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Vom Ende der Zeiten

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2. Demokratische Täter-Opfer-Umkehr<br />

Plädoyer des Verteidigers von Michael Peters<br />

Am 24. November 1993 spricht <strong>der</strong> Rechtsanwalt Manfred Goerke (re.<br />

im Bild) sein Plädoyer: ‚Auf den exzellenten Schlußvortrag <strong>der</strong><br />

Bundesanwaltschaft überzeugend zu erwi<strong>der</strong>n, ist für mich als<br />

Verteidiger nicht gerade einfach. … Ebenso verständlich ist es, daß die<br />

Öffentlichkeit den Angeklagten, aber auch ihren Verteidigern ablehnend,<br />

wenn nicht gar feindselig gegenübertritt. … Bei dem Brandanschlag von<br />

Mölln handelt es sich um eine Tat ohnegleichen. [69, Seite 127]<br />

Michael P. wurde am 26. Juni 1967 in eine Familie hineingeboren, die<br />

Gott sei Dank, nicht alltäglich ist. Sein Vater, ein Alkoholiker, lehnte ihn<br />

ab und mißhandelte nicht nur ihn, son<strong>der</strong>n auch seine Schwester und<br />

auch die Mutter. Dies geschah oft ohne Grund. ‚Wenn ich an ihn<br />

zurückdenke, dann ist da nur Haß, Wut. Es gibt keine positive Erinnerung.‘ [69, Seite 129]<br />

Die Suche nach Lösungen für seine persönlichen Probleme machte Michael P. zwangsläufig<br />

anfällig für die einfach Antworten ‚rechter‘ Demagogen. Diese Antworten lassen sich<br />

zusammenfassen mit <strong>der</strong> Parole ‚Deutschland den Deutschen – Auslän<strong>der</strong> raus‘.<br />

Aus meiner Sicht entspricht die Biographie von Michael P. dem Klischee <strong>der</strong> Biographie eines<br />

Skinheads. Deshalb erscheint er um so bedrohlicher. Deshalb traut man ihm die Taten von<br />

Mölln zu. Deshalb fiel es leicht, ihn ohne Skrupel als einen <strong>der</strong> ‚Mör<strong>der</strong> von Mölln‘<br />

vorzuverurteilen. Was genau passierte in Gudow und Kollow? … Fest steht jedenfalls, daß <strong>der</strong><br />

Angeklagte P. und neun Wittenburger zunächst zu seiner Wohnung in Gudow fuhren und <strong>der</strong><br />

Angeklagte dort einen fünf Liter fassenden, leeren Benzinkanister sowie einige Halbliter-Dosen<br />

Bier holte. Die Bierdosen wurden verteilt; sie fuhren nach Mölln und tankten dort; sie stellten<br />

zwölf Brandflaschen her. Keiner <strong>der</strong> Brandsätze gelangte ins Gebäude, allerdings entstanden<br />

am Hauptgebäude und im Ostflügel mehrere, teils größere Rußflecken.<br />

Beim Ostflügel hatte darüberhinaus eine Brandflasche einen Dachziegel durchschlagen, war<br />

aber in <strong>der</strong> Dachrinne liegengeblieben. Keiner <strong>der</strong> Beteiligten ging davon aus, daß tatsächlich<br />

Leben und Gesundheit <strong>der</strong> Bewohner zu Schaden kommen könnte, so das Urteil des<br />

Landgerichts Lübeck. Sie rechneten vielmehr damit, daß diese mit dem allerdings<br />

beabsichtigten Schrecken davonkommen würden. Auf mögliche Fluchtwege wurden keine<br />

Brandsätze geworfen (noch wurde die Ausgangstür verriegelt). [69, Seite 132, 133]<br />

… We<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Hauptverhandlung noch in irgendeiner <strong>der</strong> vorangegangenen Vernehmungen<br />

hat <strong>der</strong> Angeklagte P. geäußert, sich mit dem möglichen Tod von Menschen abgefunden, den<br />

Tod billigend in Kauf genommen zu haben. Beispielhaft möchte ich hier aus <strong>der</strong> Vernehmung<br />

von Michael P. vom 27. November 1992 zitieren: Auf die Frage <strong>der</strong> Vernehmungsbeamten,<br />

‚Herr P., haben Sie bei Ihren Überlegungen in <strong>der</strong> Haftzelle vielleicht auch mal an die Menschen<br />

gedacht, die in diesen Häusern wohnten, gegen die Sie die Brandsätze geschleu<strong>der</strong>t haben?‘<br />

antwortete P.: ‚Ja, auch das habe ich. Ich glaube, ich würde es mir nie verzeihen, wenn jemand<br />

bei unseren Aktionen ums Leben gekommen wäre. Das hätte ich nicht gewollt. Ich wollte die<br />

Asylanten ja auch nur erschrecken, damit sie endlich aus Deutschland verschwinden.‘ …<br />

Es hatte zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Überfälle auf die Asylbewerberheime von Gudow und Kollow noch<br />

keine Toten bei entsprechenden Angriffen gegeben. Zu diesem Zeitpunkt konnte <strong>der</strong> Angeklagte<br />

P. somit davon ausgegangen sein, daß den Bewohnern dieser Heime genügend Zeit bleib, ihre<br />

Häuser zu verlassen. Ich habe deshalb große Zweifel, daß <strong>der</strong> Angeklagte P. bei den Aktionen<br />

in Gudow und Kollow den Tod von Menschen billigend in Kauf genommen hat. Ich meine<br />

dagegen, daß Michael P. bei diesen Anschlägen auch ernsthaft darauf vertrauen konnte, daß<br />

kein Mensch getötet wird. Aus diesen Gründen war bei Michael P. kein Tötungsvorsatz in Form<br />

des dolus eventualis 508 gegeben. Die Absicht von Michael P., wie auch aller an<strong>der</strong>en an diesen<br />

Taten Beteiligten, war vielmehr, die in diesen Häusern wohnenden Asylbewerber zu<br />

erschrecken. Zur Verfolgung dieses Zwecks nahm <strong>der</strong> Angeklagte P. das Inbrandsetzen <strong>der</strong><br />

Asylbewerberheime jedoch mindestens billigend in Kauf.<br />

Sind die Angeklagten die Täter von Mölln? Zu Recht bezeichnet die Bundesanwaltschaft diese<br />

Frage als sehr schwierig, für sie besteht aber nach Abschluß <strong>der</strong> Beweisaufnahme kein Zweifel,<br />

diese Frage mit ‚Ja‘ zu beantworten. Die Bundesanwaltschaft bringt mit dieser Antwort zum<br />

Ausdruck, von <strong>der</strong> Täterschaft <strong>der</strong> beiden Angeklagten überzeugt zu sein. ... [69, Seite 134]<br />

508 Inkaufnehmen einer Folge<br />

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