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Vom Ende der Zeiten

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3. <strong>Vom</strong> <strong>Ende</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeiten</strong><br />

Keine schrankenlose Geschichtsdiskussion<br />

In seinem Artikel „Beweiszwang für die Opfer, Freispruch für die<br />

Täter“ schreibt <strong>der</strong> verstorbene, ehemalige Vorsitzende <strong>der</strong><br />

Jüdischen Gemeinde, Heinz Galinski (Bild re.):<br />

„Ich bin erschüttert über die sogenannte ‚Entsorgung <strong>der</strong> NS-<br />

Vergangenheit‘, die zur Zeit in den Medien geführt wird. Hier<br />

klingen Töne an, <strong>der</strong>en Erscheinen auf diesem Niveau WIR nicht<br />

für möglich gehalten haben. Da taucht die These über die ‚jüdische<br />

Kriegserklärung an Hitler‘ aus dem Abgrund <strong>der</strong> billigsten und<br />

schmutzigsten neonazistischen Propaganda empor und findet<br />

Eingang auf den Seiten <strong>der</strong> FAZ. … Es empört mich die Lässigkeit<br />

im Ton <strong>der</strong> polemisierenden Artikel, die in ihrem Inhalt am Leiden<br />

von Millionen vorbeisinnieren, (wobei) Historiker das Wesentliche, namentlich die Relativierung<br />

<strong>der</strong> Schuld des Dritten Reiches unangetastet (lassen). Die unbequemen, die empörten Stimmen<br />

werden mit Vorwürfen methodischer Inkompetenz mundtot gemacht. …<br />

(Lei<strong>der</strong>) verringerte sich im Laufe <strong>der</strong> Jahre in <strong>der</strong> Bevölkerung in erschreckendem Maße das<br />

Bewußtsein <strong>der</strong> Schuld, des Bekenntnisses zu den begangenen Verbrechen, vor allem<br />

gegenüber den jüdischen Menschen in <strong>der</strong> ganzen Welt. Bundespräsident Richard von<br />

Weizsäcker hatte sich zwar in seiner weltweit beachteten Rede zum 08. Mai 1985 für alle<br />

Deutschen zu ihrer Schuld bekannt, aber mir scheint es, als betrachteten viele diese Rede als<br />

eine Art Ablaßbrief für die deutsche Schuld. Unser politisches und soziales Klima, in dem es zu<br />

<strong>der</strong>art umstrittenen Diskussionen kommen kann, ist auch durch das überwiegend wirtschaftlich<br />

orientierte Denken <strong>der</strong> Deutschen beeinflußt. Das Großmachtstreben, das <strong>der</strong> durch den<br />

Historiker Treitschke inspirierte alldeutsche Verband während des Ersten Weltkrieges und davor<br />

in Begriffen <strong>der</strong> Kolonial- und Flottenpolitik verbreitet hatte, wurde heute in Begriffen <strong>der</strong><br />

wirtschaftlichen Kraft und <strong>der</strong> D-Mark-Überheblichkeit übersetzt.<br />

Der Stolz auf Wirtschaftswun<strong>der</strong> und Wie<strong>der</strong>aufbauleistung läßt trotz so mancher ungelöster<br />

sozialer Probleme keinen Raum für ein geschichtsorientiertes Bewußtsein zu, für (ein)<br />

Bekenntnis zur Schuld an den begangenen Untaten. … Ich gebrauche einen sehr milden<br />

Ausdruck, wenn ich sage, daß es nach Auschwitz eine provozierende Gedankenlosigkeit ist, im<br />

Umgang mit uns, die wir Auschwitz überlebt haben, Normalität zu for<strong>der</strong>n. Wir sollten die Worte<br />

des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, <strong>der</strong> ein Bekenntnis <strong>der</strong> Deutschen zu den<br />

Folgen ihrer Vergangenheit for<strong>der</strong>t, ernst nehmen und sie auch in Haftung nehmen!<br />

Wir geben den Weg zu einer schrankenlosen Geschichtsdiskussion nicht frei. Noch<br />

entscheiden<strong>der</strong> als die Frage, wer in einer solchen Diskussion recht behält, ob Fest o<strong>der</strong><br />

Habermas, Nolte o<strong>der</strong> Mommsen, Hillgruber, Stürmer o<strong>der</strong> sonstwer, ist dabei das Problem, ob<br />

das deutsche Volk sich eine solche Diskussion leisten kann o<strong>der</strong> will, und welchen Schaden<br />

diese anrichtet. Ich kann nur davor warnen, sie fortzusetzen.“ [43, Seite 20, 21, 22, 24]<br />

Helmut Brückmann zitiert unter dem Aspekt <strong>der</strong> „Volksschädigung durch Wirtschaftskrise“ einen<br />

einfachen Magdeburger, <strong>der</strong> über die Bonner Politik sagte: „‚Seit 1949 reden die Bonner von <strong>der</strong><br />

Wie<strong>der</strong>vereinigung. Als sie da war, wußten sie nicht, was sie mit uns machen sollten. Ein<br />

Beweis, daß sie die Wie<strong>der</strong>vereinigung gar nicht wirklich gewollt haben‘.<br />

Das Volk in Deutschland-Mitte und in Deutschland-West hatte 1989 sein Herz für den Aufbruch<br />

in die Gemeinsamkeit weit aufgetan und war zum Zupacken bereit. Aber Deutschlands<br />

Oberaufseher Heinz Galinski, Vorsitzen<strong>der</strong> des Zentralrats <strong>der</strong> Juden in Deutschland, hatte<br />

Weisung erteilt: ‚Übereilte Prozesse, zumal in Begleitung von Offenbarungen eines<br />

übersteigerten Nationalismus, fügen <strong>der</strong> Sache <strong>der</strong> deutschen Einheit einen nicht<br />

wie<strong>der</strong>gutzumachenden Schaden zu‘. 1362 Mit dem ‚übersteigerten Nationalismus‘ war natürlich<br />

jenes eben genannte weit geöffnete Herz <strong>der</strong> Deutschen für die Gemeinsamkeit gemeint.<br />

Weisungsgerecht zog die Kohlregierung den Kopf ein, und auf zwei parlamentarischen Bühnen,<br />

in Ostberlin und Bonn, zertrampelte man in niedrigen, nicht enden wollenden Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />

um Geldumtauschsätze, um die Frage, wer das alles bezahlen solle, um die<br />

Legalisierung von Kindesmord im Mutterleib und <strong>der</strong>gleichen das jungerwachte, einigungsfrohe<br />

Herz <strong>der</strong> Deutschen.“ [8, Seite 23, 24, 25]<br />

1362 DIE WELT, Nr. 94, „‚Zivilcourage hätte viele Verbrechen verhin<strong>der</strong>t‘ - Galinski warnt vor Nationalismus -<br />

Holocaust-Gedenken“, 23.04.1990, S. 12<br />

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