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Vom Ende der Zeiten

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2. Demokratische Täter-Opfer-Umkehr<br />

Der eigentliche Feind: Die Person Hoffmann<br />

„Nachdem <strong>der</strong> Nürnberger Werbegraphiker Hoffmann den neuen<br />

schwarzen Jaguar Typ Cabriolet aus <strong>der</strong> Werkstatt geholt hat,<br />

unternimmt er eine kleine Spazierfahrt durch Franken. Es ist das<br />

Jahr 1972; in München haben die Olympischen Spiele begonnen<br />

und aus dem Radio kommt die hysterische Son<strong>der</strong>meldung, eine<br />

Geiselnahme im israelischen Olympischen Dorf sei im Gange.<br />

Hoffmann hört zwar hin, wie so viele an<strong>der</strong>e Menschen in<br />

diesem Moment auch, kann sich aber keinen politischen Reim<br />

auf die Vorgänge machen. Für diese Dinge hat er sich noch nie<br />

son<strong>der</strong>lich interessiert, und er versteht im Grunde auch wenig<br />

davon. Das Nürnberger Atelier ist gut gelaufen in den letzten<br />

Jahren; ein Meister regelt die wichtigsten Fragen des täglichen<br />

Betriebs und <strong>der</strong> ‚Chef‘ hat sich ein wenig aufs Kaffeehaus<br />

verlegt. Dort herrscht am späten Vormittag reger Betrieb. Immer<br />

wie<strong>der</strong> kommen die Leute an Hoffmanns Tisch und begrüßen ihn<br />

in einer fast schon übertrieben freundlichen Weise.<br />

Schloß Almoshof als Wohnsitz zieht die Leute an, aber es sind Schleimer, falsche Freunde,<br />

denkt Hoffmann. Er lebt das Leben eines geachteten Bürgers einer großen westdeutschen<br />

Provinzstadt, <strong>der</strong> Wert auf sein Auftreten legt, vielleicht gilt er als ein wenig exaltiert, und die<br />

Frauen haben ihn gern. Es mag mit <strong>der</strong> Armut seiner Jugend und den Demütigungen zu tun<br />

haben, die er als Kind des ‚Klassenfeinds‘ in <strong>der</strong> DDR erlebt hat; Hoffmann ist froh, aus eigener<br />

Kraft ein wohlhaben<strong>der</strong> Mann geworden zu sein. Irgendwie hat er aber auch die Nase voll<br />

davon. Manchmal denkt er an die finsteren Jahre nach dem Krieg zurück. Damals hatten sie<br />

durch Zufall, <strong>der</strong> Vater war gefallen, im Dachboden des Elternhauses wohnen bleiben dürfen.<br />

Irgendein russischer Offizier war wohl <strong>der</strong> Ansicht gewesen, <strong>der</strong> Kommandant hätte es diesen<br />

Leuten erlaubt; ein Mißverständnis. Die Mutter, eine Frau aus besserem Hause und mit einem<br />

aufrechten Gang, zog in jener Zeit den Haß <strong>der</strong> neuen Herren auf sich, und Karl-Heinz hatte<br />

deswegen ein paar Tiefschläge einzustecken gehabt, die ihm fast den Mut genommen hätten.<br />

An den Besuch einer höheren Schule war nicht zu denken gewesen.<br />

An<strong>der</strong>erseits war da aber auch <strong>der</strong> Klang des Spielmannszugs <strong>der</strong> Jungpioniere, <strong>der</strong><br />

überraschend aus diesem Dunkel um die Ecke dringt. Wenn es dort auch keinen Platz gab für<br />

den Sohn des Klassenfeindes, so ließ man ihn doch Sport treiben, Kajak fahren, später sogar<br />

Schießen. Es gibt dort eine Kameradschaft. Doch aus diesen Wi<strong>der</strong>sprüchen wird Hoffmann ein<br />

Leben lang nicht mehr herauskommen. Nach <strong>der</strong> Flucht aus <strong>der</strong> DDR baut er ein Leben als<br />

Unternehmer auf.<br />

Anfang <strong>der</strong> 70er-Jahre beginnt Hoffmann, sich ‚politische Bücher‘ zu kaufen und jenen Prozeß<br />

durchzumachen, den klugscheißende Soziologen aus dem Westen in jener Zeit nicht ohne<br />

Überheblichkeit eine unvollkommene Politisierung nannten. Der Antikommunismus <strong>der</strong><br />

Umgebung verbindet sich mit dem Frust über das, was im Fernsehen ‚Ostverträge‘ genannt wird<br />

und mit Ideen vom <strong>Ende</strong> des kapitalistischen Wachstums, die <strong>der</strong> ‚Club of Rome‘ in die Welt<br />

setzt. Der allgemeine Wohlstand und die Tendenzen zu einer chemischen Verklärung <strong>der</strong><br />

Realität drängen ihm die Idee einer absolut realen Gegenwelt auf zu dem, was sich jeden Tag<br />

vor seinen Augen abspielt. Hoffmann neigt aber nicht zu Kompromissen.<br />

Er entwickelt die Vorstellung, zusammen mit jungen Menschen etwas zu schaffen, das sich aus<br />

sich selbst heraus versteht, eine Gemeinschaft mit klaren Unterstellungsverhältnissen, stramm<br />

auf etwas gerichtet, das es in <strong>der</strong> Welt um ihn und wohl auch in seinen eigenen Gedanken noch<br />

gar nicht gibt. Einige schließen sich ihm an, und man tritt in die faktisch nur auf dem Papier<br />

existierende Jugendorganisation <strong>der</strong> in <strong>der</strong> BRD nicht verbotenen Frontkämpferorganisation<br />

‚Stahlhelm‘ ein. Das soll das Medium sein, über das sich die Dynamik dieser Gegenwelt<br />

entfaltet. Für das Militärische hat sich Hoffmann schon immer interessiert, und die Durchsetzung<br />

seines Begriffs vom Schönen ist ihm selbstverständlich.“ 323<br />

323 Arbeitskreis NSU, „Oktoberfestblogkomplett - TRAUM UND UNTERGANG DER WEHRSPORTGRUPPE<br />

HOFFMANN I - Eine lange Geschichte, 1972-2011“, S. 60-62<br />

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