. Er hat erklärt,<br />

daß er wegen <strong>der</strong> Angst, <strong>der</strong> bei ihm vorhandenen Aufregung und <strong>der</strong> Verhältnisse in <strong>der</strong><br />

Gewahrzelle nicht habe schlafen und auch am Morgen nichts habe essen können.<br />

Am 29.11.1992 hat eine weitere Vernehmung in <strong>der</strong> Zeit von 09.05 Uhr bis 10.12 Uhr<br />

stattgefunden. Anhand dieses Vernehmungsprotokolls kann zunächst nachvollzogen werden,<br />

daß man eine erneute Beschuldigtenbelehrung, eine solche wäre angesichts des wenige<br />

Stunden zuvor festgestellten Zustandes <strong>der</strong> Vernehmungsunfähigkeit sicherlich angezeigt<br />

gewesen, nicht stattgefunden hat. …<br />

Dem Vernehmungsprotokoll kann auch entnommen werden, daß es im Anschluß an die<br />

vorangegangene Nachtvernehmung in <strong>der</strong> Gewahrzelle auf Wunsch des Angeklagten C. noch<br />

zu einem weiteren Gespräch gekommen ist. C. hatte erklärt, daß <strong>der</strong> Namenszug ‚Faruk Arslan‘<br />

auf <strong>der</strong> Saftpackung von T. S. geschrieben worden sei. … [69, Seite 154, 155]<br />

Lars C. erklärt dann im weiteren Verlauf <strong>der</strong> Vernehmung, wie es zu dem Treffen mit T. S. am<br />

24.11. gekommen ist und bei welcher Gelegenheit dieser den Namenszug auf die Saftpackung<br />

geschrieben hat. Er fühlte sich sichtlich erleichtert, da er eine Begründung für das<br />

Vorhandensein dieses Schriftzuges gefunden hatte.<br />

Nachdem Lars C. mit allem Nachdruck erklärt hatte, mit den Brandanschlägen nicht im<br />

Zusammenhang zu stehen und er zu <strong>der</strong> fraglichen Zeit im Bett gelegen habe, erklärte er sich<br />

freiwillig bereit, die ihm zugeschriebenen Bekenneranrufe mit dem Zusatz ‚Heil Hitler‘, in ein<br />

Telefon zu sprechen, um diese dann auf einen Tonträger aufzunehmen und abzuhören. Die im<br />

Rahmen <strong>der</strong> sog. Stimmenidentifizierung vernommenen Zeugen, <strong>der</strong> Polizeibeamte B. und <strong>der</strong><br />

Feuerwehrmann S., haben die Stimmen des Angeklagten nicht wie<strong>der</strong>erkannt.<br />

Noch am 29.11.1992, nämlich im Zeitraum ab etwa 21.30 Uhr bis 23.40 Uhr, folgte eine<br />

Vernehmung durch den Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof. Lars C. wird nochmals auf die<br />

Telefongespräche angesprochen; er gibt hierbei die bereits zitierte Erklärung ab.<br />

Er weist dann auf seine panische Angst hin, unschuldig in den Knast zu kommen. Mit einem<br />

falschen Geständnis habe er seine Situation verbessern wollen und gehofft, nur eine<br />

Gefängnisstrafe von ein o<strong>der</strong> zwei Jahren zu erhalten. Eine lebenslange Haft o<strong>der</strong> aber auch<br />

eine geringe Gefängnis- bzw. Jugendstrafe würde nichts an seiner Situation verän<strong>der</strong>n. Er blieb<br />

dabei, mit dieser Sache nichts zu tun zu haben. …<br />

Obwohl nach <strong>der</strong> Erklärung des Herrn Oberstaatsanwalt Pflieger hier in <strong>der</strong> Hauptverhandlung,<br />

daß man außer <strong>der</strong> Aussage <strong>der</strong> ‚kindlichen Zeugin‘, im Protokoll des Ermittlungsrichters wird<br />

noch ein anonymer Hinweis bezüglich des Angeklagten P. erwähnt, nichts in <strong>der</strong> Hand gehabt<br />

habe und die Untersuchungshaft daher nicht länger hätte aufrecht erhalten werden können,<br />

wurde <strong>der</strong> von ihm, Pflieger, beantragte Haftbefehl erlassen. …<br />

Am 30.11.1992 gegen 13.00 Uhr wurde <strong>der</strong> Angeklagte aus <strong>der</strong> Justizvollzugsanstalt abgeholt<br />

und zu <strong>der</strong> nunmehr entscheidenden Vernehmung gebracht. … [69, Seite 155, 156]<br />

Hinsichtlich <strong>der</strong> Vernehmungssituation am 30.11.1992 enthält <strong>der</strong> Vermerk des Zeugen H. vom<br />

01.12.1992 im wesentlichen folgende Einzelheiten: ‚Vor Beginn <strong>der</strong> Vernehmung verhielt sich C.<br />

aggressiv. Er wurde dann nach einiger Zeit scheinbar nachdenklich, stützte den Kopf auf die<br />

übereinan<strong>der</strong>gelegten Fäuste und erklärte dann nach etwa 15 Minuten: ‚Ja, ich bin es gewesen‘.<br />

Anschließend weinte er, den Kopf auf die Schreibtischplatte gelegt, hemmungslos. Nachdem er<br />

dann anschließend das Tatgeschehen flüssig und ohne zu stocken schil<strong>der</strong>te, kam es dann, als<br />

es um die Mühlenstraße ging, zu <strong>der</strong> Erklärung: ‚Ich kann es nicht gewesen sein, aber mir<br />

glaubt ja sowieso keiner mehr.‘ …<br />

Insgesamt hat Lars C. während dieser von 13.05 Uhr bis 22.20 Uhr und damit 9 Stunden 15<br />

Minuten dauernden Vernehmung fünf Versionen bezüglich <strong>der</strong> Tatbeteiligung geschil<strong>der</strong>t.<br />

Im Zusammenhang mit dem am 01.12.1992 unternommenen Selbstmordversuch hat <strong>der</strong><br />

Sachverständige Dr. Wieneke folgende Feststellungen getroffen: ‚Der noch am selben Tage zu<br />

verzeichnenden Suizidversuch mit erheblicher Selbstbeschädigung erfolgte nach stundenlangen<br />

Verhören unter ständiger Konfrontation mit den ihm vorgeworfenen Taten in Rahmen eines<br />

haftpsychotischen Zustandes mit Trugwahrnehmungen, wahnhafter Realitätsverkennung und<br />

paranoidem Eigenbezug, <strong>der</strong> einerseits Ausdruck zumindest einer vorübergehenden<br />

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