29.01.2013 Aufrufe

Mehrsprachigkeit in Europa: Plurilinguismo in Europa ... - EURAC

Mehrsprachigkeit in Europa: Plurilinguismo in Europa ... - EURAC

Mehrsprachigkeit in Europa: Plurilinguismo in Europa ... - EURAC

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Franz Lanthaler<br />

bestimmen. Sie s<strong>in</strong>d mehrfach sehr detailliert beschrieben worden (Baur et alii 1998; Baur<br />

2000; Lanthaler, Mazza 1991: 67 ff.; siehe auch Baur <strong>in</strong> diesem Band).<br />

Die zentralen Begriffe <strong>in</strong> diesen Darstellungen s<strong>in</strong>d: das „kollektive Bewusstse<strong>in</strong>“ und die<br />

„Tücken der Nähe“. Auf unser Thema bezogen wirken die dort beschriebenen E<strong>in</strong>stellungen und<br />

Verhaltensweisen so, dass wir die Sprache des Anderen wollen, aber ke<strong>in</strong>en zu engen Kontakt<br />

mit ihm, weil dar<strong>in</strong> die Gefahr des Verlustes der Eigenständigkeit und der kulturellen Identität<br />

gesehen wird. Kurt Egger hat diese Berührungsängste schon vor längerer Zeit als „Gefühl des<br />

Nicht-mehr-zu-Hause-Se<strong>in</strong>s <strong>in</strong> der eigenen Sprachgruppe oder Sprache“ beschrieben (Egger<br />

1990: 40). Da fällt e<strong>in</strong>em unwillkürlich das Bild e<strong>in</strong>, mit dem Schopenhauer das vorsichtige<br />

Verhalten der Stachelschwe<strong>in</strong>e im W<strong>in</strong>ter charakterisiert (Schopenhauer 1851: II, Kap. 31, §<br />

396)<br />

1.2.2 Die Abwertung des Eigenen<br />

Aber unser Thema hier ist <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die E<strong>in</strong>stellung der Menschen beider großen<br />

Sprachgruppen den e<strong>in</strong>zelnen Varietäten gegenüber. Bei den Deutschsprachigen gibt es e<strong>in</strong>e<br />

große Diskrepanz zwischen den herrschenden Normansprüchen und der sprachlichen Praxis.<br />

Die dafür zuständigen Instanzen haben immer nur e<strong>in</strong>e Varietät als Standard anerkannt, die<br />

weitgehend e<strong>in</strong>em norddeutschen Normempfi nden entsprach. Das hat zur Abwertung alles<br />

Regionalen geführt, die heute noch <strong>in</strong> weiten Kreisen spürbar ist, auch weil lange Zeit das<br />

Südtirolische vor allem als e<strong>in</strong>e Anhäufung von Interferenzen gesehen wurde, auf die Jagd<br />

gemacht wurde. Wie sonst könnte die von Südtirolern verwaltete Eisenbahn im regionalen Bereich<br />

Ansagen von norddeutschen Sprechern durchgeben lassen, die nicht e<strong>in</strong>mal die Ortsnamen<br />

richtig aussprechen können („neechster Halt Terláan“!), oder Radio- und FernsehsprecherInnen<br />

ebenfalls Ortsnamen mit fremdem Akzent aussprechen (zu hören waren schon „Wíllnöß und<br />

Pártsch<strong>in</strong>s“, neben „St. Waalburg“). Wo <strong>in</strong> aller Welt kann man sich so etwas vorstellen: Dass<br />

<strong>in</strong> Neapel jemand aus Florenz und <strong>in</strong> Bern jemand aus Mannheim die Haltestellen ansagt? So<br />

erfolgreich war hier e<strong>in</strong>e konservative Sprachkritik, dass die SprecherInnen jedes regional<br />

angetönte sprachliche Selbstbewusstse<strong>in</strong> vermissen lassen.<br />

E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er, aber renommierter Südtiroler Verlag hat mir alle e<strong>in</strong>em süddeutschen<br />

Sprachempfi nden entsprechenden Perfektformen (siehe „oberdeutscher Präteritumsschwund“<br />

Eich<strong>in</strong>ger 2001: 80) aus e<strong>in</strong>em me<strong>in</strong>er Artikel <strong>in</strong> norddeutsche Präterita umgewandelt und hat<br />

dieselbe Korrektur sogar dem Beitrag e<strong>in</strong>es Mitverfassers der Duden-Grammatik angedeihen<br />

lassen.<br />

Dazu kommt noch, dass schriftlicher und mündlicher Standard nicht strikt ause<strong>in</strong>andergehalten<br />

werden, sondern der Mündlichkeit e<strong>in</strong> strenger schriftlicher Normenzwang aufgedrückt wird. Mit<br />

der Folge, dass LehrerInnen <strong>in</strong> der Pfl ichtschule nicht selten nach dem Pr<strong>in</strong>zip vorgehen: „Wir<br />

sprechen falsch, um richtig zu schreiben!“ So musste für die deutsch- und lad<strong>in</strong>ischsprachigen<br />

K<strong>in</strong>der das Hochdeutsche etwas sehr Fremdes und Abgehobenes werden, e<strong>in</strong>e Kunstsprache, der<br />

man sich annähern, aber nie gerecht werden kann.<br />

Zwar gibt es seit Mitte der 80er Jahre e<strong>in</strong>e dialektorientierte Sprachdidaktik (Saxalber 1994 1 ),<br />

die ausgehend von den Kompetenzen der K<strong>in</strong>der im Dialekt und von der Systemverwandtschaft<br />

der beiden Varietäten die hochsprachliche Kompetenz ausbauen wollte, und es gibt<br />

1 1. Ausgabe 1985 vergriffen.<br />

374<br />

Multil<strong>in</strong>gualism.<strong>in</strong>db 374 4-12-2006 12:28:56

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!