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Mehrsprachigkeit in Europa: Plurilinguismo in Europa ... - EURAC

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Die Vielschichtigkeit des Deutschen <strong>in</strong> Südtirol<br />

Lehrpläne(Deutsch im Biennium 1990, Deutsch im Triennium 1994), <strong>in</strong> denen dieses Konzept<br />

verankert ist, aber beide sche<strong>in</strong>en über weite Strecken nur ger<strong>in</strong>ge Wirkung zu haben, zum<strong>in</strong>dest<br />

was das Sprachbewusstse<strong>in</strong> der Bevölkerung betrifft.<br />

Das ist verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Dialektwelle der 70er und 80er Jahre<br />

auch <strong>in</strong> Südtirol voll e<strong>in</strong>geschlagen hat, der Dialekt neue Domänen erobert hat, <strong>in</strong> die Medien −<br />

vor allem bei Privatsendern − e<strong>in</strong>gedrungen ist, dass es Dialektliteratur, Dialekttheater gab und<br />

Rockgruppen, die Dialektlieder sangen. Trotzdem verschwand die Stigmatisierung des Dialekts<br />

als Fehlerquelle noch lange nicht aus dem öffentlichen Bewusstse<strong>in</strong>, auch nicht aus dem vieler<br />

Lehrpersonen, der lokalen Schulverwaltung und der Kulturpolitik.<br />

Dieses mangelnde Bewusstse<strong>in</strong> und die diglossische Sprachsituation mit dem Dialekt als<br />

e<strong>in</strong>zigem Medium der alltäglichen Kommunikation <strong>in</strong>nerhalb der deutschen Sprachgruppe hat bei<br />

der italienischsprachigen Bevölkerung zu der Auffassung geführt, dass man hier im alltäglichen<br />

Umgang ke<strong>in</strong> richtiges Deutsch erwerben kann, sodass der Zweitspracherwerb ganz der Schule<br />

überantwortet werden muss − was wiederum der Defi nition von Zweitsprache widerspricht. Wir<br />

wissen, dass der Spracherwerb kaum Fortschritte macht, wenn die Lerner- oder Interimsprache<br />

nicht <strong>in</strong> kommunikativer Praxis erprobt und ausgebaut wird. Wenn nun aber die Schule e<strong>in</strong>e<br />

Varietät unterrichtet und im Alltag e<strong>in</strong>e ganz andere verwendet wird, s<strong>in</strong>d dies sehr schlechte<br />

Bed<strong>in</strong>gungen für den Spracherwerb. Das geht <strong>in</strong>direkt auch aus den Aussagen der Betroffenen<br />

im Sprachbarometer (2006: 170) hervor.<br />

1.2.3 „Bancomat-<strong>Mehrsprachigkeit</strong>“?<br />

Aber ist es denn wirklich nur der Dialekt, der den Gebrauch und Erwerb des Deutschen<br />

verh<strong>in</strong>dert? Ist da nicht auch e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>stellung dabei, die nur dem Standard Wert und Würde<br />

e<strong>in</strong>er Sprache zugesteht? E<strong>in</strong> italienischsprachiges Mädchen aus Bozen hat nach ihrer Teilnahme<br />

an geme<strong>in</strong>samen Sprachferien mit deutschsprachigen K<strong>in</strong>dern im Sarntal festgestellt: „Sono<br />

loro che non sanno il tedesco. Io, alla scuola sono uscita con ’ottimo’!“<br />

Hier treten mehrere Gesichtspunkte gleichzeitig zu Tage. Vor vielen Jahren forderten<br />

italienischsprachige Eltern den frühen Deutschunterricht, damit ihre K<strong>in</strong>der auf dem Arbeitsmarkt<br />

bessere Chancen hätten. Dabei dachten sie vor allem an die Anstellung im öffentlichen Dienst.<br />

Heute ist die europaweite Konkurrenz um Zugänge zu Arbeitsplätzen und Ressourcen e<strong>in</strong>e starke<br />

Motivation für den Spracherwerb. Aldo Mazza hat das Ziel dieser Bemühungen allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e<br />

„Bancomat-<strong>Mehrsprachigkeit</strong>“ genannt (mündliche Mitteilung): Ich lerne (Hoch-)Deutsch, weil<br />

diese Sprache e<strong>in</strong>e der europäischen Verkehrssprachen ist, mit der ich mich <strong>in</strong> Mitteleuropa<br />

bewegen kann. Ich lerne also nicht die Varietät des Nachbarn, um mit ihm zu kommunizieren.<br />

Die Sprache des Nachbarn ist nämlich e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>räumiger Dialekt, der nicht als Verkehrssprache<br />

taugt.<br />

An dieser Stelle müsste man über das gesamte Zweisprachigkeitskonzept mit Prüfung und<br />

entsprechender Berechtigung, aber auch über den Zweitsprachunterricht nachdenken. Ist<br />

all der Aufwand, den wir mit unserer Zweisprachigkeit treiben, nur dazu gut, dass sich die<br />

italienischsprachige Bevölkerung im gesamten deutschen Sprachraum bewegen kann und dass<br />

der deutschsprachigen Bevölkerung der italienische Markt offen steht − oder wollen wir uns<br />

hier verstehen?<br />

Multil<strong>in</strong>gualism.<strong>in</strong>db 375 4-12-2006 12:28:57<br />

375

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