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Mehrsprachigkeit in Europa: Plurilinguismo in Europa ... - EURAC

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<strong>Mehrsprachigkeit</strong> als europäische Aufgabe<br />

worden, und dies vor allen D<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> den letzten 400 Jahren. Dabei fi nden sich durchaus<br />

unterschiedliche Sprachkonzepte <strong>in</strong> <strong>Europa</strong>, und diese haben sehr unterschiedliche Grundlagen<br />

und entwickelten sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er großen Vielfalt von Prozessen und Dynamiken.<br />

Im Westen bildete sich auf der Basis des Late<strong>in</strong>ischen e<strong>in</strong>e Art re<strong>in</strong>er Realisierung des<br />

Konzeptes e<strong>in</strong>er übergreifenden Sprache heraus. Dies gilt allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> der Tat nur für den<br />

Westen <strong>Europa</strong>s; denn seit 1054 durchzieht <strong>Europa</strong> e<strong>in</strong>e Grenze, die bis <strong>in</strong> die politischen<br />

Ereignisse der unmittelbaren Vergangenheit und der Gegenwart sich fortsetzt, die Grenze<br />

zwischen dem griechisch-orthodox bestimmten Raum und dem westlichen, römisch bestimmten.<br />

Im orthodoxen Raum wird von Anfang an e<strong>in</strong>e andere Sprachkonzeption vertreten als im<br />

Westen, e<strong>in</strong>e Konzeption, die mit der „Autokephalie“, der <strong>in</strong>stitutionellen Selbständigkeit der<br />

verschiedenen orthodoxen Kirchen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er offensichtlichen engen Verb<strong>in</strong>dung steht. Im Westen<br />

h<strong>in</strong>gegen entwickelt sich e<strong>in</strong>e Unterscheidung zwischen Sprachen, die sozusagen von ger<strong>in</strong>ger<br />

kommunikativer Reichweite, zugleich aber für alle Belange des alltäglichen Lebens relevant<br />

s<strong>in</strong>d, und e<strong>in</strong>er diese übergreifenden, diese überdachenden Sprache mit e<strong>in</strong>er extensiven<br />

Reichweite bei gleichzeitiger E<strong>in</strong>schränkung auf relativ wenige Lebensbereiche.<br />

Die Entwicklung der E<strong>in</strong>sprachigkeit <strong>in</strong>nerhalb der europäischen Länder hat demgegenüber<br />

beide Sphären zusammengeführt. Die Hochsprachen <strong>Europa</strong>s (vgl. Ehlich, Stammerjohann,<br />

Ossner: 2000) s<strong>in</strong>d Sprachen, die sowohl für alle Belange des alltäglichen Lebens wie für die<br />

darüber h<strong>in</strong>ausreichenden Lebensbereiche relevant s<strong>in</strong>d und die andererseits eben e<strong>in</strong>e solche<br />

überdachende Qualität gegenüber den kle<strong>in</strong>räumigen sprachlichen Zusammenhängen, die wir<br />

Dialekte nennen, haben.<br />

3. Sprache und Nationalität<br />

Diese Konzeption e<strong>in</strong>er konsolidierten E<strong>in</strong>sprachigkeit nun ist ihrerseits bestimmt durch das<br />

Konzept der ‚Nation’. Für uns sche<strong>in</strong>t dieses Konzept selbstverständlich zu se<strong>in</strong>. Die Nation<br />

ersche<strong>in</strong>t uns heute geradezu als e<strong>in</strong>e Art Naturgröße. Faktisch aber ist ‚Nation’ e<strong>in</strong> sehr<br />

junges politisches, gesellschaftliches und auch sprachliches Konstrukt. Anderson (1983) hat<br />

es charakteristisch als „Projekt“ bezeichnet. Das „Projekt Nation“, das 1789 mit großem<br />

Trommelwirbel auf die Bühne der Weltgeschichte trat, ersetzte das dynastische Pr<strong>in</strong>zip, das<br />

<strong>in</strong> <strong>Europa</strong> bis dah<strong>in</strong> die wesentliche Organisationsform der politischen und gesellschaftlichen<br />

Strukturen gewesen war. Diese Umwandlung, diese politisch-gesellschaftliche Etablierung des<br />

Projekts Nation bedeutete e<strong>in</strong>en erheblichen Identitätskonstituierungs-Verlust. In der Gestalt<br />

der jeweiligen Herrscher war bis zu se<strong>in</strong>em Auftreten sozusagen für alles Übergreifende e<strong>in</strong>e<br />

persönliche Repräsentanz gefunden. Als die Köpfe des französischen Herrscherpaares unter der<br />

Guillot<strong>in</strong>e <strong>in</strong> den Korb fi elen, war damit e<strong>in</strong> großes Vakuum entstanden, e<strong>in</strong> größeres Vakuum,<br />

als man sich zunächst vorgestellt hatte. Versuche, etwa die „Gött<strong>in</strong> Vernunft“ an die Stelle von<br />

Dynastie und römisch-katholischer Religion zu setzen, liefen sehr schnell leer, und es wurde<br />

erforderlich, neue zentrale Identitätskonstitutionen zu gew<strong>in</strong>nen. Sprache wurde zu e<strong>in</strong>em<br />

solchen zentralen Element, und dies hat nicht nur die politische Wirklichkeit erheblich bestimmt<br />

und bestimmt sie bis heute, sondern es hat zugleich und erheblich das Sprachdenken bestimmt.<br />

Es kam zu e<strong>in</strong>er neuen Konzeptualisierung von Sprache und zu e<strong>in</strong>er neuen Konzeptualisierung<br />

vom Menschen.<br />

Multil<strong>in</strong>gualism.<strong>in</strong>db 19 4-12-2006 12:24:53<br />

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