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Vom Ende der Zeiten

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2. Demokratische Täter-Opfer-Umkehr<br />

Bevor ich aber als Wirtschaftsminister zurücktrat, hatte ich<br />

eine höchst unerfreuliche Aufgabe zu erfüllen, die mir gerade<br />

deshalb sehr schwer fiel, weil die deutsch-iranische Kultur-,<br />

Politik- und Wirtschaftskooperation während meiner Amtszeit<br />

als Wirtschaftsminister erheblich gewachsen war. Jetzt aber<br />

sollten wegen massiver Interventionen <strong>der</strong> USA und Israels<br />

Verträge auf Eis gelegt werden, die Deutschland und <strong>der</strong> Iran<br />

noch zu <strong>Zeiten</strong> des Schahs geschlossen hatten. Davon war<br />

die Fertigstellung des Kernkraftwerks Busheer betroffen, das<br />

Siemens in großen Teilen geliefert und aufgebaut hatte,<br />

obwohl <strong>der</strong> Iran eine Summe in Milliardenhöhe pünktlich<br />

bezahlt und alle Kontrollverpflichtungen <strong>der</strong> Internationalen<br />

Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien vollständig eingehalten<br />

hatte. Weil die Vereinigten Staaten von Amerika und Israel<br />

ihre Monopolstellung als Atommächte nicht verlieren wollten, wurde Deutschland<br />

vertragsbrüchig. Die Lieferung deutscher U-Boote erlitt das gleiche Schicksal: Der Iran zahlte,<br />

die USA und Israel intervenierten, wir brachen die Verträge, und beschädigten damit den Ruf<br />

Deutschlands weit über die Grenzen des Iran hinaus. Und schließlich, aller üblen Fehler sind<br />

drei, hielten wir auch die Verträge zum Bau <strong>der</strong> Düngemittelfabrik Ghazwin nicht ein, auf die die<br />

iranische Landwirtschaft dringend wartete. Israel und die USA wandten sich mit <strong>der</strong> Begründung<br />

dagegen, in einer solchen Anlage könnten auch Chemiewaffen hergestellt werden. Warum hatte<br />

man diese Bedenken nicht schon bei Vertragsschluß vorgetragen (um Deutschland zu<br />

brüskieren und vorzuführen)? Obwohl <strong>der</strong> Iran anbot, sich allen gewünschten internationalen<br />

Kontrollen zu unterwerfen, waren Washington und Jerusalem von ihrem Veto nicht abzubringen.<br />

Ausgerechnet ich mußte den Iranern diese schlechte Nachricht überbringen. Mein Gastgeber,<br />

Präsident Rafsandschani, blieb trotz seiner nur zu verständlichen Enttäuschung und Wut,<br />

höflich. Meine Kompensationsmodelle konnten nichts daran än<strong>der</strong>n, daß die traditionell<br />

beson<strong>der</strong>s guten deutsch-iranischen Beziehungen Schaden nahmen. Daß die Bundesrepublik<br />

den For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> USA und Israels gehorsam Folge leistete, war für den Präsidenten eines<br />

so stolzen Volkes eine bittere Enttäuschung. [28, Seite 223, 224]<br />

Helmut Müller, auch ‚Knüller-Müller‘ genannt, war vieles gewöhnt. Der Journalist <strong>der</strong><br />

WESTFÄLISCHEN NACHRICHTEN hatte mehr Konflikt- und Kriegsschauplätze gesehen als<br />

manch an<strong>der</strong>er Journalist. 1979 war er dabei, als ich Yassir Arafat im Libanon zum erstenmal<br />

traf. Es war Ramadan. Am Abend saß ich endlich mit dem PLO-Führer zusammen beim<br />

traditionellen Fastenbrechen. Wir unterhielten uns endlos lange. Eine anstrengende Sache,<br />

schon allein seiner zeitraubenden Essenssitten wegen. Zur Propaganda gegen Arafat gehört die<br />

Behauptung, die Hilfsgel<strong>der</strong> aus den arabischen Län<strong>der</strong>n dienten auch seinem feudalen<br />

Lebensstil. Aber we<strong>der</strong> im Libanon noch in Tunis, noch bei den vielen internationalen<br />

Konferenzen, auf denen ich ihn immer wie<strong>der</strong> traf, war davon etwas zu sehen. Wahr ist aber,<br />

daß Arafat zwar einfach, aber viel aß. Am Schluß des ersten Gesprächs im Libanon, dem<br />

weitere folgten, notierte ich acht Punkte und gab sie den deutschen und ausländischen<br />

Journalisten. Für sich genommen, ging kein einziger Punkt über die Zielsetzung <strong>der</strong> damaligen<br />

Nahostpolitik in Deutschlands Fachkreisen hinaus. Neu aber war die Bündelung dieser acht<br />

Punkte, die meiner Meinung nach gemeinsam behandelt werden mußten. Ein libanesischer<br />

Journalist, ein freier Mitarbeiter <strong>der</strong> Deutschen Presse-Agentur (DPA), fragte mich, ob ich die<br />

acht Punkte schon irgendwo veröffentlicht hätte. Nein, hatte ich nicht. Ob er sie bringen dürfe.<br />

Ja, warum nicht. Damals war mir <strong>der</strong> Umgang mit <strong>der</strong> Presse noch nicht ganz vertraut. Daher<br />

traf es mich unvorbereitet, als DPA weltweit für großen Rummel sorgte. Der flotte Journalist<br />

hatte aus meinen lösungsorientierten Notizen einen ‚geheimen Acht-Punkte-Friedensplan für<br />

den Nahen Osten‘ gemacht: ‚Moellemann’s secret peace plan‘.<br />

Zu Hause in Deutschland beschwerten sich die Israelis. Sie waren verärgert, daß ein deutscher<br />

Politiker die Palästinenser gleichrangig mit den Israelis sah. Genscher tobte und erklärte, er<br />

wisse nichts von einem Geheimplan. … Was ich damals nicht ahnen konnte: Der Plan, den es<br />

nicht gab, begründete meinen guten Ruf (bei den Semiten) in Arabien und meinen schlechten in<br />

Israel, wie mir erst sehr viel später dämmerte. [28, Seite 36-38]<br />

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